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Der verborgene Dämon. Detlef AmendeЧитать онлайн книгу.

Der verborgene Dämon - Detlef Amende


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dem Verbündeten Saudi-Arabien nachkommen. Dieser hatte wegen der Flüchtlingsströme aus dem Oman nach Norden den Notstand ausgerufen und sein Militär in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Hilfe von der UNO war nicht mehr zu erwarten und es bestand nach wie vor die Absicht, sich vor der Ebola-Pandemie in Afrika schützen zu wollen. Aber genauere Informationen bekamen auch wir im Cyberwar-Abwehrzentrum nicht. Was jedoch durch die von uns über dem Nahen Osten ferngesteuerten unbemannten Drohnen heraus kam, war der Umstand, dass sowohl Euphrat und Tigris als auch der Jordan an ihren mittleren Flussläufen fast vollständig ausgetrocknet waren. Wir registrierten in einigen Abhöraktionen, dass man sich dort mit aller Kraft gegen das einsetzende Massensterben stemmte. Doch die Wiege der Menschheit schien zu verdursten. Meine Anschauung von der Welt begann sich so durch mehr und mehr ambivalente Gedanken zu differenzieren und nach diesem Jahr des Pflichtwehrdienstes fühlte ich mich merklich erleichtert und wie befreit, den Blick von jenen, sicherlich nur ansatzweise erlebten menschlichen Abgründen weg wieder nach vorn richten zu können. Ich will studieren! Aber welches Fach? Auch darüber hatte ich schon früher oft mit den Eltern diskutiert und Mutter meinte, dass nicht eine spezielle Fachrichtung das Beste wäre, sondern die Zukunft in bestimmten Fachkombinationen liege. Das fand ich auch, denn genau diese übergreifende Sichtweise war damals in der Schule bei unserem objektorientierten Unterricht das Ziel der Methoden- und Wissensvermittlung gewesen. Nach einigem Hin und Her entschied ich mich für die Biophysik. Na klar, die Königin der Wissenschaften, die Physik brauche ich überall. Zusammen mit Biologie eröffnete sie mir Möglichkeiten, meinem Hobby ‚Umwelt‘ weiter nachzugehen und vielleicht später auch, mich auf dem Gebiet der Bionik zu spezialisieren. Dort an der Schnittstelle zwischen Elektronik und Biologie, sind Physik, Medizin, Molekularbiologie und im besonderen Kreativität und Phantasie gefordert. Das wäre wirklich fachübergreifend. Gesagt, getan.

       MONTEVIDEO, IM JAHRE 2100

      Ich seufze. Kraftlos sinkt meine rechte Hand auf das Papier. Der Stift entgleitet den zitternden Fingern, rollt wenige Umdrehungen nach rechts. Ich bin müde. Reflektieren und Aufbereiten ist anstrengend, Methusalem, denke ich und grinse vor mich hin. Die Bilder meiner Jugend sind noch so lebendig und gegenwärtig, dass ich verwundert den Kopf schüttele – so, als wollte ich mich von ihnen befreien wie von einem Luftschloss. Nein, diese Epoche persönlicher Unschuld war eine schöne Zeit. Wie in einem Film habe ich meine jungen Jahre ablaufen sehen, meistens schneller, als ich schreiben konnte. Die Augenlider fallen zu, was mich auf die Idee bringt, jetzt doch besser schlafen zu gehen. Ich nehme noch den Stapel von Schreibblöcken wahr, den mir Gernot vor einigen Tagen aus der Stadt mitgebracht und auf die Ecke des Schreibtisches gelegt hat, strecke die Glieder und mache mich auf den anstrengenden Weg zum Bett. Beim Einschlafen sehe ich mich im Traum das Gebäude der Ludwig-Maximilians-Universität in München betreten – wenn ich nur noch wüsste …

      Der neue Morgen scheint voller Unruhe. Stimmen und das bekannte Knarzen der fünften Treppenstufe rufen mich ins Bewusstsein.

      „Vater?!“ Das Klopfen an der Schlafzimmertür reißt mich aus dem Halbschlaf. Was will Gernot schon so früh hier oben?

      „Ja!“, entfährt es mir ungewollt grillig und ein kurzer Blick nach oben zum Kopfende, wo mein uralter Wecker immer noch mit beruhigender Regelmäßigkeit vor sich hin tickt, erschreckt mich. Was – schon so spät?

