Schwein im Glück. Astrid SeehausЧитать онлайн книгу.
Er blieb nicht lange genug, als dass man sich wieder an ihn gewöhnen konnte, und wenn er ging, hinterließ er eine unbestimmte Form von Sehnsucht. Bei mir wie auch bei unserer Mutter.
„Ich habe einen neuen Vorgesetzten, der mir das Leben zur Hölle macht.“ Ich wusste, dass ich übertrieb. Niemand machte mir das Leben zur Hölle außer ich selbst. Ich hätte Damian Winter auch weniger Beachtung schenken können. Ihn wie Weber behandeln können. Aber Weber und Winter waren, abgesehen von den gleichen Initialen, so unterschiedlich wie die Farben Rot und Grün. Es gab noch mehr Unterschiede zwischen den Männern, Weber war nicht sonderlich attraktiv und alt wie Methusalem. Damian Winter führte mir dagegen jeden Tag vor Augen, was es hieß, ein lebendiges Wesen zu sein, das irgendwann einmal Sex gehabt hatte. Ich konnte mich an den Sex mit Carlo nicht mehr erinnern. Aber daran, dass es etwas gab, das einem den Puls hochschnellen ließ, durchaus. Winter ließ meinen Puls hochschnellen.
Ben nickte verständnisvoll. „Du hast dich in ihn verknallt.“
„Ach Quatsch!“, murmelte ich. „Ich hasse Männer.“
Ben bleckte grinsend die Zähne. „Oh ja, so gut sieht er also aus.“
Ich blitzte ihn böse an.
„Du redest von einem Mann, der dir die Knie schlottern lässt. Und? Ist er denn auch an dir interessiert?“
„Du Schwachkopf, ich bin es, die nicht interessiert ist. Schau mich doch an. Ich sehe so durchschnittlich aus, wie man nur aussehen kann.“
Ich versuchte, Esmes Worte vom Vormittag aus dem Kopf zu bekommen. Würde sie mich jetzt hören, wie ich auch bei Ben nach Komplimenten fischte, würde sie mich überhaupt nicht mehr ernst nehmen. Aber ich brauchte diese doppelte Zusicherung – die von Esme und Ben. Ich war so unglaublich bedürftig und musste einfach sicher gehen, dass ich von den zwei Menschen, die ich am meisten liebte, mit allen meinen Fehlern und Unzulänglichkeiten akzeptiert wurde. Nicht nur das: Ich brauchte diese Bestätigung, dass ich trotzdem in Ordnung war.
Ben strahlte mich an. „Du weißt genau, wie hübsch du bist. Du hast Modelmaße, ich muss das ja wissen, ich bin ein Mann.“
„Du bist ein Bruder.“
„Da verwechselst du was“, widersprach er. „Wir sind beide über einen Meter achtzig groß, wir sind schlank, haben tolles braunes Haar.“
„Köterblond“, unterbrach ich ihn.
„In New York heißt die Farbe Melange. Und unsere Augen sind umwerfend. Jedes Mal wenn ein Mädchen sich in mich verliebt, dann wegen meiner sanften, braunen Augen.“
„Ja, du Reh. Und ich heiße Angelina und schleudere meine kaum vorhandenen Brüste ins Gesicht eines jeden Mannes, der sich, erschlagen von so viel Weiblichkeit, in mich verknallt.“
Er sah auf meine Oberweite, die ich, gemessen an Esmes, für kaum wahrnehmbar hielt, und sagte: „Dein Busen ist schön. Mehr würde den Männern Angst machen. Du hast eine natürliche Ausstrahlung. Andere beneiden dich um dein Aussehen.“
Ich starrte ihn an. „Wer?“
Er runzelte die Stirn und dachte nach, bis ihm der Name der Verflossenen wieder einfiel. „Salva.“
„Die aus Italien?“
„Slovenien.“
„Die sah aber doch selber so hübsch aus.“
„Ja, eben, Schönheit erkennt Schönheit.“ Ben zögerte einen Moment und meinte schließlich: „Ich glaube nicht, dass dein Aussehen das Problem ist, oder? Dieser Damian Winter scheint es aber auch nicht wirklich zu sein, wenn du nicht in ihn verliebt bist. Also was ist es dann?“
Das war der Moment, Ben zu beichten. Ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Die Angst, gekündigt zu werden, weil zu erwarten war, dass das Bilderbuchsegment geschlossen und ich als Aushilfe im Unterhaltungsbereich nicht dauerhaft gebraucht würde. Obwohl ich natürlich auch noch andere Aufgaben im Verlag hatte, aber keine bedeutenden. Meine Angst, ewig bei den Eltern wohnen zu bleiben, weil ich mir keine Wohnung in Hamburg leisten konnte, und dann meine Schulden.
