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Briefe aus der Ferne - Группа авторов


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Stärken und Versprechen. Ich möchte nur auf das Spannungsverhältnis aufmerksam machen zwischen einer Ausweitung bestehender normativer Begriffe von »Bürger«, »Anerkennung« und »Rechten« einerseits, um die gegenwärtige Ausweglosigkeit zu fassen und zu überwinden, und andererseits dem Ruf nach einem alternativen Vokabular, der in der Überzeugung gründet, dass die normativen Diskurse aus Liberalismus und Multikulturalismus gleichermaßen untauglich sind, um neue Subjektbildungen und neue Formen sozialer und politischer Antagonismen zu erfassen.

      Obwohl ich die Bedeutung sozialer und kultureller Konflikte in der gegenwärtigen Politik nicht unterschätzen möchte, will ich »Ausweglosigkeit« nicht als unumgängliche Struktureigenschaft von Multikulturalismus ansehen, wie verbreitet diese Deutung einer »Pattsituation« zum Beispiel zwischen religiösen und sexuellen Minderheiten auch ist. Es gibt zahlreiche religiöse Schwulen- und Lesbengruppen, von denen einige für Teile der Homoehen-Kampagnen in den USA verantwortlich waren. Es gibt Koalitionen zwischen »Queeren« und »illegalen Einwanderern« oder sans papiers in den USA und Europa, die zusammenarbeiten, ohne im Vorfeld ihrer Bündnisbemühungen in Konflikt über sexuelle Identität und religiösen Glauben zu geraten. Es gibt zahlreiche Netzwerke von muslimischen Lesben und Schwulen (etwa im Club SO36 in Berlin-Kreuzberg), die zeigen, dass der Gegensatz kein notwendiger ist.14 Wenn wir bedenken, welch negativen Einfluss der Status der HIV-Infizierung auf die Möglichkeit von Individuen hat, zu migrieren oder angemessene Gesundheitsversorgung zu bekommen, wird deutlich, wie unter dem Dach der Einwanderungspolitik Gemeinschaften, die für Rechte kämpfen und durch Zusammenschluss von Identitäten gekennzeichnet sind, gebildet werden können. Wenn die Begriffe Multikulturalismus und Anerkennungspolitik entweder die Reduktion des Subjekts auf eine einzige definierende Eigenschaft oder die Konstruk­tion eines mehrschichtig bestimmten Subjekts verlangen, dann sind wir noch nicht in der Lage, uns der Herausforderung der kulturellen Metaphysik zu stellen, die sich durch die Bildung neuer globaler Netzwerke und Institutionen ergibt und die verschiedene dynamische Bestimmungen gleichzeitig durchkreuzt und anregt.

      Wenn solche Netzwerke Grundlage politischer Bündnisse sind, sind sie weniger durch »Identität« oder allgemein akzeptierte Anerkennungsformen zusammengehalten als durch Formen politischer Opposition gegen staatliche oder andere Regulierungspolitik, die dazu führt, dass Menschen ausgeschlossen oder ausgestoßen werden, teilweise oder vollständig ihre Staatsbürgerschaft verlieren, untergeordnet oder erniedrigt werden und dergleichen. In diesem Sinne beruhen Bündnisse nicht notwendigerweise auf Subjektpositionen oder darauf, Unterschiede zwischen Subjektpositionen zu versöhnen; tatsächlich können sie auf sich zeitweilig überschneidende Ziele gegründet werden und können – müssen vielleicht – aktive Antagonismen darüber enthalten, was sie sein wollen und wie sie das am besten erreichen. Sie sind bewegliche Felder von Differenzen in dem Sinn, dass »durch andere bewirkt zu sein« und »auf andere einzuwirken« Teil der sozialen Ontologie des Subjekts ist, so dass »das Subjekt« weniger eine klar umrissene Substanz als eine aktive und veränderliche Menge von Wechselbeziehungen ist.

      Ich bin keineswegs überzeugt, dass es einen »vereinigenden« Begriff gibt, der alle Formen der Enteignung abdeckt, die Minderheitenpolitiken verbinden, noch dass man einen solchen für die strategischen Zwecke politischer Bündnisbildung braucht. Aber es ist notwendig, dass alle, die an einem solchen Bündnis mitarbeiten, sich aktiv daran beteiligen, die Kategorie »Minderheit« zu durchdenken, wo sie die Grenzen durchkreuzt, die Staatsbürger vom Nichtstaatsbürger trennen. Durch den Fokus auf Staat und Regulierungsmächte und darauf, wie sie die Debatte inszenieren und die Begriffe für politische Ausweglosigkeiten fertigen, überschreiten wir den Denkrahmen, der binäre Gegensätze unterstellt oder aus einer komplexen Formation einen »Konflikt« derart gewinnt, dass die Inszenierungs- und Zwangsdimensionen normativer Rahmen verdeckt werden. Indem die Machtfrage ins Zentrum der Debatte gerückt wird, müssen sich die Begriffe ändern und dabei politisch reak­tionsfähig werden.

