Ein Wandel der Gesinnung. Hanspeter GötzeЧитать онлайн книгу.
längeren intensiven Partnerschaft. Hinzu gesellt sich zudem die finanzielle Situation, welche sich kontinuierlich verschlechtert. Die Tage des Wohlstands beschränken sich auf ein Drittel des Monats, während das Wachstum der Schulden durch stetige Kneipengänge unentwegt ansteigt. Ich bin nur dann ein guter Mensch, wenn ich den anderen etwas ausgebe, sie mit dummen Sprüchen unterhalte, bis sich in meinem Portemonnaie nichts mehr rührt. Danach werde ich fallen gelassen wie eine reife Kastanie, verlasse wie ein begossener Pudel die Wirkungsstätte und hoffe inständig, am nächsten Ersten eine weitere Chance zur Aufnahme im bestehenden Säuferclub zu bekommen. So geschehen in einer kleinen Ortschaft in Niedersachsen während meiner Zeit als Messekaufmann. Ein als Dorftrottel und Säufer bekannter Mann machte eines Tages einen unerwarteten Millionengewinn im Lotto. Er nutzte das Geld zum Einkauf in die noble Gesellschaft und trank sich dann mit Champagner zu Tode.
Auch ich stand bei unerwarteter finanzieller Zuwendung unter dem Druck des sofortigen Wiederausgebens, der sich erst legte, wenn der letzte Cent unter die Leute gebracht war. Glück und Freundschaft kann man weder kaufen noch leasen. Ich zog mich nach solchen Enttäuschungen meist in meine vier Wände zurück und schmiedete Pläne, wie man die Bierüberbrückung bis zum Monatsende bewerkstelligen könnte. Dies beschäftigte sogar das zur Untätigkeit verdammte Gehirn und ließ das noch vorhandene Organisationstalent wieder aufblitzen. Der damalige Freundeskreis ließ bei der Alkoholversorgung keinen Engpass zu und half in jeder misslichen Lage.
Durch die ständige Trinkerei wurden Zielsetzungen oder geplante Vorhaben dermaßen beeinflusst, dass es nie zu einer Vollendung kam. Die anfängliche Euphorie verschwand spätestens nach dem dritten Bier und betraf in den meisten Fällen Tätigkeiten, welche zu meinen Gunsten hätten ausgeführt werden sollen. Wie oft wollte ich mein Wohnzimmer inklusive Schreibtisch neu gestalten? Kam ich dann unerwartet zu einem kleinen Reichtum, wurde dieser umgehend in einem Elektrogeschäft ausgegeben. Ein neuer Flachbildmonitor samt Tastatur und Lautsprecher bildete einen Teil der Neuanschaffungen. Tagelang saß ich vor den ungeöffneten Paketen und überlegte beim Biereinschenken, wann denn der beste Termin zum Auspacken wäre. Doch mit zunehmendem Trinken wurde ich immer unentschlossener und gönnte mir eine Denkpause in der nahe gelegenen Stammkneipe. So verstrich die Zeit ohne nennenswerte Aktionen. Nach zwei Wochen ging dann endlich das Geld aus und ich konnte dank des einbehaltenen Kassenbons die unbenutzte Ware beim Händler gegen Bargeld wieder eintauschen. Im Nachhinein gesehen, war diese Handlung wie bei ähnlichen Taten in der Vergangenheit zum Scheitern verurteilt, da die Anschaffung von Alkohol immer Vorrang hatte.
Viele sogenannte Vorhaben wurden durch den kleinen Teufel in mir schon bei der Entstehung ausgebremst und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Diese auftretende Lustlosigkeit zog sich wie ein langer Faden hinterher und ich unternahm keinerlei Anstalten, ihn durchzuschneiden. Dadurch kam es zu einer Anhäufung von liegen gebliebenen und unerledigten Dingen, welche jedoch nur den privaten Bereich betrafen. Möglichkeiten zu einer Änderung waren zwar gegeben, doch wurden diese bewusst von mir übersehen. Ich entwickelte mich zu einem Trickser, der je nach Laune die anfallenden Arbeiten so geschickt verteilte, dass keine davon jemals ein Ende fand. Im Gegensatz zu einigen Bauwerken in unserem Land konnte ich dies alles ohne fremde Hilfe bewerkstelligen. Da die Tage durch die ständigen Kneipengänge von vornherein kürzer waren, war es unmöglich, einen Termin für die Fertigstellung zu benennen. Zu der Unlust gesellte sich noch eine Vielzahl an Notlügen, welche die Pläne letztendlich begruben.
Unterstützung bei der Nichtausführung anfallender Tätigkeiten erhielt ich von den Kumpels, welche in ähnlichen Situationen gleichermaßen verfuhren. In geselliger Runde wurde mein Handeln befürwortet und gleichzeitig auch Hilfe bei der Lösung des Problems angeboten. Nachdem der Alkoholspiegel gestiegen war, befand ich mich plötzlich inmitten von Fachleuten, deren Arbeitsweise ich zur Genüge kannte. Einer von ihnen tapezierte sein Wohnzimmer aus Zeitgründen um die Möbel herum und rechtfertigte sein Tun mit der Aussage: „Das sieht sowieso keiner.“ Ein Weiterer wiederum beherbergte seit Jahren zwei Zementsäcke im Hausflur, welche für die Ausbesserung der Treppe vorgesehen waren. Ich hörte mir den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag an, verzichtete aber letztendlich auf eine Mithilfe.
