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Mit Kindern wachsen. Jon Kabat-ZinnЧитать онлайн книгу.

Mit Kindern wachsen - Jon Kabat-Zinn


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und zugleich von Grund auf positive Alternative zu jenem getriebenen, automatischen Dahinleben sein, in dem wir oft einfach nur funktionieren, ohne es überhaupt zu merken. Das ist besonders wichtig für uns als Eltern, die wir ja versuchen, den vielen Pflichten und Anforderungen gerecht zu werden, die wir Tag für Tag auf uns nehmen, während wir gleichzeitig für unsere Kinder und ihre inneren und äußeren Bedürfnisse sorgen – in einer Welt, die zunehmend komplizierter und stressreicher wird.

      Was heißt „Achtsamkeit in der Familie“?

      Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie ruft uns dazu auf, den Möglichkeiten, positiven Entwicklungschancen und Herausforderungen des Eltern-Seins mit einem neuen Bewusstsein und einer besonderen inneren Haltung zu begegnen. Sie bringt nicht nur mit sich, dass uns das, was wir tun, als wichtig erscheint, sondern zeigt uns, dass unser bewusstes Engagement als Eltern im wahrsten Sinne des Wortes das Wichtigste ist, was wir tun können – sowohl für unsere Kinder als auch für uns selbst.

      Dieses Buch befasst sich mit den verschiedensten Aspekten dessen, was Eltern erleben. Es beschreibt, wie wir die Bedürfnisse unserer Kinder so umfassend wie möglich befriedigen können, indem wir eine bestimmte Art von Gewahrsein oder Bewusstheit entwickeln. Mit Hilfe dieses Gewahrseins, das auch Achtsamkeit genannt wird, können wir zu einem tieferen Verständnis für unsere Kinder und uns selbst gelangen. Achtsamkeit ermöglicht es, hinter den oberflächlichen Anschein der Dinge vorzudringen und klarer zu sehen, wie unsere Kinder wirklich sind. Mit Hilfe der Achtsamkeit können wir sowohl in unser Inneres schauen als auch die Außenwelt betrachten und aufgrund dessen, was wir dabei sehen, in unserem Handeln ein gewisses Maß an Weisheit und Mitgefühl entwickeln. Wenn Eltern sich bei allem, was sie tun, um Achtsamkeit bemühen, so kann das eine sehr heilende und transformierende Wirkung haben – sowohl auf ihre Kinder als auch auf sie selbst.

      In Teil IV des Buches werden wir sehen, dass man das Leben mit Kindern im Geiste der Achtsamkeit wie eine außergewöhnlich lange und zuweilen sehr anstrengende Meditationsklausur verstehen kann, die einen großen Teil unseres Lebens umfasst. Und wir können unsere Kinder als uns ständig fordernde Hauslehrer sehen, die uns von ihrer Geburt bis weit in ihr Erwachsenenleben hinein begleiten und schulen. Sie geben uns zahllose Gelegenheiten, mehr darüber zu erfahren, wer wir sind und wer sie sind. Dies wiederum gibt uns die Möglichkeit, mit den wichtigen Dingen in Kontakt zu bleiben und unseren Kindern zu geben, was sie für ihre Entwicklung am dringendsten brauchen. Vielleicht stellen wir im Laufe der Zeit fest, dass uns dieses Gewahrsein von Augenblick zu Augenblick von einigen der blockierendsten Gewohnheiten der Wahrnehmung und unserer Art, zu anderen Menschen in Beziehung zu treten, befreit – von den Zwangsjacken und Gefängnissen des Geistes, die die Vorgänger-Generation an uns weitergegeben hat oder die wir auf irgendeine Weise selbst geschaffen haben. Unsere Kinder können uns durch ihre bloße Gegenwart und oft ohne Worte oder Diskussionen dazu inspirieren, diese innere Arbeit zu tun. Je besser es uns gelingt, uns die dem Wesen unserer Kinder eigene Ganzheit und Schönheit zu vergegenwärtigen – insbesondere dann, wenn es uns gerade schwerfällt –, umso tiefer wird unsere Fähigkeit, achtsam zu sein. Je klarer wir sehen, desto besser, großzügiger und klüger können wir auf sie eingehen.

      Wenn wir es uns zur Aufgabe machen, sie auch innerlich zu fördern und zu verstehen, wer sie sind, dann werden uns unsere „Hauslehrer“ insbesondere in den ersten zehn oder zwanzig Jahren unserer „Ausbildung“ unendlich viele Augenblicke des Staunens und der Glückseligkeit bescheren sowie zahllose Gelegenheiten, tiefste Gefühle der Verbundenheit und Liebe zu erfahren. Ebenso wahrscheinlich ist, dass sie zielsicher alle unsere wunden Punkte finden, alle unsere Unsicherheiten, an allen unseren Grenzen rütteln und all das in uns anrühren, wovor wir Angst haben und worin wir uns unzulänglich fühlen. Wenn wir bereit sind, das ganze Spektrum unserer Erfahrungen wirklich bewusst zu erleben, werden sie uns immer wieder an das Wichtigste im Leben erinnern – einschließlich seiner Mysterien.

