Der Geschichten-Adventskalender. Angelika RöbelЧитать онлайн книгу.
hielt vor Freude die Hände vor den Mund und nickte mit großen Augen. Lydia schaute die Puppe ein letztes Mal an und überreichte sie dann entschlossen dem Mädchen.
Mit Tränen der Freude in den Augen beobachtete der Vater aus einiger Entfernung das Geschehen.
So verteilte Lydia an diesem Abend all ihre schönen Geschenke an die armen Kinder aus dem Waisenhaus, die noch nie in ihrem Leben etwas Eigenes besessen hatten. Lydia war überhaupt nicht traurig darüber, dass sie am Ende kein Geschenk für sich behalten konnte. Sie hatte zehn Geschenke erhalten und da zehn Kinder im Heim waren, ging keines der Kinder leer aus. Sogar ihre Schleife erfreute ein kleines Mädchenherz. Lydia saß mit den Kindern auf dem Fußboden und freute sich mit ihnen. Sie lachten und spielten gemeinsam mit den schönen Geschenken. Noch nie hatten die Kinder so ein schönes Weihnachtsfest erlebt.
Der kleine Peter drückte seinen Teddybären mit einer Hand an sich. Mit der anderen Hand griff er in Lydias goldblonde Locken. Und dann sagte er laut, sodass es alle hören konnten: „Bist du ein Engel?“ Lydia sagte nichts. Endlich fand ihr suchender Blick den Vater und Lydia lächelte ihn an.
Ja, es war das Lächeln eines Engels.
3. Dezember
Die Geschichte vom kleinen Tannenbaum
Gleich war es geschafft! Ein schmaler Lichtstrahl war bereits zu sehen. Nur noch ein bisschen drücken! Ja, noch einmal – und die letzte Erde fiel von den kleinen zarten Zweigen. Kaum hatte das kleine Tannenbäumchen seine winzigen grünen Nadeln dem Licht entgegengeschoben, wurde es schon von den Älteren begrüßt.
„Sei willkommen in unserem Wald!“, hörte der kleine Spross. „Du hast dir aber einen schönen Platz ausgesucht. Fast den ganzen Tag wirst du die Sonnenstrahlen spüren können und wenn es regnet, stehen dir keine älteren Bäume im Weg, die dir das Wasser streitig machen. Somit hast du die besten Bedingungen zum Wachsen und sicher wirst du bald groß sein. Wenn du dann dem Förster gefällst, sucht er dich vielleicht sogar als Christbaum aus. Du musst wissen, dass das für uns Tannen die allergrößte Ehre wäre. Jeder von uns möchte irgendwann ein Christbaum sein. Manchmal erzählen und träumen wir davon, dass wir eines Tages schön geschmückt in einem Zimmer stehen und die Kinderaugen leuchten sehen. Leider aber hat jeder von uns irgendwelche Schönheitsfehler. Wir stehen zu eng beieinander und sind daher nicht so schön gewachsen. Aber du hast wahrscheinlich großes Glück, mein Kleiner.“
„Woher weißt du das mit dem Christbaum?“, unterbrach der kleine Spross die riesengroße Tanne.
„Weißt du, ich stehe hier schon seit vielen Jahrzehnten und bin der zweitgrößte Baum in diesem Wald.“ Dabei räkelte er sich stolz, sodass einige Tannenzapfen nach unten fielen. „Ich kann über alle Tannen hinwegsehen, sogar bis ins Dorf. Dort beobachte ich schon lange, wie die Menschen jedes Jahr zu dieser Zeit eine Tanne im Zimmer aufstellen. Man kann das durch die Fenster gut beobachten. Das Forsthaus am Waldrand ist gar nicht weit von hier entfernt und wenn dort das Fenster offen steht, kann ich mich mit der geschmückten Tanne sogar unterhalten. Dadurch wissen wir auch, was es für ein Vergnügen ist, wenn wir geschmückt werden und im Kerzenschein leuchten.“
Von nun an hatte unser kleiner Tannenbaum nur noch einen Traum. Er wollte selbstverständlich auch ein Christbaum werden. Und er gab sich große Mühe, schön gerade zu wachsen.
Als der Schnee zum dritten Mal getaut war, bemerkte ihn der Förster. Er ging um den kleinen Tannenbaum herum und sagte: „Ich glaube, aus dir könnte etwas werden!“ Interessiert zog er sein Maßband aus der Tasche, notierte sich Umfang und Größe in einem Büchlein und markierte sich dieses Bäumchen schon einmal.
Von nun an achtete der große alte Tannenbaum noch mehr auf den kleinen. Als eine Gruppe Rehe an seinen saftigen grünen Spitzen knabbern wollte, rüttelte die große Tanne ihre starken Zweige. Einige Tannenzapfen fielen geradewegs auf die Köpfe der Rehe. Erschrocken sprangen sie davon. In eiskalten Winternächten oder bei Sturm hielt er seine hohen großen Zweige schützend über den kleinen Tannenbaum, damit er prächtig gedeihen konnte.
