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Der verborgene Dämon. Detlef AmendeЧитать онлайн книгу.

Der verborgene Dämon - Detlef Amende


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die weitere schnelle Ausbreitung einzudämmen. Seit einigen Tagen schon wurden sämtliche Touristen aus Afrika ausgeflogen, und wir hatten nichts, aber auch gar nichts mitbekommen. Kopfschütteln. Unser Konvoi aus olivgrünen Bussen fuhr am Flughafen mit hoher Geschwindigkeit direkt aufs Rollfeld. Menschen über Menschen. Von überall her trafen weitere Konvois ein. Das Gepäck wurde in aller Eile von Hand in den Flugzeugen verstaut. Ständig starteten Maschinen. Nach kurzer Zeit hob auch unser Flieger ab.

      Wir hatten doch eine Woche Spaß, und der Rückflug war ganz geschmeidig. So frotzelte ich am Tag nach unserer Rückkehr, als die Eltern noch beim Auspacken waren. Mutter fragte entsetzt, wie man denn die Leute ruhig dorthin in Urlaub fliegen lassen, und nur eine Woche später eine derartige Grundsatzentscheidung treffen könne. Vater meinte, wir sollten froh sein, dort überhaupt noch weggekommen zu sein. Nach dem Abendessen saß ich wieder einmal gemeinsam mit den Eltern vor dem Fernseher, um Nachrichtensendungen zu schauen. Wir wollten uns informieren und endlich das ganze Ausmaß dieser Tragödie wissen. Doch nur spärliche Informationen und Bilder standen zur Verfügung, niemand wusste so recht Bescheid. Die Krankheit hatte sich über den gesamten Kontinent ausgebreitet. Der internationale Flugverkehr von und nach Afrika wurde weltweit komplett eingestellt. Rohstoffe und Güter von Algier bis Mogadishu, von Monrovia bis Dar es Salam und von Luanda bis Maputo durften ab sofort nur in wenigen, äußerst strengen Quarantänevorschriften unterworfenen Häfen verschifft werden. Kriegsschiffe lagen vor wichtigen Küstenstädten und überwachten den unter diesen Umständen noch realisierbaren Export von Baumwolle, Kakao, Kaffee, Bananen oder Rohdiamanten. Von den Journalisten, die sich auf eigene Faust und unter hohem Risiko auf den Weg begeben hatten, um zu berichten, kehrten die meisten nicht wieder zurück. Luftaufnahmen zeigten in den ländlichen Gebieten überall verlassene Dörfer und Siedlungen. Amerikas „Lichtsekte“ triumphierte. Nun sei der Moment gekommen, die Erde den Erbärmlichen zu überlassen und hinan zu steigen auf dem göttlichen Wege zur ewigen Schönheit. Doch die Lebenden wollten leben und begaben sich auf den langen und tödlichen Weg nach Norden und Osten. Zirka zwei Monate nach unserem tollen Urlaub erreichten die gewaltigen Flüchtlingsströme Djibouti. Dort an der Meerenge von Bab al-Mandab beträgt die Entfernung zur arabischen Halbinsel nur etwa sechzig Kilometer. Auch an der Mittelmeerküste bildeten sich immer größere Zelt- und Hüttenlager der Flüchtenden. Menschenansammlungen, wie gemacht, um Ebola weiter zu übertragen. Doch die Wanderung der Elenden war bereits seit längerem beobachtet worden, die Welt gedachte, sich zu schützen. Saudi-arabische und US-amerikanische Kriegsschiffe erwarteten die Sterbenden im Roten Meer und im Golf von Aden. NATO-Verbände waren auf Malta, Sizilien und Gibraltar in Alarmbereitschaft versetzt worden und zwischen Zypern und Israel bereiteten sich mehrere große Flugzeugträger auf ihren Einsatz gegen die Todgeweihten vor. Zeitgleich mit dem Abwurf von unzähligen Hilfspaketen über den Küstenlinien fielen draußen auf dem Meer die ersten Schüsse auf Schlauchboote, Flöße und kleinere Kutter der einheimischen Fischer.