      „Komm raus aus den Federn!“ Den Kopf durch den Türspalt steckend, grinst mich mein Sohn an. Gestern Abend ist es wohl ungewollt recht spät geworden. „Wir haben heute unten Frühstück für dich vorbereitet, da kannst du nachher gleich mal wieder nach deinen Palmchen sehen!“

      Was heißt hier ‚Palmchen‘, das ist ein grandioses, floristisches Pentagon! Hoffentlich ist Lishas Kaffee stark genug, ich brauche heute Extra-Coffein. Als ich eine halbe Stunde später unten ankomme und den stützenden Arm vom Handlauf der Treppe löse, erreicht mich ein wohltuender Duft frischer Brötchen. Lecker – jetzt noch eine Messerspitze von dem würzigen Kastaniensirup, drei Löffel Zucker in die nur mittelgroße Tasse Kaffee und die Welt ist in Ordnung. Lisha lächelt mir auf ihre unnachahmliche Weise aus dem Rollstuhl entgegen.

      „Guten Morgen! Und lass es dir schmecken!“, sagt sie und ergänzt dann: „Du hast die letzten Wochen lange gearbeitet. Verausgabe dich nicht, Vater!“

      Gernot bemerkt:

      „Übrigens: Hier liegt noch Post für dich, von deinem ehemaligen Institut in Potsdam.“

      „Das hat Zeit. Erstmal danke fürs Frühstück, Lisha. Aber ja – ich stehe erst am Anfang und werde mir meine Kraft besser einteilen müssen. Welche Erinnerungen beim Schreiben so hochkommen, ist auch für mich selber interessant.“ Genüsslich schlürfe ich den heißen Kaffee vom Tassenrand und zelebriere regelrecht das Prozedere, kleine Brötchenstücke mit einem Berg Butter und vorher kalt gestelltem, weil dann in seiner Viskosität reduziertem Sirup zu beschichten.

      Lisha erzählt: „Federico hat mir gestern beim Spaziergang ganz stolz berichtet, dass er neuen Tannat aus Canelones besorgt hat.“

      „Mit anderen Worten, er will wissen, was ich alles aufschreibe?“ Trotzig füge ich hinzu: „Das ist für euch, nicht für den Werkspion!“

      Gernot wird aufmerksam. „Wie meinst du das denn?“

      „Na, ich hab da so einen … – egal, wart‘s ab.“

      Nachdem ich die zweite Tasse Kaffee ausgetrunken zurückgestellt habe, sage ich im Aufstehen zu beiden: „Ich gehe jetzt erstmal kurz an die Luft.“ Und mit Zwinkern Richtung Gernot: „Nach meinen ‚Palmchen‘ schauen!“

      „Vergiss nicht, sie zu zählen!“, frotzelt Lisha und fügt hinzu: „Mittag gibt‘s heute erst halb zwei.“

      Es hat die vergangenen Tage einige Male geregnet und als ich vor die Haustür trete, kann ich mir eingestehen, dass an meinem Palmen-Pentagon derzeit glücklicherweise nicht viel zu tun ist. Also geht’s ran ans Papier, Methusalem: Treppe hoch, oben noch mal lüften und auf in die nächste Runde.

      „Wisch dir die Füße ab, Vater!“, ruft eine wohlbekannte Stimme wie immer aus der Küche. Ich nehme diesen Brief vom PIK mit und lege ihn in meinem Arbeitszimmer beiläufig auf den Stapel der schon lange unerledigten Post. Langsam lasse ich mich in den Sessel sinken und komme zum Nachdenken. Warum nur steht sich der Mensch selber derart im Weg? Geht denn der Staffelstab der Entwicklung nicht von den Kohlenwasserstoffmolekülen über die DNA und die Zelle und von dort über das Organ zum Organismus? Beim Menschen entwickelte sich das individuelle Bewusstsein, er überlebte nur in Horden und Gruppennormativen bildeten sich. In allen verschiedenen Kulturen war das Erklimmen der nächsten Stufe mit der Entstehung von Nationen und der Ausprägung der ihnen eigenen gesellschaftlichen Regeln verbunden. Der darauf folgende Schritt kann doch nur in der Bildung einer gemeinsamen Zivilisation bestehen. Auf allen Ebenen ist mit Erreichen dieser jeweils nächsten Stufe die Vorangegangene als Struktur enthalten. Diese Struktur muss man ‚aufheben‘ – im dreifachen Hegelschen Sinne: negieren - hochheben - archivieren. Damit wären in einer gemeinsamen Zivilisation die verschiedenen Nationen und Kulturen nicht verschwunden, sondern sie bildeten gerade die Struktur der neuen Ebene. Aber dazu bedürfte es auch einer neuen Qualität gesellschaftlichen Bewusstseins, einer Art kollektiven Gewissens. In diesem Moment bemerke ich, wie schnell man Gefahr läuft, in seichte Philosophie abzugleiten. Konzentrier dich, Methusalem, rufe ich mich zur Disziplin und setze erneut das Schreiben fort.

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