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Die Fischerkinder. Melissa C. FeurerЧитать онлайн книгу.

Die Fischerkinder - Melissa C. Feurer


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hatte. „Sie hat gesagt: Frau Robins, dieses Thema behandeln wir ein andermal zu geeigneterem Zeitpunkt. Und seitdem? Nichts, gar nichts!“

      „Warum interessiert es dich denn so brennend?“ Vera ließ das Buch nun einfach zugeklappt auf dem Tisch liegen.

      „Na, hör mal“, rief Mira aus. „Das lädt ja geradezu zu Spekulationenein! Ist er tot? Hat er sich einer konspirativen Kleinstgruppe angeschlossen und bekämpft sein eigenes Land als gesuchter Rebell? Hat sein eigener Vater ihn vielleicht verschleppen oder hinrichten lassen? An die Theorie mit der Entführung glaube ich jedenfalls nicht. Warum sollte ein anderes Land unseren Thronfolger entführen? Dann krönen wir eben einen anderen. Damit ist doch keinem geholfen!“

      Vera pustete sich die Ponyfransen aus der Stirn und beobachtete Mira eingehend. Insgeheim interessierte es Vera bestimmt ebenso brennend wie Mira, was mit ihrem Thronfolger geschehen war. Aber Vera hatte gelernt, den Mund zu halten und sich nicht mit übermäßiger Neugier in Schwierigkeiten zu bringen. Ganz anders als Mira, mit der manchmal die Fantasie durchging.

      „Überleg doch mal!“, ereiferte sie sich. „Wer weiß, was sie uns da verschweigen. Man findet ja kaum Informationen über ihn. Und wenn du mich fragst, ist das ganz schön verdächtig! Noch nicht einmal ein Foto haben sie uns je gezeigt!“

      Nun begann Vera doch wieder, zu blättern. „Es gibt ein Foto. Hier in genau diesem Text.“

      Sie beugten sich beide darüber und betrachteten die winzige Kopie eines Familienportraits, das Nicholas Auttenberg mit Frau und Sohn zeigte. Sie war blond und mager, Vater und Sohn hatten tiefschwarzes Haar in militärisch kurzem Schnitt und beide den gleichen harten Zug um den Mund.

      „Hm … wie ein Rebell sieht er nicht gerade aus“, lenkte Mira ein. Zugegeben, er hatte schöne Augen. Dunkle Wimpern, wie die seiner Mutter, und einen nach innen gekehrten Blick, als wäre er in Gedanken ganz woanders. Aber Haltung, Kleidung und Gebaren erinnerten unverkennbar an seinen steifen Vater. Als König wurde Nicholas Auttenberg verehrt, aber insgeheim konnte Mira sich nicht vorstellen, dass irgendjemand ihn besondersgut leiden konnte. Eiskalt war er und reichlich wenig menschlich, nach allem, was man so hörte. Einer, der dazu geboren war, Befehle zu geben und im Reichtum zu leben, während sein Volk ums Überleben kämpfte.

      „Auttenberg traue ich es trotzdem zu, seinen eigenen Sohn verschleppen zu lassen“, sagte sie entschieden. „Wenn es um den Thron geht, ist Blut bestimmt nicht dicker als Wasser. Und stell dir nur vor, wenn Carl Auttenberg andere Ansichten hatte als sein Vater. Da hätte der doch –“

      Sie war gezwungen, ihre Ausführungen zu unterbrechen, weil Schritte im Flur ankündigten, dass sie nicht mehr alleine waren. Aber es war zu Miras Leidwesen nicht nur Veras liebenswerter, zerstreuter Vater, der sich zu ihnen gesellte, sondern auch Filip mit Uniform und Abzeichen.

      „Dennoch heißt Pflichtbewusstsein nicht, dass man es jedem recht machen muss“, sagte Herr Petersen gerade, verstummte aber schlagartig, als er die Tür aufschwang und in die erstaunten Gesichter von Vera und Mira blickte.

      Eisern schweigend zog er seine abzeichenlose Jacke aus, hängte sie auf und sah Vera eine Weile beim Lesen über die Schulter. Mit dem lauten Lesen und vor allem dem Debattieren über den Verbleib von Kronprinz Carl Auttenberg war es nun natürlich vorbei. Vera und Mira beugten sich still über ihre Bücher.

      Filip holte unter lautem Poltern das Bügelbrett aus der Besenkammer und stellte es neben ihnen auf. Mira starrte noch eine Weile auf das Foto der Königsfamilie, ehe sie wieder zu lesen begann. Das Schweigen füllte jeden Winkel des Raumes. Nur hin und wieder ein Seitenrascheln, das Zischen des heiß werdenden Bügeleisens und Herrn Petersens schweres Atmen waren zu hören.

      „Was machst du da?“, fragte er schließlich Filip, der eben ein schwarzes Jackett auf dem Bügelbrett ausbreitete.

