Schöpfer der Wirklichkeit. Джо ДиспензаЧитать онлайн книгу.
wie Tiere und weniger göttlich. Die Stresschemikalien verändern unseren inneren Zustand und verursachen den Zusammenbruch von Zellen. Mit diesem Prozess werden wir uns in diesem Buch noch näher beschäftigen. Nicht durch akuten Stress, sondern durch immer wiederkehrenden chronischen Stress wird unser Körper geschwächt. Mein Ziel ist es, Ihnen die Auswirkungen von Stress auf den Körper zu zeigen und damit eine Bewusstheit zu schaffen, die Sie innehalten und fragen lässt, ob irgendjemand oder irgendetwas das eigentlich wert ist.
Oft erscheint es uns, als könnten wir diese Zustände emotionalen inneren Aufruhrs nicht abschütteln. Wir sind von diesen chemischen Wirkungen so abhängig, dass sie uns dazu treiben, weiterhin in Verwirrung, Unzufriedenheit, Aggression und sogar Depression zu leben – um nur ein paar Zustände zu nennen. Warum klammern wir uns an Beziehungen und Jobs, die längst nicht mehr gut sind für uns? Warum tun wir uns so schwer damit, uns selbst und unsere Lebensbedingungen zu verändern? Es gibt etwas in uns, das uns dazu bringt. Wie halten wir das Tag für Tag aus? Wenn wir die Umstände unserer Arbeit so wenig mögen, warum kümmern wir uns dann nicht um eine andere? Wenn wir in unserem persönlichen Leben unter etwas leiden, weshalb ändern wir es dann nicht?
Es gibt darauf eine vernünftige Antwort: Wir entscheiden uns, in denselben Umständen zu bleiben, weil wir abhängig geworden sind – abhängig von den damit verbundenen emotionalen Zuständen und von den Chemikalien, die diese Zustände hervorrufen. Natürlich weiß ich aus Erfahrung, dass die meisten Menschen sich mit jeder Art von Veränderung schwertun. Viel zu viele von uns verharren in Situationen, in denen sie unglücklich sind, und meinen, keine andere Wahl zu haben, als zu leiden. Ich weiß auch, dass sich viele von uns entscheiden, in Situationen auszuhalten, die sie ihr ganzes Leben lang quälen. Dass wir uns so entscheiden, ist eine Sache, aber warum wir uns so entscheiden, ist eine andere. Wir treffen die Wahl, in einer bestimmten Geisteshaltung fixiert zu bleiben – zum einen, weil es unserer Veranlagung entspricht, und zum anderen, weil ein Teil des Gehirns durch unsere wiederholten Gedanken und Reaktionen unseren Blick für das Mögliche trübt. Wie Geiseln in einem entführten Flugzeug fühlen wir uns an einen Platz gebunden und glauben, keinen Einfluss auf den Verlauf des Geschehens zu haben. Wir merken gar nicht, wie viele Möglichkeiten uns sonst noch zur Verfügung stehen.
Ich erinnere mich an eine wiederholte Situation in meiner Jugendzeit: Meine Mutter pflegte über eine ihrer Freundinnen zu sagen, sie sei erst glücklich, wenn sie unglücklich sei. Erst in den letzten Jahren, nachdem ich mich intensiv mit dem Gehirn und unserem Verhalten beschäftigt hatte, konnte ich auf biochemischer und neurologischer Ebene so richtig verstehen, was sie meinte. Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe.
Vielleicht hat der Titel Schöpfer der Wirklichkeit Sie angesprochen, weil Sie an das menschliche Potenzial glauben und sich selbst entwickeln möchten. Oder Sie haben es in die Hand genommen, weil Sie mit Ihren Lebensumständen nicht ganz zufrieden sind und sich verändern wollen. »Veränderung« ist ein starkes Wort – und sie ist absolut möglich, wenn Sie sich dafür entscheiden.
Im Hinblick auf die Evolution ist Veränderung das einzige universelle, allen Arten hier auf Erden gemeinsame Element. Evolution bedeutet letztendlich Veränderung durch Anpassung an die Umwelt. Für uns Menschen spielt unsere Umwelt eine entscheidende Rolle. All die komplexen Lebensumstände, geliebte Menschen, unser sozialer Status, unser Wohnort, unser Beruf und Gelderwerb, unser Umgang mit unseren Eltern und Kindern und selbst die Zeit, in der wir leben – all das macht unsere Umwelt aus. Doch wir werden sehen: Veränderung bedeutet, über seine Umwelt hinauszuwachsen.
Wenn wir in unserem Leben etwas verändern, müssen wir es so gestalten, dass es eine andere Qualität bekommt, als wenn wir es sich selbst überlassen hätten. Veränderung bedeutet, anders zu werden; wir sind nicht mehr, wer wir einmal waren. Wir wandeln uns im Denken, Tun, Reden, Verhalten, in unserem Sein. Persönliche Veränderungen erfordern einen Willensakt und entstehen gewöhnlich, wenn uns etwas unangenehm genug war, dass wir es anders haben wollen. Entwicklung entsteht, wenn wir unsere Lebensumstände dadurch überwinden, dass wir etwas in uns selbst verändern.
