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Gesundheit – ein Gut und sein Preis. Sabine PredehlЧитать онлайн книгу.

Gesundheit – ein Gut und sein Preis - Sabine Predehl


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durchschnittlich immun und als Müllverarbeiter tauglich? Und siehe da: Die Spezies reagiert mit Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, Krebs und Allergien, ist aber im Ganzen, nicht zuletzt dank einer fortschrittlichen Medizin, härter im Nehmen als die meiste sonstige Fauna und Flora. 4)

      Die Zeiten, in denen die Belastungssymptome, die heute als Burn-out bekannt sind, im Volksmund „Managerkrankheit“ hießen, sind vorbei. Es hat zwar auch im letzten Jahrhundert nicht gestimmt, dass Krankheiten dieser Art im Wesentlichen die Verantwortungsträger der Gesellschaft befallen hätten, aber im 21. Jahrhundert gelten sie auch im allgemeinen Bewusstsein als Volksleiden, das sämtliche Bevölkerungsschichten erwischt. Dass die Männer und Frauen, die an den „Schalthebeln“ der Wirtschaft ihren Dienst tun, unter gesundheitsschädlichem Stress leiden, ist nicht weiter erstaunlich. Denn auch seinen leitenden Funktionären macht der Kapitalismus das Leben nur einerseits leicht; er macht es andererseits zu einem fortwährenden Konkurrenzkampf um die Karriere in der Firma und um den Geschäftserfolg der Firma. Immerhin winkt ein lohnender Preis für die Ungemütlichkeit des Konkurrierens.

      Im Vergleich dazu nimmt es sich geradezu kleinlich und jedenfalls ganz unzweckmäßig aus, was das Fußvolk des Geschäftslebens an Konkurrenzbemühungen an den Tag legt. Das wird nämlich in erster Linie verglichen; seinen Lebensunterhalt verdient es durch seine Brauchbarkeit an Arbeitsplätzen, die kapitalistische Unternehmen ganz nach ihren Kalkulationen einrichten, ausstatten und auch – bei mangelnder Rentabilität – wieder abschaffen. „Abhängig Beschäftigte“ konkurrieren mit ihresgleichen darum, benutzt zu werden. Ihre Lebenschance besteht darin, sich brauchbar zu machen für diejenigen, die Arbeitsplätze „anzubieten haben“, und – falls sie es auf einen solchen Arbeitsplatz geschafft haben – dort dann ihre Brauchbarkeit fürs Unternehmen unter Beweis zu stellen. Keines der Kriterien, die über ihre Benutzung und damit über ihren Lebensunterhalt entscheiden, haben sie selbst in der Hand, weder die geforderten sich ständig ändernden Anforderungen des Arbeitsplatzes noch die Anzahl der konjunkturabhängig geforderten Arbeitsstunden, genauso wenig die Finessen des Tarifsystems mit seinen regelmäßig stattfindenden Neueingruppierungen; geschweige denn die Entscheidungen des Betriebs, in welchen Abteilungen Rationalisierungen anstehen und welche mangels Rentabilität abgebaut gehören... Kein Wunder, dass die Sorge um den Arbeitsplatz hierzulande als einer der Haupt-Stressoren für „abhängig Beschäftigte“ zählt und die Leute sich in ihrem Berufsleben aufarbeiten, bis sie nicht mehr funktionieren und ein kundiger Mediziner die Diagnose „vegetatives Erschöpfungssyndrom“ oder „Burn-out“ stellt.

      Als abhängige Variable also, die einem Vergleich unterliegt, dessen Kriterien nicht sie bestimmt, nimmt die abhängig beschäftigte Menschheit ihr Schicksal in die Hand. Man engagiert sich; man bemüht sich, betriebliche Leistungsvorgaben nicht bloß zu erfüllen, sondern zu übertreffen; man stellt selber kundige Vergleiche mit seinesgleichen an. Wenn alle Anstrengungen scheitern, sind Kollegen schuld, die sich auf Kosten anderer – gemeint ist immer man selbst – angenehmere Posten ergattern; die Firma allenfalls insofern, als sie Fähigkeiten und Moral ihrer Dienstkräfte nicht gerecht würdigt; nie die schlichte Tatsache, dass kapitalistische Unternehmen zwar selbstverständlich nur engagierte und leistungswillige, aber eben total auswechselbare Arbeitskräfte brauchen können, und auch die nur solange, wie ihr Einsatz sich lohnt. So kollidieren miteinander die gleichartigen Anstrengungen aller Beteiligten, sich in „ihrem“ Betrieb und an „ihrem“ Arbeitsplatz einzurichten, so als wären die ein passendes Betätigungsfeld der eigenen Individualität; sich mit den Umständen zu identifizieren, unter denen man den Hauptteil seines Lebens verbringt, – und damit schließlich auch noch beruflich Erfolg zu haben. Die Konkurrenzkämpfe, die da geführt werden, spielen sich in Formen ab, die wenig bis gar nichts mit den Gesichtspunkten zu tun haben, nach denen ein modernes Unternehmen seine Personalplanung betreibt, die aber geeignet sind, das Arbeitsleben erst so richtig unangenehm und zum Ausgangspunkt psychovegetativer Leiden zu machen. Gehässigkeiten unter Kollegen sind im kapitalistischen Konkurrenzalltag so üblich, dass sie mittlerweile – nach den Kriterien der WHO – den Rang einer veritablen medizinischen Diagnose erreicht haben: „Mobbing“ heißt das dann. Und am Ende kommt es zu dem Treppenwitz, dass sich in modernen Unternehmen betriebseigene „Mobbing-Beauftragte“ darum kümmern, dass die psycho-moralischen Konkurrenzkämpfe ihrer Mitarbeiter das Zusammenarbeiten zum Wohle des Unternehmens nicht allzu sehr schädigen – eine letzte Klarstellung, dass die maßgeblichen Kriterien des Betriebserfolgs nichts zu tun haben mit den Vorstellungen derjenigen, die sich als abhängige Variable für diesen Betriebserfolg anstrengen sollen und sich außerdem daran abarbeiten, ihren Glauben aufrechtzuerhalten, genau darin läge ihre höchstpersönliche Lebenschance.

