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Das letzte Sandkorn. Bernhard GierscheЧитать онлайн книгу.

Das letzte Sandkorn - Bernhard Giersche


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lagen vereinzelt auf dem Boden und durch die großen, erstaunlicherweise intakten Fensterscheiben erkannte Laurenz Beck, dass vor dem Bankhaus mindestens zwei Autos auf der Seite lagen und brannten. Was in diesem ganzen Bild fehlte, waren heulende Alarmanlagen, die Sirenen der Feuerwehr und der Polizei und die Menschen, die retten, bergen und helfen. Stattdessen hörte man ein Knistern und Krachen, ein immer lauter werdendes Rauschen, unterbrochen von Splittern und lauten Schreien. Er tastete sich instinktiv nach Halt suchend an der Wand entlang, bis er die Tür zum Treppenhaus erreicht hatte. Im Keller des Gebäudes gab es einen Tresorraum, der gleichzeitig als Panikraum konstruiert war. Man hatte diesen Raum für den Fall konzipiert, dass Bedienstete während eines Überfalls sich dorthin begeben und sich einschließen konnten, bis die Polizei eingetroffen war und sie befreite. Dorthin wollte Laurenz Beck nun. Dieser Ort schien ihm angesichts des totalen Chaos der sicherste zu sein.

      Im Treppenhaus roch es stark nach Rauch und von den oberen Etagen fielen Ascheflocken herab. Er stieg die Stufen hinab und fand den Tresorraum offen vor.

      Frau Martens, die Kassiererin, die normalerweise hinter schusssicherem Glas Geld an Kunden ausgab oder Bareinzahlungen bearbeitete, lag mit zerschmettertem Schädel vor der offenen Tür. Ihr Rock war hochgerutscht und gab den Blick auf einen geblümten Schlüpfer frei, ihre Beine waren weit gespreizt, in einer letzten, frivol anmutenden Geste.

      Laurenz Beck übergab sich und fügte der Farbpalette auf seinem Anzug noch einige Akzente hinzu.

      Der Panikraum befand sich hinter dem eigentlichen Tresorraum. Er stieg mit geschlossenen Augen über die Leiche von Frau Martens hinweg und ging durch den Tresorraum, der im Grunde nur aus Regalen mit hunderten von Schließfächern bestand. Die Notbeleuchtung, die durch Batterien betrieben wurde, warf diffuses Licht in den Raum und das Blinken an der elektronischen Konsole, an der man den Code eingeben musste, warf monoton abwechselnd grünes und rotes Licht in den Raum.

      Er öffnete die Stahltür zum Panikraum, betrat diesen und schloss die Tür hinter sich. Es gab in diesem Raum nur eine Pritsche und einen kleinen Schrank, in dem sich eigentlich Wasserflaschen und Eimer befinden sollten, der jetzt aber leer war. Im Grunde rechnete schon seit Jahren niemand mehr damit, dass man diesen Raum beutzen würde, denn die Sicherheitssysteme waren so ausgefeilt, dass ein Überfall mehr als unwahrscheinlich geworden war. An der Innenseite der Tür war ein großes Rad angebracht, mit dem man die Tür verriegeln konnte.

      Es war nun nicht mehr möglich, die Tür ohne Schneidbrenner und andere Werkzeuge von außen zu öffnen. Laurenz Beck setzte sich auf die Pritsche und weinte hemmungslos, völlig unter Schock stehend und bis zum Platzen mit Adrenalin vollgepumpt.

      Als er sich langsam beruhigte, nur dieses schluckaufartige Zittern nach dem Weinkrampf, das er nicht bewußt abstellen konnte, in kurzen Abständen seinen Körper erschauern ließ, konnte er von der anderen Seite der Tür merkwürdige Geräusche hören. Geräusche, die durch die Stahltür gedämpft wurden und so einen sehr unwirklichen Klang bekommen hatten.

      Ein Knirschen und Poltern, erst weit weg, dann näherkommend. Die batteriebetriebenen Lüfter summten und das fahle Neonlicht flackerte und erlosch schließlich, und auch das Summen, das den Raum bislang erfüllt hatte, verstummte. Laurenz Beck saß in völliger Dunkelheit in einem Raum von zwei mal drei Metern und draußen schien, den Geräuschen nach zu urteilen, die Welt unterzugehen, schien sich die Apokalypse zu vollziehen.

      »Was zum Teufel ist da los?«, fragte sich Beck immer wieder. Er tastete sich zu der Stahltür vor und presste sein Ohr an diese, in der Hoffnung, irgendwelche Informationen über das, was draußen vorging, zu erhalten. Auf keinen Fall wollte er länger in dieser Gruft bleiben, als unbedingt nötig. Ihm war klar, dass in den oberen Etagen des Gebäudes ein Feuer ausgebrochen sein musste, und die Detonation des abstürzenden Flugzeuges klang ihm noch in den Ohren. Dass plötzlich alle Menschen um ihn herum wahnsinnig geworden zu sein schienen, konnte er ebensowenig verdrängen.

