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Schwein im Glück. Astrid SeehausЧитать онлайн книгу.

Schwein im Glück - Astrid Seehaus


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schlagartig ernst. „Ich meine es gut, Bille, wenn ich sage, dass du wieder einen Mann in dein Leben lassen solltest. Man wird seltsam, wenn man allein ist.“

      „Willst du damit andeuten, ich sei seltsam?“, fragte ich irritiert.

      „Schau dich an! Dein Haar ist so schön, aber du trägst eine Frisur …“, sie deutete auf meinen Knoten im Nacken, „die dich wesentlich älter macht, als du bist. Du trägst eine zerknitterte Bluse mit einem fehlenden Knopf. Warum eigentlich? Hast du nur eine in deinem Kleiderschrank?“ Sie schaute auf meinen Rock, schwarz und schlicht. „Du siehst nicht wie eine Frau aus, die mit Kinderbüchern zu tun hat. Man könnte annehmen, du arbeitest für die Addams Family. Was sollen denn diese schwarzen Kostüme und die weißen Blusen?“

      „Das gilt allgemein als seriös.“

      „Ach Schätzchen“, seufzte sie. „Sieh mich an! Wirke ich in bunten Farben weniger seriös?“

      Ich musterte ihre Kleidung. Ihre Turnschuhe (ein Zugeständnis ans Fahrrad, sonst trug sie Pumps) waren auf ihr rotes Kleid abgestimmt und ein farblich passender rot changierender Schal wie ein Gürtel um ihre Taille gebunden. Ein ähnliches Tuch hielt ihr kastanienbraunes, dickes Haar aus dem Gesicht.

      „Du bist schön. Du kannst alles tragen.“

      Ungeduldig winkte sie ab. „Das lasse ich nicht gelten. Deine Attraktivität steht meiner in nichts nach. Du wälzt dich halt nur gerne wie ein alter Klepper in Selbstmitleid.“

      Das war mir nicht neu. Ich tat es bereits seit über drei Jahren. „Du hast Recht“, gab ich zu. „Ich weiß, dass ich seit Carlo Angst habe, mich auf eine neue Beziehung einzulassen. Ich dachte, er wäre der Richtige. Und alles, was ich mal wollte, ein eigenes Übersetzungsbüro oder einen eigenen kleinen Verlag, habe ich nicht erreicht. Du kennst meinen Traum: Kinderbücher machen. Ich habe es nicht geschafft, Esme. Das hat mich für Jahre gezeichnet.“

      „Ja gut, aber diese Jahre sind vorbei. Ich hoffe doch, dass du daraus keinen Dauerzustand werden lässt. Du kennst meine Meinung: Deine Eltern, besonders deine Mutter, regieren zu sehr in deinem Leben herum. Es konnte niemand wissen, dass Carlo sich so verhalten würde. Er ging nach Amerika und hat dich nicht nachgeholt. Deine Eltern wären auch furchtbar traurig gewesen, wenn du gegangen wärst, aber das heißt nicht, dass du dich ihnen mit Haut und Haaren überlassen musst.“ Sie beugte sich vor und tätschelte meine Hand. „Du hast aufgegeben.“

      Ich fühlte mich tatsächlich wie ein Hund, der von seinem Herrchen im Stich gelassen wurde. „Das stimmt“, schniefte ich vernehmlich. Ich fühlte mich schlimmer als ein Hund, ich fühlte mich wie eine Versagerin.

      „Und jetzt gehen wir shoppen.“ Esme lehnte sich zurück und winkte der Bedienung. „Die Getränke gehen auf mich.“

      „Ich muss zurück ins Büro.“

      „Sag deiner Nesrin, dass du dir einen Magen-Darm-Virus eingefangen hast.“

      „Das glaubt sie mir nie.“

      „Dann sag, dass du ihr Winter überlässt.“

      Ich nickte. Ja, so könnte es funktionieren.

      Benita und Benjamin. In der Pubertät hatte ich mich oft gefragt, ob unsere Eltern für uns eine Zukunft als Varietékünstler geplant hatten. Benjamin hatte nie etwas gegen seinen Namen gehabt. Es war für ihn in Ordnung, Ben gerufen zu werden, oder Benni. Mir blieben die Spitznamen Ben-zwei, Benitalein, Die-Schwester-von-Ben.

      Ben war ein guter Bruder, einer, den jede Schwester sich wünscht: beschützend, verständnisvoll, loyal. Und – und das war wohl der ausschlaggebende Punkt, ihn für immer lieb zu haben –, er verteidigte mich vor unseren Eltern, als ich mit vierzehn beschloss, mich Bille rufen zu lassen. Ich hatte den Namen Benita bis dahin abgrundtief hassen gelernt.