Im vierten Winter war er bereits so groß, dass er mit seiner höchsten Spitze geradeso die Fenster des Försters sehen konnte. Am Heiligen Abend schaute der junge Tannenbaum verträumt durch das Fenster. Er hatte bereits tagsüber der Frau des Försters zugesehen, wie sie liebevoll den Christbaum mit bunten Kugeln, kleinen Engeln und Strohsternen schmückte. Jeden kräftigen Zweig zierte eine Kerze. Zum Schluss kam weißes Engelshaar über die Zweige.
„Ach, könnte ich doch in der Försterstube stehen!“, seufzte unser kleiner Baum und träumte weiter davon, bald groß genug zu sein, um auch so ein hübscher Christbaum zu werden. Er schaute an sich herunter und hob kurz seine kräftigsten Zweige an.
„Was tust du da?“, fragte der alte Tannenbaum.
„Ich schaue, ob meine Zweige stark genug sind, um die Kerzen halten zu können. Was meinst du, bin ich bald so weit?“
„Ich denke schon“, rauschte der alte Tannenbaum mit seinen Zweigen. „Du bist schön gerade gewachsen und da wir alle auf dich aufgepasst haben, hat kein Tier an deinen frischen Trieben geknabbert. Ich denke, dass du nächstes Jahr ganz bestimmt so weit bist. Der Förster beobachtet dich bereits seit einigen Jahren. Ich fühle genau, dass er mit dir etwas Besonders vorhat.“
Oh, wie hat dieses Gespräch unserem kleinen Tannenbaum gefallen! Richtig stolz war er, ja, glücklich und stolz. Er hatte wieder neuen Mut und Hoffnung von seinem Freund, dem alten Tannenbaum, geschöpft. Glücklich und zufrieden wuchs das Bäumchen weiter.
Die Jahreszeiten wechselten sich im gewohnten Rhythmus ab. Als der Herbst – der Malermann – mit seinen Farbtöpfen im Wald spazieren ging, um die Blätter bunt zu färben, kam auch wieder der Förster den kleinen Tannenbaum besuchen. Eine Hand hatte er auf dem Rücken liegen und mit der anderen fuhr er sich nachdenklich durch den dichten, grauen Bart. Er lief um den Tannenbaum herum, betrachtete ihn und machte sich Notizen.
Es vergingen wieder einige Wochen. Der Winter hatte mit einem gewaltigen Sturm alles unter einer dichten, weißen Schneedecke versteckt und unser Tannenbaum wurde immer trauriger.
„Hast du Kummer?“, fragte die große alte Tanne.
„Ja. Mich holt wieder keiner. Morgen ist Heiligabend und ich stehe immer noch hier. Dort drüben in der alten Schonung haben die Menschen bereits so viele Bäume geholt, aber mich hier am Rand sieht keiner.“
Wie nur konnte er seinen kleinen Freund trösten, gingen ihm doch ähnliche Gedanken durch die Baumkrone? Er verstand es selbst nicht.
Am nächsten Mittag jedoch hörte der große alte Tannenbaum schwere Schritte durch den hohen Schnee stapfen. Er sah den Förster kommen und in seinen Händen trug er ein Beil und eine Säge. „He, Kleiner, ich glaube, dein großer Traum geht endlich in Erfüllung! Schau mal, wer dort geradewegs auf dich zukommt!“
Im dichten Flockenwirbel blieb der Förster tatsächlich vor dem kleinen Tannenbaum stehen. Er fasste ihn am Stamm und schüttelte die Schneelast von den Zweigen. „Du bist der allerschönste Tannenbaum im ganzen Wald!“, sagte er liebevoll. „Hab keine Angst, was ich jetzt mit dir mache, wird nicht wehtun.“ Sicher hätte er das nicht gesagt, wenn er gewusst hätte, wie lange sich der kleine Tannenbaum schon darauf freute.
Mit den Händen machte der Förster den hohen Schnee am unteren Ende des Stammes weg und setzte zielgenau die Säge an. Durch das Quietschen der Säge erschraken zwei neugierige Eichhörnchen, die blitzschnell den Stamm der großen alten Tanne hinaufkletterten, um dort Schutz zu suchen.
„Mach’s gut, mein kleiner Freund, wir sind alle stolz auf dich! Von klein auf hattest du deinen Traum und nun endlich geht er in Erfüllung. Wenn der Förster dich selbst nimmt, dann können wir uns sehen, denn er lässt in der Weihnachtszeit immer seine Fensterläden offen.“
Ein bisschen schmerzte der Abschied schon. Aber als der Förster den Tannenbaum auf seine Schultern legte und sich auf den Heimweg machte, war der kleine Tannenbaum nur noch glücklich.
Im