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Digital_Pausen - Hans Ulrich GUMBRECHT


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alle erleben und kennen, ohne dass wir sie ohne weiteres beschreiben könnten. Dieses zugleich psychische und physische Grunderleben des »Ich«, fährt Nagel – für mich überzeugend – fort, ist für den auf organische Entwicklungen konzentrierten Diskurs der Evolution nicht erreichbar (und aufgrund seiner Zweidimensionalität ebensowenig für ausschließlich psychische Erklärungen). Anders gesagt: Jede ausschließlich auf der einen oder der anderen Ebene entwickelte »Erklärung« des menschlichen Bewusstseins muss als reduktionistisch kritisiert werden. Ein Diskurs oder eine Perspektive aber, welche beide Ebenen ungetrennt vereinte, ist in unseren begrifflichen Traditionen nicht vorgegeben (und steht deshalb – vorerst wenigstens – auch nicht zur Verfügung).

      Deshalb hat sich eine Diskontinuität zwischen dem naturwissenschaftlichen Diskurs der Evolution und dem Phänomen unseres Bewusstseins eröffnet, in der eine seit Darwin weitervererbte Gewissheit über den Ort des Menschen im Kosmos verlorengeht – was erhebliche existentielle Folgen haben könnte. Dass der Diskurs von der Evolution des Menschen keinesfalls die einzige narrativ verfahrende Erklärung ist, welche derzeit in den Schatten destruktiver Skepsis gerät, steht auf einem anderen faszinierenden Blatt aus der Gegenwart der Wissensgeschichte. Um jedenfalls die Lücke zwischen der Evolutionsgeschichte des menschlichen Körpers und unserem Erleben des Mensch-Seins als Bewusstsein füllen zu können, bedürfte es eines Paradigmas, das zu liefern derzeit weder die Naturwissenschaften noch die Philosophie imstande sind. Natürlich bleibt es weiter möglich, auf religiöse, mythologische und im weitesten Sinn literarische Erklärungs- und Vermittlungsangebote zurückzugreifen, doch ich glaube, dass sie selbst bei Gläubigen unserer Gegenwart den verlorengegangenen Effekt nicht vollständig ersetzen würden.

      Denn es scheint eine Art von existentiellem Bedürfnis nach intellektueller Sicherheit zu geben, das heute allein die Wissenschaft bedienen kann. Vor einem guten Vierteljahrhundert hatte Thomas Nagel die – grundlegend andere – Frage gestellt, ob wir je wissen werden, »was es ist, eine Fledermaus zu sein«. (oder irgendein anderes Tier), und nachgewiesen, dass solche Introspektion zwischen Gattungen undenkbar ist. Gewiss, wir haben ein Überangebot von literarischen Texten, deren Autoren sich in die Perspektive von Tieren »hineingedacht« haben – doch kaum jemand wird sie heute als im Ernst befriedigende Antworten auf jene Art von Frage akzeptieren.

      Die vorerst jedenfalls offen bleibende Lücke zwischen organischer Evolution und Erleben des Bewusstseins aber versucht Nagel in für mich überraschender Weise zu füllen. Offenbar als abstrakte Vorgabe für neue wissenschaftliche Bemühungen der Zukunft postuliert er einen Diskurs, der physische wie organische Elemente und Entwicklungsstufen in einer »integrierten Konzeption« vereinigen und als zielgerichteten (»teleologischen«) Prozess beschreiben soll. Nur so, scheint Nagel zu argumentieren, halten wir uns die Möglichkeit offen, ausgehend von einem evolutionär fundierten Begriff des Bewusstseins eines Tages Werte annehmen und voraussetzen zu können, die sich nicht als »subjektiv« relativieren und schließlich einklammern lassen. In dieser philosophischen Bewegung sehe ich ein Symptom für die – selbstverständlich nachvollziehbare – Hoffnung, eine kosmische Ordnung als Prämisse unserer individuellen und kollektiven Existenz voraussetzen zu dürfen.

      Nicht allein für mich scheint freilich eine Reaktion auf die identifizierte evolutionsgeschichtliche Lücke denkbar und der Ordnungsprämisse vorzuziehen – welche Thomas Nagel vielleicht etwas vorschnell ausblendet. Es ist die Möglichkeit, die Entstehung unseres Bewusstseins als kosmologisch kontingent anzusehen, das heißt als weder notwendig (wie die Evolutionisten unterstellten und auch Nagel wieder unterstellen möchte) noch unmöglich (so unwahrscheinlich sie auch in der Retrospektive aussehen mag). Wir wissen, dass das existiert, was wir »Bewusstsein« nennen – aber setzen anstelle eines Notwendigkeitsanspruchs voraus, dass es auch nicht hätte entstehen können und sich vielleicht in einer (nach evolutionären Kriterien) nahen Zukunft als kosmische Einbahnstraße oder sogar als kosmischer Irrweg erweisen und verschwinden wird.