      Unsere Mutter Jette hatte – natürlich – dagegen protestiert. Sie hatte den Namen Benita für mich ausgesucht, und Bastian, unser Vater, hatte sich – bestimmt wieder – herausgehalten. Wie sonst auch wird er sich an seine Zeitung geklammert haben, so dass die Namensgebung wie eine kurzzeitige Funkstörung an ihm vorbeigerauscht war.

      Ben und ich saßen in meinem alten Kinderzimmer, das ich weder aus- noch umgeräumt hatte, seitdem ich wieder ins Elternhaus gezogen war, weil mir die Lust dazu fehlte. Oder die Zeit. Oder beides. Ben kauerte lässig mir gegenüber und sah mich mit großen Augen an. Er wartete, dass ich eine kluge Bemerkung machte, auf die er dann eine ebenso kluge Antwort geben würde. Er liebte es, geistreich zu flachsen. Wir beide liebten das Wort, er redete gern, ich las gern. So war ich Literaturwissenschaftlerin geworden und nach dem Carlo-Desaster bei einem Verlag als Lektorin gestrandet. Er dagegen schmiss sein Maschinenbaustudium, ging zur Börse und machte einen Haufen Kohle. Natürlich hätte er meine Schulden mit einem Klacks begleichen können. Mein Bruder schwamm im Geld. Er hatte eine Wohnung in London (mit Freundin), eine in New York (mit Freundin), eine in Hamburg (leider auch mit Freundin, daher konnte ich nicht einfach so bei ihm wohnen, was ich gerne getan hätte). Ich liebte seine Wohnung. Sie war funktional. Kalt, wie eben eine Designerwohnung war, die von einer Designerinnenarchitektin eingerichtet worden war (eine Ex), aber eben mit allem ausgestattet, was das Leben lebenswert machte: einem Whirlpool und der unersetzlichen Espressomaschine, die hervorragenden Latte macchiato machen konnte. Und er hatte meinen Eltern das Haus bezahlt, das sie nach unserer Versetzung auf das Gymnasium erworben und sich dann auch gleich mit dem Kredit verhoben hatten. Wunderbar, wenn man einen Sohn hatte, der gut mit Zahlen konnte. Oder einen Bruder, der einem zur Seite stand, wenn man ihn brauchte. Meine Schulden hätte er jetzt, wo er so etwas wie ein Millionär war, mit links tilgen können, aber ich wollte es nicht. Mein Stolz verbat es mir. Ich wollte es allein schaffen. Wenigstens den Rest, den ich noch zu tilgen hatte, das waren knapp über zwanzigtausend Euro.

      „Was ist los, Ben, die zweite?“, fragte er mich, seine Schwester, die, die nach ihm auf die Welt gekommen war, wenn auch nur Minuten später.

      Ich lächelte müde. „Hast du jemals darüber nachgedacht, im Varieté aufzutreten?“

      Er lachte auf. „Die Börse ist auch ein verrückter Zirkus.“ Er sah auf sein Smartphone und checkte kurz Dax und Dow Jones.

      „Eine neue Freundin?“, fragte ich möglichst unschuldig. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass seine Nervosität mit einer neuen Frau zu tun hatte. „Irgendwann wirst du mit deinen Parallelwelten auf die Nase fallen. Irgendwann wird die eine der anderen begegnen, und wie willst du dich dann herausreden?“

      Er sah mich lächelnd an. „Gar nicht. Sie wissen voneinander.“

      Ich hob die Augenbrauen. „Und sind dir nicht böse?“

      „Bille-Maus“, sagte Ben herablassend, und auch wenn ich meinem Bruder von Herzen zugetan war, diese Attitüde machte mich wahnsinnig. „Sie lieben mich. So wie du und Mam.“

      „Klasse, dass du mich schon auf eine Stufe mit Mama stellst.“ Ich sah ihm dabei zu, wie er auf die Tastatur seines Gerätes drosch, und wunderte mich, wie er es schaffte, sich nie zu vertippen. „Was ist? Fallen deine Kartoffelpreise?“

      „Ich habe in einen Mikrofinanzfond investiert und schaue mir gerade die Zahlen an.“

      „Ist das gut?“

      Er nickte. „Auf jeden Fall. Es wirft nicht viel ab, aber es ist eine gute Idee, Kleinunternehmer in den Drittweltländern zu unterstützen, und das tue ich hiermit.“

      Nachdem er alle Zahlen gecheckt hatte, legte er das Smartphone beiseite und sah mich direkt an. Sein Blick war ernst, und ich wusste, dass er in meinen Gedanken zu lesen versuchte.

      „Du steckst wieder in Schwierigkeiten“, stellte er folgerichtig fest.

      „So würde ich das nicht nennen“, wand ich mich und wäre am liebsten unter meine Decke gekrochen.

      Wir saßen auf meinem Bett, das noch das bequemste Möbelstück im Zimmer war. Schon früher haben wir oft auf unseren Betten gesessen und bis tief in die Nacht


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