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Besser fix als fertig. Bernd HufnaglЧитать онлайн книгу.

Besser fix als fertig - Bernd Hufnagl


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wurden und zum Teil jahrmillionenlang annähernd unverändert funktioniert haben, so können wir wichtige Verhaltensweisen unseres Gehirns besser nachvollziehen.

      Ein Prinzip der Evolution ist es, altbewährte Strukturen nicht mehr aufgeben zu können, sondern in Funktion und Struktur, immer angepasst an neue Anforderungen, zu ergänzen oder zu überlagern. Ist der Keller eines Hauses also einmal gebaut und tragfähig, so kann das Erdgeschoss nur mehr darauf errichtet werden, wenn zuvor der Keller ganz fertiggestellt wurde. Das gilt auch, wenn man im fertigen Haus dann eigentlich gar keinen Keller mehr brauchen würde.

      Bei der Entwicklung eines Menschen (von der Befruchtung der Eizelle bis zum Neugeborenen) wird wie im Zeitraffer unsere gesamte stammesgeschichtliche Entwicklungsgeschichte durchlaufen. Man kann das in der Embryonalentwicklung deutlich sehen. Und es lässt einen fast schaudern, wenn man sieht, dass wir in einem bestimmten Entwicklungsstadium genauso ausgesehen haben wie Hai-Embryos. Von den Fischen und Amphibien zu den primitiven Säugetieren und schließlich zum Menschen durchläuft jeder von uns im Mutterleib die gesamte Evolutionsgeschichte. Es sollte also eigentlich alles an Struktur und Funktionen noch in uns vorhanden sein, was bereits vor Jahrmillionen „erfunden“ und erfolgreich eingesetzt wurde.

      Wo sind denn nun die praktischen Kiemen, das einfache Gehirn der Frösche und die (überaus männliche) Ganzkörperbehaarung geblieben? Die Kiemen gibt es bei uns Menschen wirklich, sie treten bei manchen, quasi als „Entwicklungsfehler“, wieder in Erscheinung. (Ich kenne sogar jemanden, der diese Kiemenanlagen ausgebildet hat. Hübsch sind sie jedenfalls nicht. Und ihre ursprüngliche Funktion erfüllen sie leider auch nicht. Schade). Bei der Ganzkörperbehaarung gilt Ähnliches, und wenn man Pech hat, ist auch noch das gesamte Gesicht behaart. Da wird die morgendliche Rasur zu Ganztagsbeschäftigung. Auch bei Frauen.

      Bei der Suche nach dem Verbleib des Froschgehirns wird es nun spannend und es soll uns zum eigentlichen Thema leiten.

      Die erste Erkenntnis, die uns einem besseren Verständnis näherbringen soll, ist erst rund hundert Jahre alt und stammt aus der Neuroanatomie: Wenn man ein Stück Gewebe aus unserem Hirnstamm und Kleinhirn (einem basalen, entwicklungsgeschichtlich sehr alten Bereich unseres Gehirns) mit dem Hirnstamm und Kleinhirn heute lebender Frösche vergleicht, ist das mikroskopische Erscheinungsbild der beiden Gewebsproben auffällig ähnlich. Sie haben denselben grundlegenden Bauplan, man könnte sagen: dieselbe Hardware, also denselben Prozessor.

      Die erste spannende Frage lautet also: Zeigt dieser Teil unserer Hardware, den wir seit rund 300 Millionen Jahren mit Amphibien als gemeinsames Erbe in uns tragen, auch noch immer dieselbe Input-Output-Logik? Ist noch immer die Software, die für das Überleben der ersten Landlebewesen programmiert worden ist, in uns aktiv? Sieht also ein Teil in uns auch jetzt – in dieser Sekunde – die Welt so, wie es ein Frosch tun würde, wenn er vor diesem Buch säße? Sie ahnen es schon: Ja! Denn neben den autonom ablaufenden Vitalfunktionen (wie Herzschlag, Atmung und dem Erlernen und der Koordination von Bewegungsabläufen) können in diesem Netzwerk, das wir von den Fröschen „geerbt“ haben, drei ganz zentrale Verhaltensimpulse ausgelöst werden, die schon Frösche zum Überleben benötigten:

      Erster Impuls: Friss alles auf, was du siehst – und zwar alles!

      Zum Thema Ernährung ist es nicht unwichtig, zu wissen, und nachvollziehbar, dass Millionen Jahre an Nahrungsknappheit einen Nahrungstrieb mit dieser Logik zur Folge hatten. Die Abhängigkeit (speziell des menschlichen Gehirns) von Zucker hatte zusätzlich die Koppelung mit unserem Belohnungssystem zur biologischen Folge. Um sicherzustellen, dass wir jede Zuckerquelle nutzen, werden wir bei Zuckerkonsum (und dabei genügt bereits der Anblick einer Süßspeise!) durch die Produktion des Belohnungshormons Dopamin belohnt. Wir sind also regelrecht „angefixt“ worden. Die bedrohliche Zunahme von Typ-II-Diabetikern („Altersdiabetiker“ – bereits bei unter Zehnjährigen zu finden) ist eine klare Folge des Überangebots an Zucker und nicht eine Folge von Unwissen über dessen Schädlichkeit! Die günstigen Preise für überzuckertes „Junkfood“ im Vergleich zu Obst und Gemüse tragen den Rest zur Misere bei.