      Neben dem systemimmanenten Stress, den die wechselnden Anforderungen an einem tendenziell nie sicheren Arbeitsplatz bereiten, ist es dieser ebenso systemkonforme wie verkehrte Glaube, der das „psycho“ ausmacht, das am Anfang eines Großteils der psychischen Belastungssyndrome und psychosomatischen Störungen steht. An diesem Glauben wird mancher Arbeitnehmer erst bei seiner Entlassung irre. Der trauert dann als Arbeitsloser oder Rentner seiner betrieblichen Heimat nach, kriegt seine Depression und hat keine Ahnung, wie sehr er sich damit als Kunstprodukt der kapitalistischen Konkurrenz unter Lohnarbeitern erweist.

      Die Verschiebung der Perspektive vom Objekt, das verglichen wird, zum Subjekt, auf dessen Willen und besondere Leistungsfähigkeit es ankommt, eröffnet im Übrigen ganz getrennt vom Arbeitsleben eine eigene Welt des Ringens um Selbstbehauptung. Die eigene Person wird danach durchgemustert, ob sie gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben bietet oder dem im Wege steht. Zweifel bleiben da selten aus. Wirkliche und eingebildete Niederlagen aus dem privaten wie beruflichen Alltagsleben werden zum Beleg für mangelnde Erfolgstüchtigkeit, die Selbstbespiegelung zum Dauerprogramm. Kein Wunder, dass mit dieser Perspektive am Ende sehr weitreichende wie vernichtende Urteile der abstraktesten Art herauskommen und an sich selber vollzogen werden – und schon wieder gibt es jede Menge Material für Aufklärungs-Artikel in Fernsehzeitschriften zum Thema „Volkskrankheit Depression“.

      Angeblich ziehen sich moderne Menschen den Großteil ihrer Malaisen überhaupt ganz unabhängig von ihrem Berufsleben durch ihre privaten Vergnügungen zu. Wenn es denn so wäre, dass die Leute ihre Gesundheit für ihren Genuss verwendeten, dann hätten sie sich wenigstens einmal selber den Zweck gesetzt, für den sie sich verschleißen; wenn sie das lohnend fänden, dann hätte sich wenigstens dieses Stück ihres körperlichen Ruins einmal für sie gelohnt und nicht bloß für ihre Benutzer.

      Allerdings ist es so um die Freizeit der meisten Leute nicht bestellt. Erst einmal kommt nach der Arbeit die Befriedigung einer Anzahl notwendiger Bedürfnisse. Dazu würde eigentlich auch, medizinisch gesehen, ein langes Ausruhen und so viel an kompensatorischer Betätigung gehören, dass die strapazierten Organe eine Chance zur Erholung bekämen. Bis die Selbstheilungskräfte des Organismus ihr Werk verrichtet haben, wäre die Freizeit aber schon wieder vorbei und an Lebensgenuss noch gar nichts passiert. Die Notwendigkeiten der Erholung widersprechen der Freiheit, sich sein Leben nach Geschmack einzurichten.

      Das fängt in der Regel schon damit an, dass für diejenigen, die einen rentablen Arbeitsplatz ausfüllen müssen, die Sache mit dem „Abschalten“ – auch nach der Erledigung der notwendigen Verrichtungen des Alltagslebens nach einem erfüllten Arbeitstag – gar nicht so einfach ist. Weil nämlich nicht nur die räumliche und zeitliche, sondern auch die geistige Distanz zur Arbeit geschaffen werden muss, so dass Abschalten – einerseits das bloß abstrakt-negative Gegenbild zur Arbeit, andererseits die Voraussetzung für alles Erholen von ihr – oft eine eigene Bemühung wird. Zum „Runterkommen“ vom Alltagsstress hat jeder so seine mehr oder weniger taugliche Strategie entwickelt. Der jährliche Suchtbericht der Nation gibt Auskunft darüber: Die einen greifen eher zum Alkohol, die andern zur Beruhigungspille, eventuell ergänzt um „Upper“-Pillen, die die (Nach-)Wirkungen der „Downer“ am nächsten Morgen wieder ausgleichen. Was an Genussmitteln – neben denen mit eindeutigem Suchtpotential – bleibt, ist auch nicht viel gesünder. Denn Essen und


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