      Wie inszenieren also Machtformen, einschließlich der Staatsmacht, das Feld binärer Gegensätze, das zwei getrennte, durch einzelne oder mehrere Eigenschaften bestimmte und sich gegenseitig ausschließende Subjekte erfordern? Solche Subjekte als gegeben zu unterstellen heißt, die kritische Aufmerksamkeit von den Operationen der Macht selbst, einschließlich der »Inszenierungseffekte« der Macht in der und auf die Subjektbildung, wegzulenken. Folglich warne ich vor den Erzählungen einer Fortschrittsgeschichte, in denen der binäre Konflikt entweder durch umfassendere und einschließende liberale fortschrittliche Bezugsrahmen überwunden wird oder die Fortschrittsillusion selbst zum definierenden Element des Kampfs zur Verteidigung des Liberalismus wird. Im ersten Fall entwickeln wir einschließendere Bezugsrahmen, um den Antagonismus aufzulösen. Im zweiten Fall behaupten wir, dass die säkulare und fortschrittliche Alternative das sine qua non liberaler Demokratie ist, und erklären allen Bemühungen, die Notwendigkeit, Zulänglichkeit und den Wert dieses Rahmens zu überdenken und in Frage zu stellen, den Krieg. Die erste Erzählung charakterisiert dialektische, pragmatistische und fortschrittliche Auffassungen von Geschichte; die zweite macht das »Fortschrittliche« zum einen Pol eines Konflikts und erklärt jedes nichtsäkulare und antifortschrittliche Vokabular zur Bedrohung für den Liberalismus, einschließlich aller Bemühungen, ein anderes Vokabular zu entdecken oder zu entwickeln, mit dem über neu entstehende Subjekte und wirkungsvolle Sprachen, Medien und Ausdrucksweisen für politische Rechte nachgedacht werden kann.

      Ich stelle mir gewiss kein »nahtloses« Bündnis von religiösen und sexuellen Minderheiten vor. Es gibt solche Bündnisse, also ist es sinnvoll zu fragen, wie sie gebildet sind. Und es ist auch sinnvoll anzunehmen, dass der Antagonismus durchaus eine bleibende Eigenschaft solcher Bündnisse sein kann. Vielleicht schließen Bündnisse gewisse Brüche, Misserfolge, fortbestehende Antagonismen ein. Und wenn ich »einschließen« sage, meine ich damit nicht, dass das Bündnis solche ­Antagonismen kittet oder auflöst. Im Gegenteil möchte ich mit Laclau und ­Mouffe (1991) daran festhalten, dass der Antagonismus das Bündnis offen hält und die Idee einer Versöhnung als Ziel aufhebt. Was ein Bündnis zusammenhalten kann, ist eine andere Frage, als was es beweglich hält. Und was es beweglich hält, ist meines Erachtens der dauernde Fokus auf die Machtformationen, die über die scharfe Identitätsdefinition der am Bündnis Beteiligten hinausgehen. In diesem Fall müsste sich das Bündnis auf Zwangsmittel des Staates (von Einwanderungstests bis zur direkten Folter) und die Anrufungen (und Simplifizierungen) von Subjekt, Natur, Kultur und Religion konzentrieren, die den ontologischen Horizont hervorbringen, in dem staatlicher Zwang notwendig und gerechtfertigt erscheint.

      Die Staatsmacht agiert innerhalb eines ontologischen Horizonts, der mit Macht gesättigt ist, die der Staatsmacht vorausgeht und sie übersteigt. Folglich können wir Macht nicht richtig verstehen, wenn wir immer den Staat im Zentrum ihres Wirkens sehen. Der Staat greift auf nichtstaatliche Machtoperationen zurück und kann selbst nicht ohne diese Machtreserve funktionieren, die nicht durch ihn organisiert wird. Hinzu kommt – und das ist nicht sonderlich neu –, dass der Staat gewisse Machtoperationen gleichzeitig produziert und voraussetzt, die hauptsächlich durch Schaffung einer Reihe »ontologischer Gegebenheiten« wirken. Zu diesen Gegebenheiten gehören ebendie Vorstellungen von Subjekt, Kultur, Identität und Religion, die innerhalb besonderer normativer Bezugsrahmen unbestritten bleiben und auch nicht bestritten werden können. Wenn wir also in diesem Zusammenhang von »Bezugsrahmen« sprechen, reden wir nicht bloß über theoretische Perspektiven, die wir in die Politikanalyse bringen, sondern über Sinnverständnisweisen, die für das Funktionieren des Staats förderlich sind und damit selbst Machtausübung darstellen, auch wenn sie den spezifischen Bereich der Staatsmacht überschreiten.

      Vielleicht wird die »Ausweglosigkeit« am besten wahrnehmbar, wenn sie nicht zwischen dem Subjekt einer sexuellen und dem einer religiösen Minderheit auftritt, sondern zwischen einem normativen Bezugsrahmen, der solche in gegenseitigem Widerstreit befindliche Subjekte erfordert und produziert, und einer kritischen Perspektive, die in Frage stellt, dass und wie solche Subjekte außerhalb dieses mutmaßlichen Antagonismus – oder in anderem Verhältnis dazu – existieren. Das hieße dann zu bedenken, inwiefern dieser Bezugsrahmen eine Weigerung voraussetzt und hervorruft, die Komplexität der historischen Entstehung religiöser/sexueller Bevölkerungen und Subjektbildungen zu verstehen, die nicht auf eine der Identitätsformen reduzierbar sind. Einerseits kann man sagen, dass solche Reduktionen, wie verfälschend auch immer, notwendig sind, weil sie


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