      Zweiter Impuls: Fortpflanzung

      Ohne Sex keine Arterhaltung. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Sexuelle Fortpflanzung zwischen männlichen und weiblichen Organismen ist biologisch gesehen die „Version 2.0“ der Vermehrung. Die ursprüngliche Variante ist deutlich einfacher, wenn aber auch bestimmt nicht gerade lustvoll: Teilung. Jedenfalls hat sexuelle Fortpflanzung genetische Vorteile und hat sich bei komplexeren Organismen durchgesetzt. Mit einem entscheidenden Nachteil: Konkurrenz. Sie kennen das. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen, denn es begegnet uns, oft gut getarnt, im beruflichen Alltag wieder.

      Dritter Impuls: Aggression

      Er war ein geniales Selektionsprodukt der Evolution und ermöglichte den Umgang mit Konkurrenten um Nahrung und attraktive Sexualpartner. Der Aggressionstrieb läuft in drei automatisch aufeinanderfolgenden „Zündstufen“ ab: Stufe 1: „Schlag zu!“ Gelingt das nicht, weil der Gegner stärker ist, dann zünden wir Stufe 2: „Hau lieber ab!“ Und wenn das nicht funktioniert, weil der Weg versperrt ist, dann wird die finale Stufe gezündet: „Stell dich tot!“ Angriff, Flucht oder so tun, als ob wir nicht da sind: ein einfaches und erfolgreiches Programm, das uns in unterschiedlichsten Ausprägungen auch im Büroalltag begegnet. Jeder von uns, der schon einmal seine voreilig geschriebene, aggressive E-Mail am nächsten Tag noch einmal gelesen hat, ahnt jetzt, wer schuld ist: Der Frosch in uns hatte Stufe 1 gezündet. Bumm.

      Auch den Fluchtreflex kennen wir aus eigenem Erleben: Ein unangenehmes Gespräch mit dem Vorgesetzten sorgt bei vielen für den spürbaren Drang, den Raum sofort verlassen zu wollen. Im Froschgehirn wird dabei also hektisch und schon leicht verzweifelt Stufe 2 abgefackelt.

      Und durch bestimmte Lebensumstände und entsprechende Handlungsunfähigkeit in die Enge getrieben, kann es passieren, dass die finale Stufe gezündet wird: Wir stellen uns tot. Damit sind nicht jene Kolleginnen und Kollegen gemeint, die sich geschickt hinter Schreibtisch und Bildschirm verstecken und so tun, als ob sie nicht da wären. Es betrifft leider jene, die wirklich nicht mehr können und unter plötzlich auftretenden Antriebsstörungen leiden.

      Eine weitere wesentliche Eigenheit des „Froschgehirns“ besteht darin, dass Erlebnisse in diesem Netzwerk für nur zirka zwei Minuten gespeichert, also erinnert, werden können. Das bedeutet, dass unser Hirnstamm, der fressen, kopulieren und bei Bedrohung aggressiv sein muss, nach zwei Minuten wieder vergessen hat, was gerade passiert ist. Wunderbar, oder? Diese „leichte“ Einschränkung in der Erinnerungsfähigkeit funktioniert gut, solange die Fortpflanzungsstrategie eine Strategie der Massenvermehrung ist, bei der durch die hohe Anzahl der Nachkommen per Zufall genügend überleben, um die Arterhaltung zu sichern: Die Triebhandlung zum Ablaichen wird bei Froschweibchen durch den Anblick eines Feuchtbiotops ausgelöst. Hat das Weibchen abgelaicht, verlässt es den Ort des Geschehens, hat nach zwei Minuten alles wieder vergessen und zieht weiter. (Gut so, da kommt es wohl nicht vor, dass Karl-Heinz nach 30 Jahren noch immer zu Hause bei Mama wohnt. Dieses Problem muss wohl erst später entstanden sein.) Es gibt zwar bei einigen weiter entwickelten Froscharten Triebhandlungen, die der Brutpflege von Säugetieren ähneln, dies stellt aber kein durch Bindungstriebe ausgelöstes Verhalten dar. Energieinvestition in eine aufwendige Brutpflege ist bei der Massenvermehrung einfach nicht notwendig.

      In einem nächsten großen Entwicklungsschritt, vor rund 150 Millionen Jahren (für die Streber unter den Lesern: Trias, Jura, Kreide, die Zeit der tagaktiven Saurier), schafften es kleine, komplex gebaute Organismen, die Nacht als sichere biologische Nische zu nutzen. Die Entwicklung der ersten primitiven Säugetiere (anthropologischen Funden nach optisch vergleichbar mit heute lebenden Spitzmäusen) wurde durch die Entwicklung eines Stoffwechsels ermöglicht, der sie von der Wärme des Sonnenlichts unabhängig machte.


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