Eine andere Variante der Terminverschiebung bei auftretenden Verpflichtungen gegenüber Ämtern und Behörden entwickelte ich nach dem Ermessen des körperlichen Zustands. Bei unumgänglichen Besprechungen wurde am Vortag der Bierkonsum reduziert und vor dem Gespräch der Atem mit Pfefferminz kaschiert. Arztbesuche nahm ich nur dann in Anspruch, wenn ich den Kopf schon unter dem Arm trug. Selbst bei Vorstellungsgesprächen war mir der Ernst der Lage nicht bewusst, daher erhielt ich folgerichtig nach den unkontrollierten Auftritten die Absagen vonseiten der Arbeitgeber. Ein Pflicht- oder Verantwortungsbewusstsein gab es bei mir nicht mehr. Erlittene Niederlagen und den damit verbundenen Frust spülte man mit Weizenbier herunter.
Es gab aber auch lichte Momente, in denen sich das Blatt zu wenden schien. So geschehen bei den zahlreichen Krankenhausaufenthalten, bei denen ich die Zeit zum Nachdenken nutzte. Die dort gefassten Zielvorhaben wurden einige Tage in die Tat umgesetzt, doch schien ein endgültiger Durchbruch bei den sich angehäuften Arbeiten nicht zu gelingen. Also suchte ich nach anfänglichem Eifer ohne nennenswerte Erfolge wieder meine Stammkneipe auf und erzählte allen von den guten Absichten.
Wollte man zum Kreis der Elite zählen, wurde das tägliche Erscheinen zu einer Art Pflichtleistung. Zudem hatte man die Möglichkeit, die Gespräche vom Vortag nochmals mitzuhören, da es an sonstigen Neuigkeiten mangelte. Die Themenvielfalt bei den stattfindenden Unterhaltungen war sehr eingeschränkt und es bedurfte schon einer Topmeldung, um das Interesse der meist in sich gekehrten Gäste zu wecken.
Zu einem Muss gehörte auch das gemeinsame Anschauen eines Fußballspiels. Da die meisten Übertragungen erst abends stattfanden, das Gros sich aber schon den ganzen Tag im Lokal abmühte, saßen die Nüchternsten in der ersten Reihe. Die dahinter Platzierten, welche alles in 4D sahen, erfuhren in der Halbzeit beziehungsweise am Ende den wahren Spielverlauf. Auch ich war gegen Sehstörungen nicht gefeit und sah teils 44 Spieler dem Ball hinterherjagen. Dieses Handicap wurde durch das Zuhalten eines Auges von mir bewältigt.
Natürlich gingen diese ständigen Gaststättenbesuche nicht spurlos an meinem Geldbeutel vorbei. Mit der Zeit verlor ich jeglichen Bezug zu den Finanzen, rechnete in Weizenbier anstelle von Euros und gab mich erst zufrieden, wenn ich pleite war. Mein Lieblingsgetränk kostete damals in der Gastronomie 2,50 Euro. Nahm ich für zu Hause die billige Variante aus dem Discounter, erhielt ich für das gleiche Geld sechs Flaschen, die die Hälfte des Tagesbedarfs deckten. In besonders schweren Zeiten konnte ich mich mit dem Pfandgeld noch einigermaßen über Wasser halten. Um Aufsehen zu vermeiden, verlief die Flaschenrückgabe meist in den dunklen Abendstunden und bereitete nur in den Sommermonaten Schwierigkeiten.
Bei vorrückendem Ultimo entstand immer gähnende Leere im Geldbeutel und ich musste mich wieder auf das Organisationstalent verlassen. Man verlagerte das Suchtbegehren von der Kneipe in die Privatwohnungen guter Bekannter, in denen man das gemeinsame Interesse ausgiebig wahrnahm. Es wurde sogar gekocht und bei Bedarf auch gesprochen. Damit das feuchtfröhliche Gelage keinen abrupten Abbruch erlitt, sorgten die Beteiligten schon im Voraus für klare Verhältnisse. Der eine stand am Herd und der andere vor der Pfandflaschenstation. Zusammen mit den letzten Hinterlassenschaften aus der Geldkassette besorgte man das flüssige Gold, welches einen reibungslosen Abend gewährleistete. Um die „gute“ Laune nicht zu kippen, ließ ich mir zum x-ten Mal einen Schwank aus alten Trinkerzeiten erzählen, welcher sich aufgrund des Zustands ewig in die Länge zog. Obwohl mich das alles langweilte, hielt ich allein schon wegen der Sucht bis zur letzten Flasche durch. Diese energielosen Anekdoten zeigen auf, mit welcher Unbekümmertheit ich dem Suchtverhalten freien Lauf ließ. Selbst wenn ich die Ohren auf Durchzug stellte, beugte ich mich trotzdem dem leeren Gefasel, um dem eigenen Körper durch den Alkohol noch mehr zu schaden.
Durch die eigene Wohnung und die Teilzeitarbeit blieb mir das Schicksal von einigen Leidensgenossen erspart. Diese zogen, ähnlich wie Berber, durch die Lokale und versuchten dort, durch geschickte Verstellung ihrer tatsächlichen Lebenslage bei einem Unwissenden eine Unterkunft inklusive Speis und Trank zu ergattern. Mein Verdienst reichte für den täglichen Bierkonsum bei Weitem nicht aus, sodass es eines genau durchdachten Finanzplanes bedurfte. Die Deckel in den Kneipen wurden immer zum Ersten beglichen und für die sonstigen