100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard HeckmannЧитать онлайн книгу.
lang am See und feierten ihr Fest.
Das Smoke House hat sich seit damals auch kaum gewandelt. Unter seinem Dach hängen nur einige neue Utensilien, die David oder Wanderer nach hier brachten, wenn sie unter ihm rasteten, um danach ihren Weg auf dem nahen „Mackenzie Heritage Trail“ fortzusetzen. Dessen 420 Kilometer beginnen in der Nähe von Quesnel am Blackwater River und erreichen nach 300 Kilometer durch das Interior Plateau auch den Tweedsmuir Park, den er am Highway 20 wieder verlässt, um Bella Coola zu erreichen und den letzten der 1.800 Höhenmeter hinter sich zu bringen. Für die restlichen 65 Kilometer der historischen Route braucht man dann allerdings ein Boot, denn der Sir Mackenzie Provincial Park, der den „Mackenzie Felsen“ schützt, liegt am Nordufer des Dean Channels. 2010 hatten wir diesen Felsen auch auf dem Programm, aber als unsere Fähre in Ocean Falls ankerte, hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet und machte diesen kurzen Ausflug unmöglich. Der landschaftlich schönste Abschnitt auf dem „Mackenzie-Pfad“ sind jedoch die 80 Kilometer durch den „Tweedsmuir“, wo der Wanderer im Juni und Juli aber noch mit Schneefeldern und vollen Flüssen rechnen muss. Diese Tour ist allerdings eine schwere, und eine genaue Beschreibung gehört so zwingend ins Gepäck, wie die zahlreichen Abschnittskarten und ein GPS-Gerät. Mackenzie folgte diesen Indianerpfaden 1793 und erreichte das Bella Coola Tal nach vierzehn Tagen. Für ihn war es der letzte Abschnitt, um Kanada komplett, von „See zu See“, auf dem Landweg durchquert zu haben. Heute folgen begeisterte Wanderer seinen Spuren, die sich Teile, abzweigende Touren oder auch den gesamten Weg, den auch erfahrene Buschmarschierer nicht unter drei Wochen schaffen, zum Ziel setzen. Dank der Wasserflugzeuge lassen sich Ein- oder Ausstieg zwar wesentlich erleichtern, und auch bärensichere Verpflegungsdepots anlegen, doch der Tweedsmuir-Provinzpark ist reine Wildnis und nichts für „Anfänger“ ohne Führer. Hitze, Schneesturm, Regen, schweres Gelände und Flussdurchquerungen sind aber auch dann zu überstehen, um diese Herausforderung als großartiges Erlebnis zu meistern.
Der Standplatz des Smoke Houses war strategisch gut gewählt, weil sich hier einige der wichtigsten Indianerpfade früherer Zeit treffen. So gehören der „Nuxalk Carrier Grease Trail“ und der „Rainbow Valley Trail“, die beide von den Pfaden „Ulkatcho Bella Coola “ und „Salmon House“ gekreuzt werden, heute zur „Mackenzie Heritage Route“. Und warum „Grease Trail“? Weil über diese Pfade das Fischöl der Küstenindianer in das Innere des Landes getragen wurde, das als Nahrung oder Medizin Verwendung fand. Gewonnen wurde es von dem zwanzig Zentimeter langen „Euchlachon“ (silberne Seiten, brauner bis schwarzer Rücken), den die Eingeborenen auch „Saviour-Fish“ (Retter, Erlöser) nannten, weil er der erste war, der nach einem langen Winter die Flüsse hochschwamm und das Hungern beendete. Die ersten Siedler bezeichneten diesen Dünnling, der, im getrockneten Zustand wie eine Kerze fungierte, auch Candle-Fish.
Für uns war das „Räucherhaus“, auf dessen Wiesen wir die Zelte ein letztes Mal aufschlugen, ebenfalls ein wunderschöner Platz. An drei Seiten von Wald begrenzt eilt der Blick nach vorn über die Wiesen und hinunter zu dem See mit seinen schilfbewachsenen Ufern und Wasserarmen Und ganz in der Nähe rauscht auch noch ein Wasserfall. Das stimmt friedlich und ist Balsam fürs Gemüt. Ein wenig Wehmut schleicht sich bei diesem sanften Anblick aber auch ein, denn morgen, am späten Nachmittag, wird die Beaver auf dem See landen und uns abholen. Die Pferde werden wir früh am Tag noch einmal satteln, aber danach geht er hier, am südlichsten der drei in einander übergehende Tanya Lakes, unwiderruflich zu Ende, der kurze Traum vom Tweedsmuir Park. Aus diesem See entspringt auch der Takia River, der nach zwanzig Meilen seine Wasser dem Dean-Fluss übergibt. Und unweit dieser Mündung liegen mit den „Salmon House Falls“ auch die einstigen Fischgründe der Indianer dieser Region. Ihren Namen verdankten die Fälle den vom Wasser ausgespülten Felshöhlen, in deren ruhigem Wasser sich die Lachse ausruhen, ehe sie den Fall überwinden. Der Weg nach dort ist allerdings beschwerlich und führt über sehr zerklüftetes Terrain, so dass unsere Zeit dafür nicht mehr ausreicht.
