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Briefe aus der Ferne - Группа авторов


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eine Reihe ontologischer Verbindlichkeiten hervor, die wahr oder falsch sein mögen, die aber für notwendig erachtet werden, um an bestehenden epistemologischen und ethischen Normen festzuhalten. Andererseits richten die Praxis der Kritik und die Praxis der Bereitstellung adäquateren historischen Wissens ihr Augenmerk auf die von den normativen Bezugsrahmen erzeugte normative Gewalt und bieten damit eine alternative Bedeutung der Normativität selbst – eine, die weniger auf vorgefertigten Urteilen als auf einer Art vergleichendem auswertendem Schließen beruht, zu dem man durch die Praxis des kritischen Verstehens gelangt.

      Trotzdem muss jedes kritische Verstehen sich auf das Prekärsein des Lebens einstellen, daher möchte ich zur Vorstellung der »Prekarität« als einem nachdrücklich nicht-identitären Begriff zurückkehren, der linke Politik stützt. Wenn wir das Prekärsein des Lebens als Ausgangspunkt nehmen, gibt es kein Leben ohne Bedarf an Obdach und Nahrung, kein Leben ohne Abhängigkeit von größeren Netzwerken von Gemeinschaft und Arbeit, kein Leben, das Verletzlichkeit und Sterblichkeit überwindet. Wir könnten dann einige der kulturellen Folgen militärischer Macht heute als Versuch analysieren, das Prekärsein für andere zu maximieren, während das Prekärsein der betreffenden Macht minimiert wird. Diese ungleiche Verteilung der Prekarität ist zugleich eine materielle Frage und eine der Wahrnehmung, denn jenen, deren Leben nicht als potenziell betrauerbar und dementsprechend wertvoll »betrachtet« wird, wird die Last des Verhungerns, der Unterbeschäftigung, der gesetzlichen Entrechtung und des ungleich größeren Risikos von Gewalt und Tod aufgebürdet.

      Diese allgemeine Bedingung von Prekärsein und Abhängigkeit wird in bestimmten politischen Formationen ausgebeutet und in Abrede gestellt. Kein noch so großer Wille oder Reichtum kann die Möglichkeit ausschließen, dass ein lebender Körper krank wird oder einen Unfall hat, auch wenn beide im Dienste einer solchen Illusion mobilisiert werden können. Diese Gefahren gehören zur Vorstellung des als endlich und prekär angesehenen körperlichen Lebens selbst; sie implizieren, dass der Körper immer dem Gemeinwesen und der Umwelt überantwortet ist, die seine individuelle Autonomie begrenzen. Aus der von allen geteilten Bedingung des Prekärseins folgt, dass der Körper konstitutiv gesellschaftlich und in wechselseitiger Abhängigkeit ist. Und doch versuchen die gegenwärtigen Kriege, genau diese unumkehrbare wechselseitige Abhängigkeit zu leugnen. Die Logik und Praxis ungezügelter politischer Herrschaft – wie wir sie unter dem Bush-Regime erlebten – strebt nach der Herstellung eines nationalen Subjekts, das sich selbst als undurchdringlich, unabhängig betrachtet, seine eigenen Verfassungsrechte aussetzt und die Souveränität anderer Nationen missachtet. Erinnern wir uns, dass die von den USA errichteten und unterhaltenen Kriegsgefängnisse Orte sind, wo kein legitimes Recht herrscht, wo Staatsbürgerrechte und internationaler Schutz ausgesetzt sind. Die Begründungen für diese Kriege waren ebenso außerrechtlich und haben endlose Verwirrung darüber gestiftet, ob diese Kriege dem Terror, der Tyrannei oder dem Islam selbst gelten. Mit dem Ergebnis, dass die Produktion des »islamischen Extremisten« als Repräsentant des Islam nicht nur als Teil jener Ideologie fungiert, die die Fortführung des Krieges begründet, sondern auch als Gespenst in der Einwanderungspolitik wiederkehrt, die, besonders in Frankreich und den Niederlanden, strenge Richtlinien der Loyalität und »kulturellen Integration« geltend macht. Die Einwanderungspolitik bildet die heimische Entsprechung dieser aktuellen Kriege, so dass Europa verstanden wird als mit der Verteidigung seiner Grenzen gegen mögliche Invasoren befasst, gegen Verunreinigung nicht nur in der Zukunft, sondern gegen die kulturelle und »rassische« (racial) Komplexität seiner gegenwärtigen Bevölkerung.

