Schwein im Glück. Astrid SeehausЧитать онлайн книгу.
Kollege hatte sich schnell wieder im Griff. Er ließ sich von seiner Nichte umarmen und verschwand wie ein ausgebüchstes Kaninchen aus meinem Büro.
Ich sah ihn nur noch von hinten. Er ließ mich doch tatsächlich mit ihr allein.
Evelyn Weber zu erklären, warum ihre Geschichten nicht veröffentlicht werden würden, erforderte Fingerspitzengefühl. Mich ärgerte, dass ich unter Druck gesetzt wurde. Es war Nesrins Aufgabe und nicht meine, unangemeldete Besucher abzuwimmeln und unaufgefordert eingesandte Manuskripte mit einem netten, aber inhaltsleeren Schreiben, dass die Bücher nicht in das Verlagsprogramm passten, wieder zurückzuschicken.
Jeder im Verlag hasste es, böse sein zu müssen. Und wir waren böse, wenn wir keine Manuskripte annahmen. Böse, böse Menschen, die den vielen hoffnungsvollen Schreibern die Butter vom Brot kratzten, noch bevor sie herzhaft zubeißen konnten.
Ich hasste es, wenn man mich nicht mochte. Und momentan wusste ich nicht wohin mit meiner Wut. Am liebsten hätte ich Dieter Weber ein bisschen verprügelt.
„Setzen Sie sich doch bitte“, bat ich Evelyn, sich auf den harten Stuhl zu setzen.
Auf dem bequemen Sessel lagen die Neuerscheinungen, die ich noch nicht in die Regale sortiert hatte. Vor allem auch deswegen, weil sich Winter nicht lange in meinem Büro aufhalten sollte. Ein unbequemer Stuhl verscheuchte auch den anhänglichsten Besucher. Nicht, dass Winter sich davon abschrecken ließ.
Ich studierte mein Gegenüber. Wenn ich überhaupt eine Taktik kannte, schwierige Autoren abzufertigen, dann hieß diese: Unfreundlichkeit bis zur Frostigkeit. Wer wollte schon in einem Verlag veröffentlichen, wenn man die Lektorin für eine Hexe hielt?
Ich bot daher keinen Kaffee an. Auch keine Kekse. Einfach gar nichts. Das war Stufe eins im Verfahren zur Entsorgung von Problemautoren.
„Kaffee? Tee? Vielleicht Kekse?“, hörte ich Nesrin flöten. Mit einem strahlenden Lächeln begrüßte sie Evelyn Weber, als ob es sich um eine Bestsellerautorin handelte. „Ich bin ja so begeistert von Ihren Geschichten. Sie werden bestimmt die nächste Rosamunde Pilcher.“
Ich unterdrückte den Impuls, ihr einen Vogel zu zeigen, sprang aber auf und bugsierte sie energisch aus dem Zimmer.
„Tee und Kekse wären wundervoll“, hörten wir Evelyns Stimme, bevor die Tür zufiel.
Wütend zischte ich: „Du verwechselst sie mit einer Erfolgsautorin aus England, die nicht in unserem Verlag veröffentlicht. Ich frage mich, ob du überhaupt weißt, in welchem Verlag du volontierst. Das ist Webers Nichte“, du Trottel. Man musste nicht jedes Wort, das man dachte, aussprechen. Vielleicht reichte auch schon mein eisiger Blick.
Ich wartete.
Nein, es reichte nicht, Nesrin hatte kein Wort verstanden.
„Das ist die mit den grottigen Texten.“
Was für Nesrin sprach, war, dass sie, wenn sie etwas verstanden hatte, auch sofort handelte: sie schlug sich erschrocken vor den Mund. Ich hätte nicht gewusst, was ich ihr sonst noch an den Kopf geworfen hätte. „Ach, du meine Güte.“ Ihre krass geschminkten Augen waren so groß wie Teller. „Das tut mir leid. Was machst du denn jetzt?“
Richtig! Es blieb wieder mal an mir hängen. Ich seufzte geschlagen. Das war so typisch! Ich der Pechvogel und diejenigen, die es mir eingebrockt hatten, die reinsten Unschuldslämmer. „Dann ziehen wir das eben durch. Bring Tee und Kekse, und in zehn Minuten rufst du mich an, okay?“
„Das krieg ich hin.“ Nesrin sauste wie der Blitz davon.
Evelyns Hand strich gerade versonnen über ihre Hüfte, als ich in den Raum zurückkehrte. Ihr Kostüm war zitronengelb und stand ihr. Trotzdem erinnerte mich ihre gesamte Aufmachung mit grüner Bluse und rotem Hut, in dem fünf bunte Federn steckten, an einen quietschfidelen Papagei. Ich fühlte mich in meinem üblichen Büro-Outfit (schwarzes Kostüm, helle Bluse) nun tatsächlich wie eine Nebelkrähe und überspielte meine Verunsicherung.
