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Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl. Christopher GermerЧитать онлайн книгу.

Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl - Christopher Germer


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einbezieht, die man für andere empfindet – nicht mehr und nicht weniger.

      Wenn Liebe auf Leiden trifft, kann sie zu Mitgefühl oder Mitleid werden. Mitgefühl (engl. empathy) ist wie ein Spiegel in unserem Innern, der alles widerspiegeln kann, was ein anderer Mensch fühlt: Glück, Trauer, Freude, Verzweiflung. Mitleid (engl. sympathy oder compassion) bezieht sich speziell auf das Mitempfinden des Schmerzes eines anderen Menschen.

      Mitleid haben oder „mitleiden“ mit einem anderen Menschen – darum geht es in diesem Buch. Im üblichen deutschen Sprachgebrauch bedeutet das Wort „Mitleid“ allerdings, dass der innere Spiegel ein wenig durch emotionale Reaktivität getrübt ist. Im Gegensatz dazu ist beim „Mitgefühl“ die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir vom Schmerz der anderen überwältigt werden. Mitgefühl könnte man als Mitleid mit Achtsamkeit bezeichnen. Es ist die Fähigkeit, den Schmerz eines anderen Menschen tief nachzufühlen, ohne damit zu kämpfen, und gleichzeitig den liebevollen Wunsch zu hegen, dieser Mensch möge frei von Leiden sein. Mitgefühl ist ein positives Gefühl: warm, feucht und zart. Ein Mensch, der Mitgefühl hat, fühlt sich mit anderen verbunden.

      Wenn wir uns selbst diese besondere Qualität des Mitgefühls entgegenbringen, so wie wir es mit einem geliebten Kind, das leidet, oder einem Freund, einer Freundin tun würden, so ist das „Mitgefühl mit sich selbst“ oder eben „Selbstmitgefühl“. Selbstmitgefühl ist nicht Selbstmitleid. Letzteres bedeutet eher, dass ein Mensch durch seinen Kummer wie gelähmt ist und sich selbst bedauert. Selbstmitgefühl befreit uns von Kummer. Es ist eine besondere Art der Selbstliebe und der erste Schritt zur emotionalen Heilung.

      CHRISTOPHER GERMER

      15. Februar 2011

      Einleitung

      Das Leben ist hart. Trotz bester Absichten geht vieles schief – manchmal sehr schief. Neunzig Prozent aller Brautpaare gehen voller Hoffnung und Optimismus in die Ehe, und dennoch enden 40 % aller Ehen vor dem Scheidungsrichter. Wir kämpfen uns durch den Alltag, nur um eines Tages mit stressbedingten Problemen wie hohem Blutdruck, Angstzuständen, Depressionen, Alkoholismus oder einem geschwächten Immunsystem beim Arzt zu landen.

      Wie reagieren wir normalerweise, wenn unser Leben aus den Fugen gerät? In den meisten Fällen schämen wir uns und werden selbstkritisch: „Was ist nur los mit mir?“, „Warum schaffe ich es nicht?“, „Warum ich?“ Vielleicht setzen wir auch alles daran, uns selbst wieder „in Ordnung zu bringen“ und machen damit alles nur noch schlimmer. Manchmal geben wir anderen die Schuld. Anstatt uns eine Atempause zu gönnen, scheinen wir stets den Weg des größten Widerstandes zu wählen.

      Doch wie verzweifelt wir auch versuchen, emotionalen Schmerz zu vermeiden, wir können ihm nicht entgehen. Schwierige Gefühle – Scham, Wut, Einsamkeit, Angst, Verzweiflung, Verwirrung – klopfen mit schöner Regelmäßigkeit an unsere Tür. Sie überfallen uns, wenn sich die Dinge nicht wie erwartet entwickeln, wenn wir von unseren Lieben getrennt sind oder wenn wir mit Krankheit, Alter und Tod konfrontiert werden. Es ist schier unmöglich, sich nie schlecht zu fühlen.

      Aber wir können lernen, mit Kummer und Leid auf eine andere, gesündere Art und Weise umzugehen. Anstatt problematischen Gefühlen mit erbittertem Widerstand zu begegnen, können wir unseren Schmerz anschauen, beobachten, und mit Freundlichkeit und Verständnis darauf reagieren. Das ist Selbstmitgefühl: Wenn wir uns so um uns selbst kümmern, wie wir es bei einem geliebten Menschen tun würden. Wenn Sie in Zeiten der Trauer oder Einsamkeit normalerweise auf sich herumhacken, wenn Sie sich vor der Welt verstecken, weil Sie einen Fehler gemacht haben, oder wenn Sie sich das Hirn darüber zermartern, wie Sie den Fehler von vornherein hätten vermeiden können, dann ist Ihnen die Vorstellung, sich selbst Mitgefühl und Liebe entgegenzubringen, wahrscheinlich völlig fremd. Aber warum sollten Sie sich die Zärtlichkeit und Wärme vorenthalten, die Sie anderen leidenden Menschen bereitwillig schenken?