      Dieser Horizont-Gedanke von der Möglichkeit der Unmöglichkeit menschlicher Existenz (genau so ist es gemeint: als die Möglichkeit einer Unmöglichkeit) löst natürlich die für Nagel offenbar so wichtige Chance auf, Werte kosmologisch abzuleiten und zu fundieren. Doch derselbe Gedanke kann auf der anderen Seite durchaus ein lebensbejahendes Gefühl intensivieren, das Philosophen vor gut einem halben Jahrhundert »Existenzfreude« nannten. Diese Existenzfreude lässt sich dann noch einmal steigern durch den – bereits erwähnten – weiteren Horizont-Gedanken, dass das Universum, so wie es existiert, auch nicht existieren könnte. Beide Schritte, sowohl die Perspektive auf die Emergenz unseres Bewusstseins aus Kontingenz wie der Gedanke an die Möglichkeit einer Nicht-Existenz des Kosmos, schließen das Sein eines Gottes zwar nicht aus, doch sie haben es andererseits nicht nötig, dieses Sein als Gewissheit anzunehmen. Auch darin, in der Möglichkeit, unsere menschliche Existenz ohne Gott zu denken, liegt für mich Potential ihrer Affirmation. Doch an dieser Stelle fällt ein fast bekenntnishafter Tau über meine Argumentation – und es wird Zeit aufzuhören.

      Auch der Tod hat seine Geschichte. Das gilt bisher nicht für den Tod als die dem menschlichen Leben – wie dem Leben in jeder biologischen Gattung – gesetzte Grenze, auch wenn die machtvolle Verschiebung des durchschnittlichen Sterbealters über die vergangenen Jahrzehnte Stimmen geweckt hat, die dazu aufrufen, den Tod nicht mehr als unumgänglich hinzunehmen. Geschichte aber hat der Tod schon immer aufgrund der möglicherweise nur den Menschen gegebenen Möglichkeit gehabt, ihn in der Imagination als individuelles oder kollektives Ende vorwegzunehmen und sich auf die dabei entstehenden Visionen einzustellen. Zu dieser »Geschichte des Todes« hat sich eine mittlerweile unter Historikern gängige These herausgebildet, nach der immer dann ein kollektiver Blick auf den Tod dominiert, wenn er als Übergang »zwischen« dem irdischen und einem anderen, transzendenten Leben gesehen wird, während an den als absolute Grenze erfahrenen Tod, den Tod »im« Leben« ohne Transzendenz, eher eine individuelle Sicht gebunden ist.

      Spuren dieser beiden grundsätzlichen Formen des Verhältnisses zum Tod lassen sich – durchaus ungleich verteilt – in vielen Epochen der verschiedenen Kulturen entdecken, doch für die inzwischen zur »globalen« Lebensnorm gewordene westliche Tradition markiert die Zeit um 1900 einen besonders dramatischen Einschnitt. Seit jenen Jahren galt es in vielen Gesellschaften – mit lange wachsender Tendenz – nicht mehr als ausgemacht, dass auf das Erdenleben ein Leben in anderen Sphären folgen würde, was sehr bald zu einer deutlichen Faszination durch den individuell perspektivierten »Tod im Leben«, durch den Tod als absolute Grenze führte. Unter gebildeten Lesern damals weltweit erfolgreiche Bücher, zum Beispiel Miguel de Unamunos »Del sentimiento trágico de la vida«. (1912) oder Martin Heideggers »Sein und Zeit«. (1927) belegen jene geschichtliche Bewegung, indem sie der Gegenwart des Todes (aus jeweils anderen Gründen) eine zentrale Stellung innerhalb der menschlichen Existenz einräumen. Zugleich erfreuten sich im frühen zwanzigsten Jahrhundert solche Sportarten besonderer Beliebtheit, deren Regeln eine Konfrontation individueller Athleten mit der unmittelbaren Bedrohung durch den Tod inszenieren, wie zum Beispiel Bergsteigen, Boxen, der Stierkampf und auch die über verschiedene Distanzen führenden Langläufe. Seither freilich hat sich die Geschichte des Todes nicht so eindimensional auf der Ebene der Individualität weiterentwickelt, wie man das einst erwartete. Um die Tendenz – halb ironisch – im Bild eines Laufwettbewerbs zu beschreiben: Der Tod als Übergang und die ihn begleitende kollektive Perspektive haben in den vergangenen Jahrzehnten »aufgeholt«, ohne den Tod im Leben und den individuellen Blick ganz an den Rand zu drängen.

      Vielleicht gehört es zur historischen Signatur des Todes in der Gegenwart unseres frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts, dass diese beiden Formen der Erfahrung und der Reflexion sich heute ohne deutliche Spannung oder Konkurrenz gegenüberstehen. Wenn wir uns auf zwei Situationen konzentrieren, welche derzeit weltweit die Öffentlichkeit faszinieren, auf die Agonie des großen Formel-I-Rennfahrers Michael Schumacher (die noch mit seiner Rückkehr ins bewusste Leben enden könnte) und auf das Verschwinden von Malaysian Airlines Flug 370 aus der Reichweite der institutionalisierten technischen Beobachtung, dann mag ein weiteres Element in den Vordergrund treten, das die beiden gegenwärtigen Erfahrungsformen des Todes verbindet.

      Noch


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