      Tief geschockt von dieser Gnadenlosigkeit menschlichen Handels stellte ich mir die Frage: Auf welche Gewalt kann man verzichten, wie viel Hilfe kann man leisten, um dennoch die Zahl der außerhalb Afrikas neu infizierten Menschen in einer beherrschbar kleinen Größenordnung zu halten? Dies fragte ich einmal in der Unterrichtspause unseren Politiklehrer, der in seiner väterlichen Art antwortete, ich solle nicht so viel grübeln. In zugespitzten Situationen seien oft extreme Handlungsweisen notwendig, meine Fragestellung hingegen wäre nur in der Entstehungsphase einer solchen Situation zulässig. Ob denn dann der vollständige Verzicht auf jegliche Gewalt eine Lösung sei, fragte ich unbefriedigt nach. Möglich. Aber nur, wenn alle dem Prinzip folgten! Doch so eine Einstellung erschwerte mir den uns jungen Männern nach dem Abitur bevorstehenden Wehrdienst nur. Innerer Pazifismus biete keine Hilfe bei der Bewältigung unsinniger Herausforderungen. Ich sprach oft mit Vater über dieses Thema und er gab mir den Rat, mich – wenn dies gelänge – für den Bereich Cyberwar-Abwehr einteilen zu lassen. Das wäre bei meinen Computerkenntnissen und schulischen Leistungen erreichbar. Ich würde Einiges dazu lernen und müsste zumindest nach der Grundausbildung nicht nur „herumballern“. Eine solche Argumentation fand ich überzeugend und umso höher war ich motiviert, das bevorstehende Abitur möglichst mit der Note eins abzuschließen. Das allerdings war schon eine Herausforderung, obwohl alle Schüler bestimmte Prüfungen auswählen und so ihre Stärken in den Vordergrund stellen konnten. Ich entschied mich für Physik, Mathematik und Biologie – meine Lieblingsfächer. Trotzdem spürten wir alle eine riesige Anspannung vor den schriftlichen und mündlichen Prüfungen, aber als diese hinter uns lagen, war die Erleichterung umso größer. Ich hatte mit einem Durchschnitt von 1,2 mein Ziel nur knapp verfehlt und nun fühlten wir uns wie die gemachten Leute: Was kostet die Welt? Nichts – sie gehört uns! Was möchten Sie bitte studieren? Kein Problem. Sie wollen promovieren? Selbstverständlich! Nichts schien unmöglich – bis der Brief aus grauem Behördenpapier mir die Einberufung bescherte. Na ja, war ja absehbar gewesen und ich erinnerte mich zum Musterungstermin an Vaters Rat, mich auf die Abwehr von Cyberwar-Attacken aus dem Ausland zu bewerben. Das hat man bewilligt und nach einer Eignungsprüfung und einem Sicherheitscheck wurde ich 2033 nach Potsdam beordert. Dieser Ortswechsel war schon ein gewaltiger Einschnitt und ich sagte mir: Jetzt bist du erwachsen, Leon! Das bedeutete nicht weniger, als das Zimmer meiner Kindheit und Jugend zu verlassen, in eine fremde Stadt zu gehen, bei kasernierter Unterbringung im rollenden Vier-Schicht-System zu schuften und mich auf Anhieb mit wildfremden Menschen auseinandersetzen und verstehen zu müssen. Nach der Grundausbildung, die freilich für jede Waffengattung die gleiche war und sich in weiten Teilen darauf beschränkte, im Untergehölz deutscher Heide- und Waldgebiete die sich immer weiter ausbreitende Ambrosia-Pflanze zu jäten, bekam ich zusammen mit den anderen Neuen nach einer entsprechenden Geheimhaltungsverpflichtung die ersten Einweisungen in die Thematik der elektronischen Kriegsführung. Mit meinen Vorkenntnissen hatte ich zwar eine solide Basis, aber in den fachlichen Details erfuhr ich viel Neues und überaus Interessantes. Die Technik, die uns zur Verfügung stand, hatte ich so nie zuvor gesehen. Unglaublich – wenn die Leute draußen auf der Straße wüssten, was und wie man alles überwachen kann, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen! Einerseits bestand die Aufgabe in der Beobachtung des übrig gebliebenen freien Teils des Internets. Andererseits waren wir gehalten, vor allem Cyberangriffe aus dem russisch kontrollierten SPF-Netz zu erkennen und zu blockieren. Das Abgreifen von Datenströmen ist dabei vergleichbar mit der Erhebung medizinischer Informationen für eine Diagnose. Aber zu wissen, welche Krankheit man hat, reicht nicht. Die Therapie ist das Ziel, im militärischen Sinn also sowohl die Abwehr von Angriffen als auch die Durchführung von aktiver Gegenwehr. Und da habe ich manchmal nicht schlecht gestaunt, mit welchen teilweise abartigen Mitteln und Methoden wir umgehen mussten. Aber Vater hatte Recht. Auf diese Weise noch etwas dazuzulernen, ist allemal besser, als bei miserablem Wetter auf dem Gefechtsfeld herumzuballern und ständig mit der Überlegung konfrontiert zu sein, ob ich als Soldat nun ein Mörder bin oder - weil es der Staat befohlen hat - legitimiert Menschen töten darf oder muss. Doch auch die elektronische Kriegsführung warf genügend grundlegende Fragen auf. Wenn ich vor dem Monitor reale Drohnen steuere, wie in einem Computerspiel, dann reicht ein Mausklick, um im tatsächlichen Kampfgebiet die Rakete abzufeuern. Bin ich dann kein Mörder? Ich bekam mit, wie in Deutschland Infrastrukturen der Strom- und Wasserversorgung angegriffen und Flugzeuge gehackt wurden. Mehrfach hätten Unbekannte beinahe die Kontrolle über Passagierflugzeuge übernommen und sie ferngesteuert irgendwo hinlenken wollen. Ausländische Geheimdienste, die wir nicht immer identifizieren konnten, tummelten sich in den sozialen Medien und wiegelten die Leute gegeneinander auf, um Unfrieden zu stiften. Kein Staat traute dem anderen, auch wenn man nach außen vorgab, politisch zu kooperieren, oder sich zum Kreis irgendwelcher Verbündeter zählte. Schillers Idealismus ‚Alle Menschen werden Brüder‘ hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Zum ersten Mal im Leben wankte mein Weltbild des klassischen Humanismus, das die Eltern mir auf so vorbildliche Weise nahe gelegt hatte. Wie um alles in der Welt sollen Menschen, deren Kulturkreise oder Religionen sich nicht ansatzweise über den Weg trauen, gemeinsam die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen? Mir wurde langsam klar, warum vor fünf Jahren in Indien die Welt nur so zögerlich geholfen hat. Und ein weiterer Umstand gab mir in jener Zeit zu denken: Mit dem Austritt der USA aus der NATO unter Federführung der „Lichtsekte“ ergab sich eine andere Polarisierung der Großmächte auf dem Globus. Auf der einen Seite durften technische Hilfsmittel, die aus den USA stammten, plötzlich nicht mehr genutzt werden und auf der anderen Seite ließen


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