      Und doch macht die offizielle Begründung, die für solche Kriege gegeben wird, oftmals unzulässigen Gebrauch von fortschrittlicher Politik. Im Krieg gegen Afghanistan gab es unzulässige Beschwörungen von »Feminismus«, als die USA für sich in Anspruch nahmen, afghanische Frauen aus ihrer Unterdrückung zu befreien. Dass jüngst Ayaan ­Hirsi Ali gefeiert wird, stellt eine ähnliche Bemühung dar, Feminismus als antiislamisch zu definieren und den »Westen« als sicheren Hafen für Frauen zu feiern. Ähnlich behaupteten die niederländischen Staatsbürgerschaftstests, die Verteidigung von Homosexuellenrechten sei Zeichen ihrer Modernität. In diesen Fällen werden sowohl Feminismus als auch fortschrittliche Sexualpolitiken dazu instrumentalisiert, religiöse und ethnische Minderheiten zu dämonisieren und herabzusetzen. Im Ergebnis können wir erkennen, wie der Staat in der Kriegsrhetorik und in der Einwanderungs­politik versucht, sexuelle Minderheiten und Frauen von neuen und jüngeren religiösen Minderheiten zu trennen. Mit anderen Worten: Der Staat versucht die Möglichkeit eines Bündnisses, das aus sich überschneidenden Prozessen der Minderheitenbildung entstehen kann, zu untergraben. Diese Fassung der gegenwärtigen Situation übersieht, dass diese verschiedenen Identitäten einander bereits kreuzen und wichtige Bindungen unterhalten: Es gibt muslimische feministische Bewegungen, arabische Schwulenorganisa­tionen und -bars und verschiedene Formen der Bündnispolitik, in denen eine Reihe von Leuten aus all diesen Gruppen zusammenarbeiten, um sich gegen Diskriminierung, gesetzliche Entrechtung, Polizeischikane und staatlichen Zwang zu wehren.

      Ich möchte mit zwei Punkten schließen. Erstens: Ein neues Verständnis der Linken bleibt nicht bei einer neuen und komplexen Reflexion über Prozesse der Minderheitenbildung stehen, die die Entstehung und Auslöschung verschiedener Gruppen beeinflussen. Zweitens: Wir müssen die wichtige Frage der Prekarität einbeziehen. Diejenigen, deren Leben Hunger, Obdachlosigkeit, Armut, gesetzlicher und politischer Entrechtung und mangelnder Gesundheitsversorgung ausgesetzt ist, bilden prekäre Bevölkerungen, solche, deren Leben extremen Bedingungen von Prekarität unterworfen ist. Wir könnten zwar sagen, dass jedes Leben prekäres Leben ist, dennoch bleibt wahr, dass manches Leben in die Prekarität gestoßen, nicht als schützenswert, nicht als wertvoll angesehen wird, ja nicht einmal als betrauernswert, wenn es verloren wird. Das nicht betrauerbare Leben ist das Leben, das nie als Leben angesehen wurde, und somit auch das unlebbare Leben. Wir müssen die konventionellen Modelle des Multikulturalismus überschreiten, um zu verstehen, wie Prekarität ungleich verteilt ist.

      Der Widerstand gegen die ungleiche Verteilung der Prekarität ist ein wichtiger Punkt für jedes zukünftige Bündnis. Entsprechend müssen sich Bündnisse und Allianzen weiter dem Kampf sowohl gegen Rassismus als auch gegen Homophobie verpflichten, sowohl gegen einwanderungsfeindliche Politik als auch gegen mannigfaltige Formen von Frauenfeindlichkeit. Eine starke Bewegung auf der Linken muss Bündnisse mit religiösen und sexuellen Minderheiten gleichermaßen suchen und aufrechterhalten und sich auf die Kritik von staatlichem Zwang und staatlicher Gewalt konzentrieren. Diese letztgenannte Kritik würde auch zu einem Argument gegen die gegenwärtigen Diskurszwänge im politischen Denken, die Minderheitenpositionen und -interessen polarisieren.

      Ich will nicht behaupten, dass Bündnisse immer glücklich sind oder immer funktionieren. Ich denke vielmehr, dass es Antagonismen gibt, die zum Bündnis dazugehören, und dass der Antagonismus Bündnisse offen, selbstkritisch und dynamisch hält. Die Frage ist, wie man im Rahmen von Bündnissen Antagonismen aufrechterhalten kann, und das bedeutet, den temporären und unbeständigen Charakter dieser sozialen Form zu akzeptieren. Wie denken wir über einen Kampf, in dem Subjekte durch die politischen Ziele des Kampfes und durch ihre Zusammenarbeit verändert werden? Wird das Subjekt auf diese Weise zum Gemeinwesen? Und wie denken wir über diese Transformation selbst als Ziel der Bewegung selbst? Ein Grund für die Unmöglichkeit, das Subjekt als Grundlage für Politik zu nehmen, besteht darin, dass es ständig im Prozess der Formung ist. Es wird nicht nur von und durch Macht geformt, sondern auch im Verhältnis zu anderen Subjektformierungen. Das Subjekt wird etwas anderes kraft seiner politischen Aktivität, was bedeutet, dass das Subjekt kein fester Ausgangspunkt ist. Und es strebt auch nicht einfach oder immer danach, zu sich zurückzukehren. Was, wenn es keine Rückkehr zum früheren Selbst gibt? Was, wenn wir alle als Folge neuer politischer Herausforderungen, denen wir begegnen, Veränderungen durchmachen müssen? Das Subjekt, das in ein Bündnis eintritt, ist dann nicht dasselbe wie das Subjekt, das durch das Bündnis transformiert wurde. Und die politische Praxis transformiert das Subjekt der Politik. Das bedeutet auch, dass dort nicht die erhoffte Ordnung erneuert wird, sondern lediglich die Aufgabe, in neuer Unordnung ­einen Sinn zu finden, der uns mehr oder weniger zusammenhält.

      Literatur

      Laclau, Ernesto, u. Chantal Mouffe (1991): Hegemonie und Radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus. Wien.


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