Schwein im Glück. Astrid SeehausЧитать онлайн книгу.
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Ein Räuspern schreckte mich aus meinen Gedanken.
„Jetzt nicht“, murmelte ich, vertieft in das Manuskript vor meiner Nase und gequält von der Frage, was ich damit machen sollte.
„Bille, deine Mutter hat jetzt schon das dritte Mal angerufen. Es könnte etwas passiert sein, so dringend wie sie klang.“ Nesrin, unsere neue Volontärin, verharrte ungeduldig vor meinem Schreibtisch.
Ich krauste die Stirn. Ob man die Heldin wirklich Melanie Marschall-Müller nennen sollte. MMM? Melanie Marschall-Müller, ihres Zeichens leidenschaftlich und feurig, so stellte es sich die Verfasserin Evelyn Weber vor, hatte sich vor eine Kutsche geworfen, in der Hoffnung, dadurch ihrem bösen und sehr, sehr attraktiven Widersacher Black Mambo zu entkommen. Natürlich würden die beiden sich am Ende der Geschichte finden.
Ich seufzte, weil ich nicht darum herum käme, das Manuskript bis zum Schluss zu lesen, wo ich doch erst auf Seite fünfzehn war. Das war die Aufgabe eines Lektorats. Bis zum bitteren Ende, in der Hoffnung, doch noch Perlen der geschmeidigen Unterhaltung zu finden. Und ich las es natürlich auch deswegen, weil mich mein ehemaliger Chef Dieter Weber darum gebeten hatte.
„Heißt das, du rufst zurück?“, funkte Nesrin erneut dazwischen. „Ich werde die Nummer schon mal anwählen.“ Meine Mutter Jette konnte sehr hartnäckig sein, und Nesrin schien zu befürchten, dass sie an diesem Tag überhaupt nicht mehr dazu käme, ihre Nägel zu lackieren, wenn Jette ständig anrief.
„Nein, ich rufe zurück“, entgegnete ich gereizt.
„Hab ich das nicht gerade eben gesagt?“ Nesrin rollte theatralisch die Augen.
Ich atmete hörbar aus, um meine Ungeduld zu kaschieren. „Aber nicht jetzt.“ Mir war danach, das Manuskript in den Papierkorb zu pfeffern, wo es meines Erachtens schon lange hingehört hätte. Und zwar noch bevor die Bäume für das Papier gefällt worden waren.
Nesrin stöhnte ein weiteres Mal auf. „Mann! Jetzt lass dich doch nicht lange bitten!“
„Meine Mutter hat noch nie um etwas gebeten“, sagte ich abwesend, gedanklich immer noch bei MMM und Black Mambo und den Verstrickungen, die man im wahren Leben niemals so finden würde. Die Tatsache, dass mein Liebesleben ähnlich trocken wie die Wüste Gobi war, ignorierte ich.
„Ich meine doch mich. Ich komme überhaupt nicht mehr dazu, mir einen Kaffee zu holen, um mit dem Neuen zu flirten.“ Ungeduldig klackerten ihre langen Fingernägel auf meinem Schreibtisch und machten mich nervös.
Ich kniff die Augen zusammen und taxierte sie. Sie hatte sich ihre Haare bis zur Decke hochtoupiert, mindestens ein Pfund Haarfestiger hineingesprüht und sah fast aus wie eine Dragqueen. Erstaunlich für mich war, dass sie das Verlagshaus nach Büroschluss wieder so verließ, wie sie am Morgen gekommen war: unscheinbar. Ich beobachtete diese Verwandlung seit drei Monaten, von dem Augenblick an, als sie als Volontärin bei uns angefangen hatte.
„Was heißt das denn? Willst du andeuten, dass du etwas dagegen hast, dass ich mit ihm flirte, oder einfach nur, dass du grundsätzlich etwas gegen das Flirten hast?“ Sie sah mich an, als ob sie sich nicht sicher sei, inwiefern ich mit diesem Begriff überhaupt etwas anfangen konnte.
Mein Seufzer war nicht minder theatralisch als Nesrins Augenrollen. „Entschuldigung. Ich meinte nicht dich. Was Weber mir von seiner Nichte vorgesetzt hat, ist noch schlimmer, als die Manuskripte davor. Geh du deinen Kaffee trinken. Ich glaube aber nicht, dass ein Mann, der mit einer Registrierkasse in der Brust lebt, sich sonderlich für deine oder Gefühle anderer interessiert.“
„Abwarten! Das gilt es herauszufinden. Ich bin jung und schön“, trällerte Nesrin.
Für einen kurzen Moment sah ich mich ihrer Prüfung ausgesetzt, die mir ziemlich unangenehm war.
Ihre Fingernägel unterbrachen das nervige Klackern. Sie beugte sich über den Schreibtisch, so dass unsere Köpfe fast zusammenstießen, und flüsterte: „Du siehst heute chaotisch aus, aber egal. Ich werde mir schon mein schönes Geschenk selber machen.“
Verwundert sah ich sie an. „Ist dein Geburtstag nicht erst nächstes Jahr?“
„Man muss sich doch nicht immer nur zum Geburtstag etwas schenken. Hör zu! Er ist der Richtige. Weil lecker, ein guter Küsser und ein sehr, sehr, sehr guter Liebhaber.“ Kichernd streckte sie sich und stolzierte auf ihren High Heels davon.
Woher wollte sie wissen, ob er ein guter Liebhaber war? Beim dritten ‚sehr’ hatte ich meine Ohren zugeklappt und mich an die schüchterne Nesrin erinnert, wie sie vor drei Monaten ausgesehen hatte, als sie im Verlag anfing: mit Kopftuch, Jeans und Turnschuhen. Und um wen es ging, wusste ich