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Der undankbare Kontinent? - Группа авторов


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Aber wem kann man einreden, dass es keine moralische Verantwortung gibt für die Taten, die in der Geschichte eines Staates begangen wurden? Wer soll glauben, dass, wer eine humane Welt erschaffen will, Moral und Ethik über Bord werfen muss, da nun einmal Recht und Gerechtigkeit in dieser Welt nicht ­existieren?

      Jene, die ein ungerechtes System weißwaschen wollen, geben heute gerne der Versuchung nach, die Geschichte Frankreichs und seines Kolonialreichs neu zu schreiben, indem sie daraus eine Geschichte der »Befriedung« machen, eine Geschichte der »Erschließung von unbebauten Gebieten, die niemandem gehören«, der »Verbreitung von Schulbildung«, des »Aufbaus einer modernen Medizin« sowie der Schaffung eines modernen Straßen- und Eisenbahnnetzes. Dieses Argument gründet sich auf die alte Lüge, der zufolge die Kolonisation ein menschenfreundliches Unternehmen war und zur Modernisierung der alten, in Auflösung befindlichen Primitivgesellschaften beitrug. Hätte man sie sich selbst überlassen, nicht wahr, dann hätten sie sich am Ende wahrscheinlich selbst zerstört.

      Wer die Kolonisation so darstellt, wie in der Rede von Dakar geschehen, umgibt sich mit dem Nimbus tiefer Aufrichtigkeit und echter Gefühle, um die Suche nach Alibis für eine überaus grausame, widerliche und gemeine Sache zu erleichtern – auch wenn nur er selbst an diese Alibis glaubt. Behauptet wird, dass die Eroberungskriege, die Massaker, die Deportationen, die Raubzüge, die Zwangsarbeit, die Rassendiskriminierung als ­Institution, dass all das nur die »Verfallsgeschichte einer großen Idee« war oder, wie Alexis de Tocqueville erklärt, »bedauerliche Zwänge«.40

      Wenn man von Frankreich verlangt, es möge bekennen, dass die Kolonialherrschaft »hart, gewalttätig, willkürlich und primitiv« gewesen ist, so wie es der genannte Tocqueville getan hat, oder wenn man erreichen möchte, dass Frankreich aufhört, in Afrika korrupte Diktaturen zu unterstützen, so bedeutet das nicht, dass man Frankreich verleumdet oder hasst. Es bedeutet nur, dass man fordert, es möge seine Verantwortung wahrnehmen und dem gerecht werden, was es als seine universelle Berufung definiert. Diese Forderung ist angesichts der heutigen Verhältnisse unbedingt notwendig. Insbesondere wenn es um Frankreichs koloniale Vergangenheit geht, muss eine Politik der unbegrenzten Unverantwortlichkeit einer strengen, durchdachten und andauernden Kritik unterzogen werden.

      Andererseits gilt es, konsequent zu sein und aufzuhören, über die Kolonisation im Sinne einer »variablen Geometrie« zu sprechen41 – bald für den internen Gebrauch, bald für den Export. Wen will man denn vom guten Willen überzeugen, wenn man die eigene Aufrichtigkeit hervorkehrt, wie in Dakar geschehen, und ganz nebenbei versucht, das Kolonialsystem salonfähig zu machen, indem man trachtet, so üble Gestalten wie Raoul Salan42 posthum zum Marschall zu ernennen oder für Killer wie Bastien-Thiry, Roger Degueldre, Albert Dovecar, Claude Piegts und andere ihres Schlags ein Denkmal zu errichten.43

      Schlusswort

      Die Mehrheit der Afrikaner lebt weder in Frankreich noch in den ehemaligen französischen Kolonien. Sie bemüht sich auch nicht um Emigration ins europäische Frankreich. Millionen von Afrikanern gehen täglich ihrem Beruf nach und hängen von keinem Hilfsprogramm Frankreichs ab. Im Kampf ums Überleben schulden sie Frankreich nichts, ebenso wenig wie Frankreich ihnen etwas schuldet. Und das ist gut so.

      Darüber hinaus gibt es eine starke Beziehung auf kulturellem Gebiet, die viele von uns mit diesem alten Land, in dem wir Teile unseres Bildungswegs beschritten haben, verbindet. Dort lebt eine starke Minderheit von französischen Staatsbürgern afrikanischer Herkunft, Nachfahren von Sklaven und Kolonisierten, deren Schicksal uns keineswegs gleichgültig ist, nicht anders als das Schicksal der illegalen Einwanderer, die nicht konform mit den Gesetzen sind, aber dennoch ein Anrecht auf menschliche Behandlung haben.

      Seit Fanon wissen wir, dass es unsere Aufgabe ist, die ganze Weltgeschichte neu zu gestalten; dass wir nicht das Vergangene auf Kosten unserer Gegenwart und unserer Zukunft lobpreisen dürfen; dass die »Seele des Negers« eine Erfindung der Weißen ist; dass es ›den Neger‹ nicht gibt, ebenso wenig wie ›den Weißen‹; und dass wir uns nur auf uns selbst stützen können.44

      Heute wissen viele ganz genau – sogar unter den frankophonen Afrikanern, deren Unterwürfigkeit gegenüber Frankreich besonders ausgeprägt ist, unterliegen sie doch der Verführung durch den Heimatmythos und die Opferrolle –, dass das Schicksal des Kontinents und wohl auch seine Zukunft nicht von Frankreich abhängen. Nach einem halben Jahrhundert der formalen Entkolonisierung haben die jungen Generationen gelernt, dass von Frankreich nicht allzu viel zu erwarten ist, ebenso wenig wie von den anderen Weltmächten. Die Afrikaner werden sich entweder selber retten oder zugrunde gehen.

      Sie wissen auch, dass manche dieser Weltmächte mehr Schaden anrichten als andere. Angesichts unserer vergangenen und gegenwärtigen Verwundbarkeit können wir nicht viel mehr tun, als dieser Macht zum Schaden-Anrichten Grenzen zu setzen. Eine solche Haltung hat mit Hass gegen irgendjemanden nichts zu tun. Im Gegenteil, sie ist die Voraussetzung für eine Politik der Gleichheit, ohne die es keine Weltgemeinschaft geben kann.

      Wenn somit Frankreich eine positive Rolle in der Durchsetzung dieser Weltgemeinschaft spielen will, muss es seine Vorurteile aufgeben. Seine neuen Eliten müssen die schwierige Geistesarbeit leisten, ohne die politische Freundschaftsbekundungen keinen Sinn haben. Man kann nicht, wie in Dakar geschehen, zu einem Freund sprechen, ohne ihn anzusehen. Zur Freundschaft fähig sein bedeutet, in seinem Freund den möglichen Feind zu ­respektieren, wie Jacques Derrida betont hat.45

      Der kulturelle und intellektuelle Blickwinkel, unter dem die neuen französischen Machteliten Afrika betrachten, beurteilen oder belehren, ist heute nicht nur überholt. Er lässt auch keinen Raum für freundschaftliche Beziehungen, die der Freiheit ein Zeichen setzen würden, da sie mit von Gerechtigkeit und Respekt geprägten Beziehungen vereinbar wären. Wenn es um Afrika geht, fehlt Frankreich derzeit schlicht der moralische Kredit, der es ihm erlauben würde, mit Gewissheit und Autorität zu sprechen.

      Aus diesem Grund wird die Rede des Nicolas Sarkozy in Dakar weder Gehör finden, noch von denen, an die sie sich richtete, ernst genommen werden.

      Übersetzt von Fritz Peter Kirsch

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