Evelyn lächelte immer noch. Langsam tat es mir leid, dass ich sie wahrscheinlich zutiefst kränken würde. Es gab keine Möglichkeit, ein Nein so zu verpacken, dass man eine junge Autorin, die voller Hoffnungen steckte, nicht enttäuschte. Ich lächelte und fühlte mich im gleichen Augenblick wie eine Verräterin.
Nesrin brachte den gewünschten Tee und einen Teller, randvoll mit Keksen, bei dem mir die Augen überquollen. Es waren die von ihrer Oma, die wir alle schon seit Monaten mieden. Man konnte die Kekse nur mit viel Wasser herunterwürgen, sie waren staubtrocken und hart wie Backsteine. Mit einem verschwörerischen Augenzwinkern verließ Nesrin das Büro.
„Eine reizende Sekretärin haben Sie“, sagte Evelyn. Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, hatte sie schon zum Keksteller gegriffen und hielt ihn mir unter die Nase. „Sie sind so dünn“, erklärte sie und lächelte mir aufmunternd zu.
Um das Gespräch nicht mit einem Affront zu beginnen, nahm ich ihr Angebot an, griff zu einem Keks und legte ihn auf die Untertasse. Sie stellte den Teller vorsichtig wieder auf den Tisch, ohne sich selbst genommen zu haben, und sah mich abwartend an. Da ich das Gespräch nicht eröffnete, weil ich noch nach der richtigen Formulierung suchte, war sie es, die die Stille zwischen uns unterbrach. „Was halten Sie von meinem Manuskript?“
Ich dachte an ihren Onkel, der mir gegenüber immer ausgesprochen freundlich war. In letzter Zeit war er vielleicht ein wenig fahrig geworden, was ich auf sein Alter schob. Er war kurz davor, in Rente zu gehen. Ich dachte an seine Familienverhältnisse, von denen ich nicht viel wusste, nur eines: Seine Tochter war nach Kanada ausgewandert, und er sah sie nur einmal im Jahr, wenn überhaupt. Seine Nichte war an ihre Stelle getreten, auch wenn sie das Gegenteil seiner Tochter war. Viel zu selbstbewusst und bunt. Ich meinte mich zu erinnern, dass Webers Tochter ähnlich grau und unscheinbar war wie ihr Vater. Oder wie ich.
„Großartig!“, entfuhr es mir.
Evelyn stand die Verblüffung ins Gesicht geschrieben.
„Geradezu genial“, wiederholte ich mich.
„Sie nehmen mich jetzt aber nicht auf den Arm, oder?“, sagte sie und ließ mich nicht aus den Augen.
Ich zuckte mit den Schultern und war um Gelassenheit bemüht. „Es hat allerdings ein paar Schwächen.“
Jetzt war er da: der alles entscheidende Moment. Der Augenblick, Evelyn Weber sanft, aber unmissverständlich vor Augen zu führen, wo ihre Defizite lagen, so dass sie wusste, ihr Manuskript würde zwar nicht veröffentlicht werden, aber trotz dieser Ablehnung könnte sie hoch erhobenen Hauptes aus dem Verlagshaus schreiten.
Wunderbar. Ich hatte eine Lösung gefunden.
„Welche?“, fragte sie und ließ mir damit überhaupt keine Zeit, etwas in meinem Kopf vorzuformulieren.
Tatsächlich wünschte ich mir Damian Winter herbei. Für den wäre es ein Klacks, die richtigen Worte zu finden. Ein Blick von ihm, und Evelyn würde ihn dankbar aus tränenumflorten Augen anschmachten. Mir würde sie selbige wahrscheinlich gleich auskratzen.
Mit welchen Worten sollte ich ihr nur beibringen, dass ihre Geschichte unglaubwürdig war, ohne sie zu kränken? Oder dass sie keine Ahnung vom Spannungsaufbau hatte? Und vor allem, dass die Frauen schon lange nicht mehr diese Rolle des erotischen Weibchens ausfüllten, geschweige denn von einem Alpha-Männchen erobert werden wollten? Das alles konnte ich ihr doch nicht so ins Gesicht sagen. Ich änderte meine Taktik.
„Sie kennen die Schwachstellen. Sie wissen, worüber ich rede. Ich rede von …“ Ratlos schaute ich mich um. Wovon redete ich denn nun? Mein Blick fiel auf ein Kinderbuch mit Hunden. Spontan dachte ich an Esmes Floh und an Viagra.
„Sex“, quiekte ich.
„Sex?“, wiederholte Evelyn erstaunt. Sie wirkte in keinster Weise alarmiert. (Ich dagegen schon.) Sie entspannte sich sichtlich und nahm nun doch einen Keks vom Teller, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. „Wie wahr!“, sagte sie ausgesprochen zufrieden und biss in den Keks, der geräuschvoll zwischen