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Schwein im Glück. Astrid SeehausЧитать онлайн книгу.

Schwein im Glück - Astrid Seehaus


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der Birne, so sah es Jette, meine Mutter.

      Ich schlug die Ratschläge meiner Eltern in den Wind. Liebe machte wirklich blind. Mein Erspartes war weg, mein Traum, mit Carlo in den USA zu leben, ebenso, und ich zahlte immer noch die Schulden ab. Meine Eltern waren mir entgegengekommen und hatten einen Teil übernommen, was mir ein schlechtes Gewissen bereitete, zumal sie nicht reich waren. Nicht, dass meine Eltern darüber sprachen, das brauchten sie auch nicht. Meine Mutter rieb es mir jeden Tag filetiert unter die Nase, indem sie mir demonstrativ, über Gebühr und sich wiederholend wie das Fernsehprogramm zeigte, wie wenig sie mir zutraute. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde von mir erwarten, dass ich wieder vor zehn Uhr abends nach Hause käme. Ich hatte zu meinem großen Leidwesen meine Wohnung aufgeben müssen und lebte wieder bei meinen Eltern. In meinem Kinderzimmer. Wo die Poster vergangener Teenieträume immer noch an den Wänden hingen.

      Ich sah Esmeralda schnaufend auf mich zukommen. Sie war wie immer eine Augenweide, ohne Make-up, ohne raffinierte Frisurenexperimente, und das schaffte sie allein dadurch, dass sie Fahrrad fuhr. Esme war so etwas wie ein Enfant terrible, eine Naturgewalt mit leichtem Hang zur Dramatik. Ich liebte sie wie meinen Zwillingsbruder Ben.

      „Du siehst …“ Ihr Blick blieb an meiner Bluse hängen, „ungewöhnlich aus.“

      Ich erhob mich und umarmte sie. „Wie schön, dass du gleich Zeit hattest.“

      „Klar doch, ich hatte heute ohnehin nichts vor, außer zu shoppen.“ Sie grinste mich an. Esme liebte Schuhe, Flohmärkte, sinnlosen Krimskrams und ihren Hund Floh (ich weiß, ein unglücklicher Name).

      „Wo ist Floh?“

      „Den hat die Tante. Sie liebt ihn, auch wenn sie ihn Oliver Cromwell nennt. Floh kommt ihr nicht über die Lippen. Sie kann froh sein, dass ich ihn nicht Schnaps genannt habe. Oder Viagra.“ Mit einem Rumms fläzte sie sich auf den Stuhl gegenüber.

      Ich kicherte. Keine Frau konnte weniger eitel sein als Esme. Bei ihr war alles groß: großer Busen, großer Po, großer Bauch, großes Herz. Solange ich sie kannte, und ich kannte sie seit Kindergartentagen, hatte sie noch niemals eine Diät angefangen. Und die Männer gaben ihr Recht, indem sie sie umschwärmten, denn Esme besaß neben ihren körperlichen Vorzügen auch eine Menge natürlichen Charme.

      „Was ist, Schätzchen? Wieder der Mann mit den stechenden Augen?“, fragte sie unverblümt.

      „Ich hasse ihn“, grunzte ich und bestellte zwei Latte macchiato für uns.

      „Das ist aber ein sehr großes Wort so früh am Tag.“

      Es war elf. Und ich brauchte einen Drink. Irgendwo auf der Welt war es bereits Abend. Was sollte ich so lange warten? Der Tag würde nicht besser werden. Fuchtelnd winkte ich die Bedienung herbei, bestellte einen Batida Chérie, eine Mischung aus Batida de Coco, Sekt und Sauerkirschsaft, und erzählte Esme von den Anrufen meiner Mutter, meinem schlechten Gewissen und dem Gefühl, in der Falle zu sitzen.

      „Sie lieben dich doch nur“, entgegnete Esme und fixierte das Getränk, das mir gebracht wurde.

      „Auch einen?“, fragte ich sie und hob das Glas.

      „Nee, ich muss noch fahren.“

      „Sie lieben mich, weil ich manipulierbar bin“, sagte ich und schlürfte das Zeug wie Wasser. „Abhängig. Sprechen wir es doch aus: Ich bin die Tochter, die es nicht geschafft hat, mit einem Bruder –“, ich erhob den Finger, so wie es meine Mutter oft tat, „einem Zwillingsbruder wohlgemerkt, der alles schafft, indem er uns vormacht, wie man die Dinge richtig anpackt.“

      „Dabei geht es aber bei ihm immer nur um Geld“, konterte Esme.

      „Ja“, sagte ich. „Bei Börsenmaklern geht es hauptsächlich um Geld. Aber das ist eben das, was man unter dem Strich sieht.“ Ich betrachtete das Glas, das ich halbleer getrunken hatte und musste feststellen, dass ich dem Angriff der Prozente auf meine Synapsen nicht gewachsen war. Den Rest ließ ich stehen.