War es überhaupt wichtig, dass der „White Man“ eine Landroute zum Pacific zu finden suchte, wenn es schon andere Einwohner gab, die hier seit der Zeiten der Gletscher zu Hause waren? War es richtig, dass sie Mackenzie und seinen Leuten als Gastgeber dienten, sie verpflegten und ihnen den Weg zur Küste zeigten? Mit dem weißen Mann, der ihnen den Namen „Indians“ gab und sich damit geographisch um „eine halbe Welt“ irrte, kamen praktische Handelsgüter, aber auch die Pocken, Geschlechtskrankheiten und Alkohol in das Land, das ihnen größtenteils auch noch genommen wurde. Wenn die ersten Schritte der Europäer noch eine Art Blick ins Paradies waren, begannen sie mit ihrem Betreten dieses auch gleich zu zerstören, als sie in eine intakte Wildnis massiv eingriffen? Erst wurden die Büffel, dann die Bieber fast ausgerottet, und auch mit den Eingeborenen, von denen viele durch die fehlenden Büffel ihre Lebensgrundlage verloren, wurde nicht zimperlich verfahren, ehe Holzschlag und seine Abfahrtwege, Stromleitungen oder Allrad-Trucks ihre Spuren hinterließen. Gut, dass der Mensch gelernt hat umzudenken. und nun versucht, beides in Einklang zu bringen, die Erhaltung der Natur und seine eigenen Interessen. Für die Indianer ist der Mackenzie-Trail, auch Grease Trail oder West Road genannt, keine Errungenschaft des „Weißen Mannes“, sondern ein „Non-Event“, denn letztlich ist es ihr Pfad, der einer ihrer uralten Verbindungen im Trailnetz des kanadischen Westen war. Dass man sich darauf besann, solche Gebiete zu schützen und auch die Ureinwohner daran teilhaben zu lassen, muss als kluge und mutige Entscheidung gelten, doch wenn die Besucher der Nationalparks nicht begreifen sollten, dass die Natur nicht allein auf diese beschränkt ist, dann hätten wir verloren.
Nach einem ersten „Ankunfts-Kaffee“ hatten wir alle mitgeholfen, das Smoke House häuslich einzurichten und auch Joyse’s Küche wieder entstehen zu lassen. Paul kümmerte sich danach um die Pferde, David und ich um neues Feuerholz. Der Verbrauch muss stets ersetzt werden, und bei der Auswahl war David nur auf verdorrte und umgestürzte Bäume bedacht, deren gesägte Klötzer von Ferdl gehackt und John gestapelt wurden. Anschließend erledigte jeder seinen eigenen Kram. Für mich hieß das Packsäcke holen, einen geeigneten Zeltplatz auf der Wiese aussuchen und unsere gelb-blaue Bleibe aufzubauen. Und als die kleine Behausung gerade so steht, kommen auch schon die Pferde, fegen zwischen den Zelten entlang und galoppieren zielstrebig durch eine kleine Schlucht zu ihrer Wiese unten am See. Die, die sich „ohne“ nachts zu weit vom Lager entfernen, sind zwar an den Vorderbeinen „gekoppelt“ und können nur kleinere Schritte machen, aber sie haben längst eine Technik entwickelt, die sie nur wenig langsamer sein lässt. Sie erlaubt ihnen sogar den kürzeren Weg über zwei kleine Gräben zu nehmen, die sie ganz locker springen. Nur der vierjährige Fuchs, der erstmals dabei ist und Säge, Äxte und Benzin trug, der hat den Dreh mit den Vorderbeinen noch nicht raus und hoppelt wie ein Schaukelpferd hinterher. Er hat heute aber auch alle Zeit der Welt, nur Paul hatte es eilig, den sein Nachbar noch vor dem Abendessen mit dem Wasserflugzeug abholte, denn bis Montagfrüh hat er frei und will zu seiner Familie. Für alle anderen wird es ein langer, schöner Sommerabend am Feuer. Für uns Gäste ist es zwar der letzte hier draußen, doch ganz zu Ende ist weder diese Geschichte, noch unsere Reise.
Am nächsten Morgen ist Samstag, und wieder meint es die Sonne mit uns gut, als wir zu dem nahem Wasserfall gehen, wo uns David den Lachsfang mit dem Speer zeigen wollte. Es ist aber ganz gut, dass die großen Fische noch nicht da sind, denn ob an der Angel oder am Speer, ich muss das nicht unbedingt sehen. Auf dem kurzen und schönen Heimweg können wir an den vielen leckeren Huckle- und Salmon Berries nicht so einfach vorbeigehen, und nehmen uns für die letzteren, eine Art große Himbeere, leicht säuerlich und sehr wohlschmeckend, ein paar Minuten Zeit, um sie in den Lederhut zu pflücken, bis Willie und Rio ein Stückchen voraus ein furchtbares Spektakel beginnen. Der Grund war ein Schwarzbär, der vor ihnen auf einen Baum geflüchtet war. Er war einer der jüngeren und gehörte noch nicht zu den ausgepufften Revierbesitzern, die den Weg so schnell nicht räumen wenn sie angekläfft werden. Als wir seinen Baum alle weit genug hinter uns hatten pfiff David die Hunde zurück, und im Wald wurde es wieder still.
Am frühen Mittag steigen wir letztmals in die Sättel und reiten hinüber zur anderen Seite des Sees um die Hütte zu besuchen, die Davids Großvater Lester noch gebaut hat, und die in sehr gutem Zustand ist. Genutzt wird sie als Jagdhütte und Zuflucht für Wanderer, die auf dem langen Trail durch den Park unterwegs sind. Und zwei von diesen eisernen „Hikers“ schultern gerade ihre schweren Rucksäcke zum Weitermarsch, als wir den Holzbohlenbau erreichen.