„Du hast immer noch welche?“, stieß er verblüfft aus. „Ich dachte, Daddy Bastian hat dir die Schulden bezahlt.“
„Ben, hör mir zu! Du musst mir wirklich noch einen Rest an Ehrgefühl lassen. An Würde, weißt du. Wenn du mir auch noch diese Schulden bezahlst, habe ich ja gar nichts mehr, um …“
„Carlo hinterherzuheulen? Ist mir klar. Verstehen kann ich es aber trotzdem nicht, dass du auf einen hässlichen Kerl mit Neigung zum Doppelkinn und Wurstfingern abgefahren bist.“
„Er hatte keine Wurstfinger“, wehrte ich ab.
„Aha, das Doppelkinn streitest du also nicht ab. Bille, er ist es nicht wert, dass du überhaupt noch einen Gedanken an ihn verschwendest.“
„Das findet Esme auch“, gab ich kleinlaut zu.
„Na, siehst du, habe ich dir doch gesagt. Esme und ich sind fast immer einer Meinung.“
Das wäre mir neu. Esme und Ben konnten sich zu meinem Leidwesen nicht ausstehen. Seitdem Ben Esme so übel angebaggert hatte, dass er mit der verwendeten Energie den Elbe-Seitenkanal allein hätte ausheben können, und Esme ihn hatte abblitzen lassen, sprachen sie nicht mehr miteinander. Ben mied sie, und ich wusste nicht warum. Ebenso wenig blickte ich bei Esme durch. Sie redete nicht darüber, und ich fragte nicht. Ich hatte Angst, das Thema anzusprechen und irgendetwas nicht wieder Gutzumachendes auszulösen, etwas wie einen Erdrutsch. Die Erde bekam man ja nachher auch nicht mehr wieder an die Berghänge gepappt.
„Was hast du gesagt?“, versuchte ich, wieder in die Gegenwart zurückzufinden, als Ben still geworden war. Ich hatte wieder mal nicht zugehört.
„Wenn du wirklich glaubst, dass du gekündigt wirst, solltest du dich rechtzeitig nach einer anderen Stelle umsehen. Du könntest auch als meine Assistentin arbeiten.“
„Ich interessiere mich nicht für Zahlen, Ben, und das weißt du. Ich interessiere mich für Sprache.“
„Warum bloggst du nicht?“
Ich dachte für einen kurzen Moment darüber nach. „Die Idee ist gut, aber wenn ich schon den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen habe, und dann am Abend das gleiche tue, habe ich das Gefühl, meine Arbeit würde nie aufhören. Meine Arbeitstage haben schon zwölf Stunden. Ich würde sehr gerne etwas ganz anderes machen.“
„Was denn?“
Ratlos zuckte ich die Schultern. „Keine Ahnung.“
„Guter Plan“, grinste Ben breit. „Und wenn du meine Unterstützung brauchst, sagst du mir Bescheid, okay?“
Wenn ich jetzt erwartet hätte, er würde sein Scheckheft zücken und mir die restlichen Schulden zahlen, hatte ich mich dieses Mal getäuscht. Ben hatte meine Worte zu meiner Überraschung tatsächlich für bare Münze genommen.
Er nippte an seinem alkoholfreien Bier und lächelte verträumt vor sich hin. Ich war mir sicher, dass er sich wieder einmal verliebt hatte. Und vielleicht würde auch ich mich irgendwann verlieben. Vielleicht sogar bald.
4
Am Abendbrottisch saß ich mit meinen Eltern zusammen, und wir schwiegen uns an. Ben hatte sich bereits verabschiedet, da er einen dringenden Anruf erwartete und zurück in seine Wohnung zu seinen Computern mit den vielen Börsennachrichten musste. Mein Vater war kein sonderlich großer Redner, er war ein guter Mensch, ganz bestimmt, er war aber auch ein Mann, der davon ausging, dass sein Wort Gesetz war.
„Salz!“, befahl er.
Ich sprang auf und eilte in die Küche, um ihm das Salz zu holen. Es war ein Automatismus, den ich mir im Haus meiner Eltern nicht erst wieder angewöhnen musste, obwohl ich die Jahre während meines Studiums allein gelebt hatte. Anders ausgedrückt: Ich hatte es mir nie abgewöhnt zu springen, wenn jemand, bildlich gesprochen, mit den Fingern schnippte. Die