      Und er hatte einen Auftrag, eine Mission zu erfüllen. Und das ging schlecht in diesem Loch, in dem er festsaß und aus dem er sich nicht heraustraute.

      Zuerst konnte er nicht sagen, ob er sich das einbildete, aber ihm schien, als würde die Tür sich erwärmen. Er nahm seinen Kopf zurück und legte beide Hände auf die glatte Fläche der Stahltür. Tatsächlich. Die Tür war warm und sie wurde immer wärmer. Bis sie so heiß war, dass er sie loslassen musste. Instinktiv zog er sich an die Wand zurück, die am weitesten von der Tür entfernt war. Drei Meter. Maximal.

      Augen können sich an Dunkelheit gewöhnen. Die sensiblen Rezeptoren auf der Netzhaut vermögen auch kleinste Lichtmengen zu sinnvollen Informationen zu verarbeiten. Aber wo jedes Licht fehlt, nicht die geringste Beleuchtung ist, wo absolute Dunkelheit herrscht, sind Menschen und Tiere blind.

      Laurenz Beck sah trotz der Dunkelheit Lichtflecken, skurrile Schatten und kleine Blitze. Die Dunkelheit in dem Panikraum war wie zäher Brei und sein Gehirn füllte die dem Sehnerv fehlenden Informationen mit Fantasiebildern. Er hatte sich an die hintere Wand gekauert und spürte bis hierhin, dass sich die Luft im Raum erwärmte. Der Geruch von seinem Erbrochenem, seinem Urin und der metallische Geruch von Blut lag in der Luft.

      Ihm war klar, leider völlig klar, dass das Bankgebäude wohl in voller Ausdehnung brennen musste. Außer den Inhalten der Schließfächer gab es hier unten kaum etwas Brennbares. Die Türen waren aus Stahl und die Böden waren gefliest.

      Lichtschalter und Lampen, Bilder und derartige Kleinigkeiten mochten brennen, aber die Hitze, die die Stahltür, die ihn schützte und gleichzeitig gefangen hielt, abstrahlte, konnte ihre Ursache nur darin haben, dass das Gebäude komplett in hellen Flammen stand.

      Unwillkürlich musste er an die Twin-Tower in New York denken. Vor allem daran, wie die Konstruktion irgendwann kollabiert und in sich zusammengestürzt war. Das Bankgebäude hatte nur sieben Stockwerke und er hoffte, dass die Feuerwehr schnell genug den Brand gelöscht haben würde, bevor ihm hier unten die Luft ausging oder er gebacken wurde. Egal, was früher eintrat, er hatte keine favorisierte Todesart. Gar nicht sterben war sein klares Ziel.

      Mittlerweile war er zwei Stunden in dem Raum.

      Die Temperatur mochte etwa 40 Grad betragen und Laurenz Beck hatte sich bis auf die Unterwäsche entkleidet. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Er hatte Erschütterungen wahrgenommen, als einzelne Gebäudeteile einstürzten und jedesmal aufgeschrien, weil er dachte, nun unter den Trümmern des ausgeglühten Hochhauses zerquetscht zu werden, statt zu ersticken oder zu verbrennen. Und das alles in völliger Dunkelheit.

      Was ihn bei Verstand hielt, war die Tatsache, dass Gott ihm wohl kaum den Auftrag zur Weltrettung gegeben hätte, wenn er die Absicht gehabt hätte, ihn hier unten sterben zu lassen. Also würde alles gut werden, musste einfach.

      Wo blieb nur seine Rettung? Sein Mobiltelefon lag in der Schublade seines Schreibtisches und war nun wohl längst in Rauch und Asche aufgegangen. Im Panikraum gab es ein Telefon, und er hatte so lange in der Dunkelheit umhergetastet, bis er es gefunden hatte. Das Telefon war allerdings tot. Nicht mal ein Knistern oder Rauschen war zu hören.

      Von draußen waren auch nach acht Stunden immer noch die Geräusche der Zerstörung zu hören, aber sie wurden weniger.

      Die Luft in dem kleinen Zimmer wurde immer schlechter. Laurenz Beck stellte fest, dass er dicht am Boden besser atmen konnte, als wenn er stand, und so lag er auf dem gestrichenen Estrichboden und atmete langsam und flach, um möglichst wenig Sauerstoff zu verbrauchen.

      Die Wahrscheinlichkeit, dass er aus dieser Situation lebend hervorgehen würde, schätzte er von Stunde zu Stunde geringer ein, und auch die Rettung der Welt wurde ihm nach nunmehr acht Stunden in seinem Kerker immer gleichgültiger. In seinem Privatleben gab es wenig, woran er denken musste. Er hatte keine Frau. Das lag daran, dass er irgendwie asexuell war. Es interessierte ihn nicht wirklich, dieses Leben an der Seite eines geliebten Menschen, das die meisten anderen als höchsten Lebenszweck ansahen. Er war noch nie verliebt gewesen.

      Manchmal hatte er so seltsame Impulse, aber die gingen eher in eine ganz andere Richtung. Er hatte sich immer gegen Gedanken in diese Richtung zur Wehr gesetzt, und das ziemlich erfolgreich. Er konnte


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