Wir können unser Gehirn verändern und damit weiterentwickeln, um nicht mehr in diese sich wiederholenden, gewohnten und ungesunden Reaktionsmuster zu verfallen, die sich aus unserer Veranlagung und unseren vergangenen Erfahrungen gebildet haben. Wahrscheinlich haben Sie dieses Buch in die Hand genommen, weil es Ihnen attraktiv erscheint, aus Ihrer Routine auszubrechen. Vielleicht möchten Sie lernen, wie Sie die natürliche Befähigung des Gehirns zur Neuroplastizität (d.h. die Fähigkeit, in jedem Alter neue Neuronenmuster anzulegen) nutzen können, um Ihre Lebensqualität spürbar zu verbessern. Die Weiterentwicklung Ihres Gehirns – darum geht es in diesem Buch.
Unsere Fähigkeit zur Neuroplastizität ist äquivalent zu unserer Fähigkeit, unser Denken und uns selbst sowie unsere Wahrnehmung der Welt um uns herum – also unsere Wirklichkeit – zu verändern. Dafür müssen wir uns die gewohnten, automatischen Funktionsmuster unseres Gehirns vorknöpfen.
Testen Sie die Plastizität Ihres Gehirns anhand eines einfachen Beispiels: Betrachten Sie Abbildung 1.1. Was sehen Sie? Die meisten Menschen erkennen auf Anhieb eine Ente oder Gans. Ziemlich einfach, oder?
Abbildung 1.1
Bei diesem Beispiel bewirkt eine vertraute Form auf dem Bild vor Ihnen, dass Ihr Gehirn ein Muster in Form eines bestimmten Vogels erkennt. Die Schläfenlappen des Gehirns, sie sitzen direkt über unseren Ohren und sind für die Erkennung von Objekten zuständig, speichern eine Erinnerung. Das Bild aktiviert ein paar Hundert Millionen neurologische Muster, die in bestimmten Teilen Ihres Gehirns in einer bestimmten Sequenz Impulse aussenden, und Sie erinnern sich an eine Gans oder Ente. Nehmen wir einfach an, die Ihrem Gehirn eingeprägte Erinnerung an das Aussehen einer Gans oder Ente passt zu dem, was Sie auf dem Bild vor sich sehen, und Sie können sich den Begriff »Gans« oder »Ente« ins Gedächtnis rufen. So interpretieren wir die Wirklichkeit – und zwar ständig. Es ist die Wiedererkennung von Mustern der Sinneserfahrung.
Jetzt wollen wir neuroplastisch werden. Versuchen Sie doch einmal, in dem Bild keinen Vogel mehr zu sehen, sondern einen Hasen. Um das zu tun, muss Ihr Frontallappen Ihr Gehirn zwingen, die Muster »abzukühlen«, die mit Vögeln verbunden sind, und die Gehirnwindungen so zu reorganisieren, dass sie sich anstelle eines Federtiers mit unauslöschlicher Neigung zum Wasser ein Feldtier vorstellen. Diese Fähigkeit, das Gehirn dazu zu bringen, seine gewohnten inneren Verbindungen aufzugeben und in neuen Mustern und Verbindungen zu feuern, ist die Neuroplastizität, die uns Veränderung ermöglicht.
Wie bei Abbildung 1.1 können wir die Welt und uns selbst in neuem Licht sehen, wenn wir unsere gewohnte Art des Denkens, Handelns, Fühlens, Wahrnehmens und Verhaltens hinter uns lassen. Und das Beste an diesem kleinen Experiment in Neuroplastizität ist, dass diese Veränderungen dauerhaft sind. Ihr Gehirn hat ein neues neurologisches Muster gebildet, das auf eine andere Art funktioniert. Sie haben neue Zellverbindungen geschaffen und damit sich selbst verändert. In unserem Zusammenhang haben die Begriffe »Veränderung«, »Neuroplastizität« und »Evolution« allesamt eine ganz ähnliche Bedeutung. Das Ziel dieses Buches besteht darin, Sie erkennen zu lassen, dass es bei Veränderung und Evolution immer darum geht, die Gewohnheit Ihres »Ich«-Seins hinter sich zu lassen.
Meine zwanzigjährigen Studien des Gehirns und seiner Auswirkungen auf das Verhalten haben mich im Hinblick auf die Menschen und unsere Fähigkeit zur Veränderung sehr hoffnungsfroh gestimmt. Das steht im Gegensatz zu dem, was wir lange Zeit geglaubt haben. Bis vor Kurzem wollte uns die wissenschaftliche Literatur weismachen, wir seien Opfer unserer Veranlagung und unserer Konditionierungen und uns bleibe nichts weiter übrig, als die Tatsache anzuerkennen, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist.
Ich meine damit Folgendes: Im Evolutionsprozess passen sich die meisten Arten, die schwierigen Umweltbedingungen ausgesetzt sind (wie Raubtieren, Klima, Verfügbarkeit von Nahrung, Hackordnung, sozialem Druck etc.) im Lauf von Jahrmillionen ihrer Situation an und finden einen Weg, die Schwierigkeiten zu überwinden. Vielleicht entwickeln sie eine gute Tarnung, vielleicht schnelle Beine, um den Fleischfressern zu entfliehen, oder andere Eigenschaften,