      Unsere Aufgabe als Eltern ist teilweise deshalb besonders intensiv und anstrengend, weil unsere Kinder von uns Dinge fordern, die niemand anders von uns fordern könnte und wie es niemand anders tun könnte oder würde. Sie kommen uns so nah wie kein anderer Mensch, und sie zwingen uns ständig, in den Spiegel zu schauen, den sie uns vorhalten. Dadurch geben sie uns immer wieder die Chance, uns auf neuartige Weise zu sehen und uns bewusst zu fragen, was wir aus jeder Situation lernen können, die wir mit ihnen erleben. Aus diesem Gewahrsein heraus können wir dann Entscheidungen treffen, die gleichzeitig dem inneren Wachstum unserer Kinder und unserer eigenen Weiterentwicklung zugutekommen. Unsere Verbundenheit mit ihnen und unsere Abhängigkeit voneinander eröffnen uns die Möglichkeit, gemeinsam zu lernen und zu wachsen.

      Um unsere Aufgabe als Eltern auf achtsame Weise erfüllen zu können, ist es hilfreich, etwas darüber zu wissen, was Achtsamkeit ist. Achtsamkeit ist ein Gewahrsein, das jeden einzelnen Augenblick erfasst, ohne darüber zu urteilen. Wir können dieses Gewahrsein entwickeln, indem wir unsere Aufmerksamkeit verfeinern, unsere Fähigkeit zur Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick schulen und diese Aufmerksamkeit so gut wie möglich aufrechterhalten. Wenn wir dies versuchen, wird unser Kontakt zu unserem Leben, so wie es sich Augenblick um Augenblick entfaltet, immer intensiver.

      Gewöhnlich vergeht ein großer Teil unseres Lebens mit automatischen Reaktionen. Wir sind nur sehr partiell und eher zufällig aufmerksam, und viele wichtige Dinge erscheinen uns als Selbstverständlichkeiten, oder wir beachten sie erst gar nicht. Wir beurteilen gewöhnlich alles, was wir erleben, indem wir uns blitzschnell und oft völlig unkritisch Meinungen bilden, deren Maßstab in den meisten Fällen ist, was wir mögen oder nicht mögen, was wir wollen oder nicht wollen. Achtsamkeit kann Eltern sehr effektiv bei der Erfüllung ihrer Aufgabe helfen, all das bewusst zu registrieren, was in jedem einzelnen Augenblick geschieht, und so durch den Schleier der automatischen Gedanken und Gefühle zur Wahrnehmung einer tieferen Realität zu gelangen.

      Achtsamkeit ist ein zentrales Anliegen buddhistischer Meditation, wobei es vor allem darum geht, Aufmerksamkeit zu entwickeln und zu kultivieren. Diese Praxis ist in verschiedenen Meditationsschulen in ganz Asien seit mehr als zweieinhalbtausend Jahren gepflegt und weiterentwickelt worden, und sie stößt heute in vielen Bereichen der westlichen Gesellschaft auf zunehmendes Interesse – unter anderem in der Medizin, den Neurowissenschaften, der Psychologie, der Gesundheitsvorsorge, in der Erziehung, im Justizwesen sowie in Sozialprogrammen.

      Achtsamkeit ist eine meditative Disziplin. Es gibt viele meditative Disziplinen. Wir könnten sagen, dass all diese Methoden Türen ähneln, die in ein und denselben Raum führen. Von jeder dieser Türen aus eröffnet sich dem Betrachter eine einzigartige Perspektive, die sich von dem Anblick, der sich von den anderen Türen aus bietet, völlig unterscheidet. Doch ganz gleich, durch welche Tür wir den Raum betreten, wenn wir darin stehen, ist es immer der gleiche Raum. Ganz gleich, an welcher Meditationsmethode oder -tradition wir uns orientieren: Was in der Meditation geschieht, ist immer ein Sich-Einstimmen auf die Ordnung und Stille, die jede Aktivität enthält, so chaotisch sie uns auch erscheinen mag. Dieses Sich-Einstimmen geschieht mit Hilfe unserer Fähigkeit zur Aufmerksamkeit.

      Obgleich die Achtsamkeit in der buddhistischen Tradition besonders differenziert beschrieben worden ist, spielt sie in allen Kulturen eine wichtige Rolle und ist etwas wahrhaft Universales, da sie nichts anderes beinhaltet als die Entwicklung von Bewusstheit, Klarheit und Mitgefühl, also von Fähigkeiten, die alle Menschen besitzen. Es gibt viele Möglichkeiten, diese Kultivierungsarbeit zu leisten, und keine von ihnen ist die einzig richtige, ebenso wenig wie es eine einzig richtige Art gibt, mit Kindern umzugehen.

      Achtsamkeit beinhaltet für uns als Eltern, dass wir uns im Alltagsleben mit unseren Kindern der wirklich wichtigen Dinge bewusst bleiben. Wir werden feststellen, dass wir uns die meiste Zeit über gezielt darum bemühen müssen, uns zu vergegenwärtigen, was dies ist. Es kann sogar sein, dass wir in bestimmten Augenblicken absolut nicht wissen, was wichtig ist, weil uns unsere Orientierung verloren gegangen ist – das kann sogar sehr leicht geschehen. Doch selbst in den schwierigsten und schrecklichsten Augenblicken unseres Lebens als Eltern können wir bewusst von der aktuellen Situation Abstand nehmen und uns mit einem frischen, unvorbelasteten Blick fragen: „Was ist in dieser Situation wirklich wichtig?“

      Achtsamkeit


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