      „Das reicht aber doch nicht“, wollte Esme mich davon abhalten, mich wieder mal in Selbstmitleid zu suhlen.

      „Geld kann man sehen und riechen, man kann sich gut damit fühlen und sicher, und man kann damit Schulden bezahlen“, klagte ich. „Meine Eltern haben mich quasi zurückgekauft. Sie können mit mir machen, was sie wollen. Ich bin deren Sklave.“

      „Übertreib nicht so schamlos. Sie wollen doch nur, dass du glücklich bist.“

      „Ja, klar“, murrte ich. „Sie wollen, dass ich heirate. In welchem Jahrtausend leben wir denn? Ich will doch nicht heiraten.“

      Esme grinste breit.

      Ich wusste, was sie dachte, und winkte ab. „Bei Carlo ist es etwas anderes gewesen. Mit Carlo verband mich eine Seelenverwandtschaft.“

      Der Latte macchiato kam, und Esme prustete los, als die Bedienung außer Hörweite war. „Ich hoffe, doch nicht. Das hieße ja, du würdest lügen, betrügen, mit hunderten von Männern ins Bett gehen und den Mann, der dich liebt, dem du vorgemacht hast, dass du ihn heiratest, sitzen lassen. Du bist die ehrlichste, anständigste und organisierteste Frau, die ich kenne. Auch wenn dir das nicht so vorkommt, Bille, du bist etwas Besonderes.“

      Ich lächelte sie an. Das waren genau die tröstenden Worte, die ich brauchte. „Findest du?“

      „Fishing for compliments nenne ich das jetzt mal“, sagte Esme und nippte am Kaffee. „Der ist mal wieder so richtig gut.“ Sie stellte die Tasse ab und bekam diesen seltsamen Ausdruck im Gesicht, der sie immer dann befiel, wenn sie mich etwas fragte, von dem sie wusste, dass mir der Inhalt der Frage nicht behagte. „Bahnt sich etwas zwischen deinem Chef und dir an?“

      Ich war vorbereitet und empörte mich augenblicklich: „Damian Winter? Niemals! Hast du mir nicht zugehört?“ Ich konnte nicht anders, als näher an Esme zu rücken und ihr atemlos von seinem LSD-Gefasel zu erzählen. „Der hat sie doch nicht mehr alle. LSD! Schnieft er das Zeug, und wir kriegen das alle nicht mit?“

      Sie grinste. „Das wird gespritzt, soweit mir bekannt ist. Aber vielleicht wollte er nur einen Witz machen. Du hast dich also doch in ihn verliebt und weißt es vielleicht nur noch nicht.“ Sie malte nun Gänsefüßchen bei ‚verliebt’ in die Luft und beobachtete mich. „Du redest sehr viel über ihn.“ Da ich nicht antwortete, fuhr sie fort: „Warum auch nicht? Die Sache mit Carlo ist jetzt über drei Jahre her. Es wäre einfach schön, dich wieder glücklich zu sehen. Dieser Damian Winter ist ein gut aussehender Mann. Das hast du selbst gesagt. Und er ist kein Schleimer. Das hast du auch gesagt.“

      „Nein, das ist er nicht“, gab ich widerwillig zu. „Wenn ich es mal objektiv …“

      „Ich bitte darum“, unterbrach mich Esme.

      „Obsjektiv betrachte …“ Mir war auf einmal entfallen, was ich hatte sagen wollen. Rätselnd ließ ich die Worte auf der Zunge zergehen und lauschte ihnen nach … Obsjessjion? … Obsjessjiv? „Wenn ich es obsjervativ betrachte, ist er ein … äh …“ Ich versuchte, mich zu erinnern. Mann, dieses Gesöff haute ja unheimlich rein!

      „Aha“, machte Esme.

      Ich gab auf. Mir fiel kein geeigneter Ausdruck für Damian Winter ein. „Ich weiß nicht, wie ich einen Mann beschreiben soll, der sich mir gegenüber korrekt verhält, wobei ich mich falsch fühle.“ Ich sah an meiner Bluse herunter, und der fehlende Knopf sprang mir wieder ins Auge wie ein rotes Warnschild. Mein Finger kreiste in der Luft herum und versuchte, den nicht vorhandenen Knopf zu treffen. „Wie so etwas. Wie ein fehe-lender Knopf. Ich bin und werde es immer sein: unzuhu-länglich. Er ist perfekt.“

      „Niemand ist perfekt“, sagte sie.

      „Du kennst ihn nicht. Er ist perfekt. Er trägt den perfekten Anzug, dazu eine perfekte Krawatte, farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Er trägt perfekte Schuhe. Er zeigt ein perfektes Benehmen. Er ist ein Mann ohne Makel.“

      „Das schreit ja regelrecht danach, dass du willst, dass er dir an die Wäsche geht!“ Esme kicherte. „Und


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