      „Antoine Herder hat mich gebeten, seinen Anzug in eine anständige Form zu bringen“, entgegnete er, ohne auch nur von seiner Arbeit aufzusehen. Mira dagegen hatte ihr Staatsgeschichtsbuch schnell vergessen. Sie sah zu Vera, die sich mit zusammengekniffenen Lippen unnötig tief über ihr Buch beugte. Ihre Nasenspitze berührte fast die Seiten.

      „Seinen Anzug in eine anständige Form zu bringen“, echote Herr Petersen. Er stand immer noch hinter ihnen, weshalb Mira ihn nicht sehen konnte. Aber seiner Stimme nach zu urteilen, missfiel ihm, was er hörte. Sie war mit einem Mal entsetzlich dankbar, dass sich Iliona um die Wäsche, und damit auch um die Anzüge ihres Vaters, kümmerte. Sie würde sich in Grund und Boden schämen, wenn Filip eines Nachmittags das Jackett ihres Vaters mitbrächte, um es für ihn zu bügeln.

      „Du bist jetzt ein Wachmann“, sagte Herr Petersen tonlos. „Kein Handlanger mehr. Sie können dich nicht mehr zwingen –“

      „Keiner zwingt mich, Vater. Es handelt sich nur um eine Gefälligkeit.“

      Mira beobachtete Filip unauffällig über ihr Buch hinweg. Er sah seinen Vater nicht einmal an, sondern pflügte nur weiter mit dem dampfenden Bügeleisen über den schwarzen Stoff.

      „Antoine Herder kann seinen Anzug selbst bügeln“, sagte Herr Petersen mit Nachdruck. „Du bist nicht sein Diener. Was kommt als Nächstes? Dass du ihm die schmutzigen Stiefel putzt?“

      Filips Gesicht nahm die rötliche Farbe seines Haars an, und er tat es Vera gleich, sich über seine Arbeit zu lehnen, als nehme er nichts um sich herum wahr.

      „Um alles in der Welt!“, entfuhr es Herrn Petersen. „Sag, dass das nicht wahr ist!“

      Nun stellte Filip das Bügeleisen doch zur Seite. Angriffslustig funkelte er seinen Vater über das Brett hinweg an. „Ich werde mir sicher keinen meiner Vorgesetzten zum Feind machen, weil ich mir zu schade dafür bin, seinen Anzug aufzubügeln.“ Er sah seinen Vater unverwandt an. „Und es wäre mir lieber, du hieltest dich heraus. Du hast deine Arbeitsmoral und ich meine. Und wir wissen alle, wohin deine dich geführt hat.“

      Mira konnte nicht anders: Sie wandte sich zu Herrn Petersen um. Er hatte die Brille abgenommen und sah seinen Sohn an. Auf seiner gerunzelten Stirn standen die Schweißtropfen. Langsam nickte er. Dann legte er Vera, die ebenfalls gewagt hatte, den Kopf zu heben, die Hand auf die Schulter und sagte mit belegter Stimme: „Lern nur fleißig“, ehe er aus dem Zimmer schritt.

      Mira begegnete Filips zornfunkelndem Blick und konzentrierte sich wieder auf ihre Hausaufgabe. Sie fühlte sich wie ein ungebetener Eindringling, nachdem sie diesen Streit im Haus der Petersens mitbekommen hatte. Normalerweise herrschte hier eine heimelige, friedliche Atmosphäre. Auf ihren Staatsgeschichtstext konnte sie sich nun natürlich nicht mehr konzentrieren, und als sie einmal zu Vera blinzelte, sah sie, dass auch sie auf die Buchseite starrte, ohne die Augen zu bewegen.

      „Warum lässt Filip das mit sich machen?“, fragte sie ihre Freundin, als diese sie später zur Tür brachte.

      Vera tat zuerst so, als wisse sie nicht, wovon Mira redete, dann jedoch ergriff sie schnell Partei: „Er hat ja keine Wahl.“ Sie sah Mira nicht an, während sie sprach. „Wenn er es im Staatsdienst zu etwas bringen will, muss er tun, was man ihm sagt.“

      „Aber dein Vater hat recht!“, protestierte Mira. „Es ist nicht fair, dass sie von Filip verlangen, dass er –“

      „Mein Vater hat seinen Posten und seinen Ruf schon vor Jahren verloren. Filip versucht nur, es besser zu machen. Um für uns zu sorgen. Von Vaters Rationen könnten wir gerade so überleben. Und das auch nur, wenn Mutter nicht … wenn wir nicht die Tabletten für sie bräuchten.“

      Mira klappte den Mund auf, um abermals zu widersprechen, doch Vera schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Wir alle müssen tun, was man von uns verlangt. Filip muss Anzüge bügeln, und ich muss ein Zusatzreferat in Staatswirtschaft halten. Jemand mit unserem Ruf kann nicht so wählerisch sein wie …“ Sie verstummte schlagartig.

      „Wie ich, meinst du.“ Mira umklammerte den Schulterriemen ihrer Tasche fester und sah Vera herausfordernd ins Gesicht. Aber Vera war niemand, der sich leicht provozieren ließ. Lieber nahm sie alle Schuld auf sich, als Feindseligkeit


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