      Wenn wir gegen emotionalen Schmerz ankämpfen, bleiben wir darin gefangen; er wird zur Falle. Dann werden schwierige Gefühle destruktiv und zerstören Körper, Geist und Seele. Die Gefühle erstarren – frieren sozusagen ein – und wir erstarren mit ihnen. Das Glück, das wir uns in Beziehungen wünschen, scheint vor uns zu fliehen; Erfüllung in der Arbeit wird zu einem unerreichbaren Ideal. Wir schleppen uns durch den Tag und hadern mit unseren körperlichen Schmerzen und Beschwerden. Normalerweise ist uns gar nicht bewusst, wie viele dieser schmerzhaften Prüfungen durch unsere Einstellung zu und unseren Umgang mit den unvermeidlichen Unannehmlichkeiten des Lebens verursacht werden.

      Doch alles ändert sich wie von selbst, wenn wir uns unserem emotionalen Schmerz mit ungewohntem Mitgefühl öffnen. Anstatt uns selbst anzuklagen, zu kritisieren und zu versuchen, uns in Ordnung zu bringen (oder andere oder die ganze Welt), wenn etwas schiefgeht und wir uns schlecht fühlen, könnten wir auch anfangen, uns selbst anzunehmen. „Zuallererst Mitgefühl“! Diese einfache Kehrtwende kann Ihr Leben radikal verändern.

      Stellen Sie sich vor, Ihr Partner hat Sie gerade kritisiert, weil Sie Ihre Tochter angeschrien haben. Das verletzt Sie und führt zu einer Auseinandersetzung. Vielleicht haben Sie sich missverstanden, missachtet, ungeliebt oder nicht liebenswert gefühlt? Vielleicht haben Sie nicht die richtigen Worte gefunden, um zu beschreiben, wie Sie sich fühlten, aber wahrscheinlicher ist, dass Ihr Partner zu wütend oder ablehnend reagierte, um wirklich zu hören, was Sie zu sagen hatten. Stellen Sie sich nun vor, Sie hätten einmal tief durchgeatmet und vor dem Streit zu sich selbst gesagt: ‚Ich will unbedingt eine gute Mutter (ein guter Vater) sein. Es tut mir so weh, wenn ich mein Kind anschreie. Ich liebe meine Tochter über alles, aber manchmal verliere ich einfach die Nerven. Ich bin auch nur ein Mensch. Ich hoffe, dass ich lernen kann, mir meine Fehler zu verzeihen und dass wir einen Weg finden, in Frieden miteinander zu leben.‘ Spüren Sie den Unterschied?

      So ein Augenblick, in dem Sie mitfühlend und liebevoll mit sich selbst umgehen, kann Ihren ganzen Tag verändern und viele solcher Momente können Ihrem Leben eine ganz neue Richtung geben. Die Befreiung aus der Falle destruktiver Gedanken und Gefühle durch Selbstmitgefühl kann Ihre Selbstachtung von innen heraus stärken, Depressionen und Ängste vertreiben und Ihnen sogar helfen, Ihre Diät durchzuhalten.

      Und nicht nur Sie profitieren davon. Das Mitgefühl und die Liebe, die Sie sich selbst entgegenbringen, sind das Fundament der Liebe und des Mitgefühls für andere. Der Dalai Lama hat einmal gesagt: „(Mitgefühl) ist ein Zustand, in dem wir wünschen, das Objekt unseres Mitgefühls möge frei von Leiden sein … zuerst du selbst, und dann dehnt sich dieser Wunsch auf andere aus.“ Es ist doch logisch, dass wir keine Empathie für andere haben können, wenn wir die gleichen Gefühle – Verzweiflung, Angst, Versagen, Scham – bei uns selbst nicht tolerieren. Und wie können wir anderen auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenken, wenn wir völlig von unseren eigenen inneren Kämpfen in Anspruch genommen sind? Erst wenn wir mit unseren eigenen Problemen wieder umgehen können, können wir unsere liebevolle Zuwendung auf andere ausdehnen, was wiederum zur Verbesserung unserer Beziehungen und zur allgemeinen Lebenszufriedenheit beiträgt.

      Mitfühlend und liebevoll mit sich selbst umzugehen ist eigentlich die natürlichste Sache der Welt. Denken Sie nur einmal einen Moment darüber nach. Wenn Sie sich in den Finger schneiden, werden Sie die Wunde säubern und verbinden und so die Heilung unterstützen. Das ist natürliches Selbstmitgefühl. Aber wo bleibt dieses Selbstmitgefühl, wenn unser emotionales Wohlergehen auf dem Spiel steht? Strategien, die uns helfen, den Angriff eines Säbelzahntigers zu überleben, scheinen auf der emotionalen Ebene nicht zu funktionieren. Unangenehme Gefühle bekämpfen wir instinktiv, so als handele es sich um äußere Feinde, aber dieser innere Kampf macht alles nur noch schlimmer. Wenn Sie sich Ihrer Angst widersetzen, steigert sie sich vielleicht zu einer voll ausgeprägten Panikattacke. Wenn Sie Ihre Trauer unterdrücken, entwickeln Sie vielleicht eine chronische Depression. Der verzweifelte Kampf ums Einschlafen kann Sie die ganze Nacht wach halten.

      Wenn wir in unserem Schmerz gefangen sind, ziehen wir auch gegen uns selbst in den Krieg. Der Körper schützt sich vor Gefahren durch Kampf, Flucht oder Erstarrung (Einfrieren), aber wenn wir emotional herausgefordert werden, bilden diese Reaktionen eine unheilige Dreifaltigkeit der Selbstkritik, Selbstisolation und Selbstbezogenheit.


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