Das Gehirn eines Buddha. Rick HansonЧитать онлайн книгу.
Neuronen sind die Grundbausteine des Nervensystems; ihre Hauptfunktion besteht darin, über winzige, Synapsen genannte Spalte miteinander zu kommunizieren. Zwar gibt es viele verschiedene Arten von Neuronen, doch ist ihr grundlegender Aufbau immer ziemlich ähnlich.
• Vom Zellkörper gehen Dendriten genannte Verästelungen aus, die Neurotransmitter von anderen Neuronen empfangen. (Manche Neurone kommunizieren mittels elektrischer Impulse direkt miteinander.)
• Etwas vereinfacht ausgedrückt, bestimmt die Summe aller exzitatorischen und inhibitorischen Signale, die ein Neuron Millisekunde um Millisekunde empfängt, ob es feuern wird oder nicht.
• Wenn ein Neuron feuert, verläuft eine elektrische Welle entlang seines Axons, der Faser, die sich in Richtung der Neuronen erstreckt, zu denen es Signale sendet. Hierdurch werden Neurotransmitter in die Synapsen, die es mit empfangenden Neuronen bildet, ausgeschüttet und Letztere entweder daran gehemmt oder dazu angeregt, im Gegenzug ebenfalls zu feuern.
• Die Fortleitung der Nervensignale wird durch Myelin beschleunigt, eine fetthaltige Substanz, welche die Axone isoliert.
• Die graue Substanz in Ihrem Gehirn setzt sich zum größten Teil aus den Zellkörpern von Neuronen zusammen. Auch weiße Substanz ist vorhanden, diese besteht aus den Axonen und den Gliazellen; Gliazellen leisten wichtige Funktionen für den Stoffwechsel, indem sie beispielsweise Axone mit Myelin umhüllen und Neurotransmitter recyceln. Neuronale Zellkörper sind wie 100 Milliarden durch ihre axonalen „Kabel“ miteinander verbundene Ein- und Ausschalter in einem komplizierten Netzwerk in Ihrem Kopf.
Die Schwierigkeiten, ein Gleichgewicht zu bewahren
Damit Sie gesund bleiben, muss ein jedes System in Ihrem Körper und Geist zwei im Widerstreit zueinander stehende Bedürfnisse ausgleichen. Auf der einen Seite muss es bei laufenden Transaktionen mit seiner lokalen Umgebung für Input offen bleiben (Thompson 2007); geschlossene Systeme sind tote Systeme. Auf der anderen Seite muss jedes System auch eine grundlegende Stabilität bewahren, muss um einen guten Sollwert herum und innerhalb bestimmter Spannweiten zentriert bleiben – nicht zu heiß, nicht zu kalt. Beispielsweise müssen vom präfrontalen Kortex (PFC) geleistete Hemmung und vom limbischen System ausgehende Erregung sich gegenseitig ausgleichen: zu viel Hemmung, und Sie fühlen sich im Inneren taub, zu viel Erregung, und Sie fühlen sich überwältigt.
Signale der Bedrohung
Damit jedes Ihrer Systeme im Gleichgewicht bleibt, registrieren Sensoren seinen Zustand (wie das Thermometer in einem Thermostat) und senden Signale an Regulatoren, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, wenn das System den zulässigen Bereich verlässt (d. h. um den Ofen an- oder abzustellen). Der größte Teil dieser Regulation geschieht außerhalb Ihres Gewahrseins. Einige zu Korrekturmaßnahmen aufrufende Signale aber sind so wichtig, dass sie in das Bewusstsein aufsteigen. Wenn es Ihrem Körper beispielsweise zu kalt wird, fühlen Sie sich durchgekühlt; wenn es zu heiß wird, fühlen Sie sich wie in einem Backofen.
Diese bewusst erlebten Signale sind unangenehm, zum Teil deshalb, weil sie ein Gefühl der Bedrohung mit sich bringen – einen Aufruf, das Gleichgewicht wiederherzustellen, bevor die Dinge zu schnell zu weit den rutschigen Abhang hinuntergleiten. Der Aufruf kann sanft kommen, mit einem Gefühl des Unbehagens, oder lautstark, mit Alarm, sogar Panik. Ganz egal, wie er kommt, er mobilisiert Ihr Gehirn dazu, zu tun, was auch immer erforderlich ist, um Sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Diese Mobilisierung geht gewöhnlich mit Gefühlen des Verlangens einher; diese reichen von stillen Sehnsüchten bis hin zu einem verzweifelten Zwanggefühl. Interessanterweise ist das Wort für Verlangen im Pāli – der Sprache des frühen Buddhismus – tanhā, dessen Wurzel „Durst“ bedeutet. Das Wort „Durst“ drückt die Macht der Bedrohungssignale aus, negative körperliche Reaktionen zu verursachen, selbst dann, wenn die Signale nichts mit Leib und Leben zu tun haben, wie zum Beispiel die Möglichkeit, zurückgewiesen zu werden. Bedrohungssignale sind genau deshalb wirksam, weil sie unangenehm sind – weil sie Sie zum Leiden bringen, manchmal ein bisschen, manchmal sehr. Sie wollen, dass sie aufhören.
Alles verändert sich ständig
Gelegentlich verschwinden Bedrohungssignale tatsächlich für eine Weile – genauso lange, wie jedes System im Gleichgewicht bleibt. Aber da die Welt sich immer verändert, gibt es unaufhörlich Störungen in den Gleichgewichten Ihres Körpers, Ihres Geistes und Ihrer Beziehungen. Die Regulatoren Ihrer Lebenssysteme, von der molekularen Basis bis hinauf zur interpersonellen Spitze, müssen ständig versuchen, von Natur aus instabilen Prozessen eine statische Ordnung überzustülpen.
Denken Sie an die Vergänglichkeit der physischen Welt, die von der Unbeständigkeit von Quantenteilchen bis zu unserer Sonne reicht, die eines Tage zu einem roten Riesen anschwellen und die Erde schlucken wird. Oder denken Sie an die Turbulenz in Ihrem Nervensystem; zum Beispiel werden Bereiche im PFC, die das Bewusstsein unterstützen, fünf- bis achtmal in der Sekunde aktualisiert (Cunningham und Zelazo 2007).
Diese neurologische Instabilität liegt allen Geisteszuständen zugrunde. Beispielsweise gehört zu jedem Gedanken eine vorübergehende Aufteilung des strömenden neuronalen Verkehrs in eine kohärente Anordnung von Synapsen, die sich rasch in fruchtbare Unordnung auflösen muss, um anderen Gedanken ein Auftauchen zu ermöglichen (Atmanspacher und Graben 2007). Beobachten Sie nur einen einzigen Atemzug, und Sie werden erleben, dass die mit ihm verbundenen Empfindungen sich kurz nach ihrer Entstehung verändern, sich auflösen und verschwinden.
Alles verändert sich. Das ist die universelle Natur unserer äußeren Realität und unserer inneren Erfahrung. Deshalb nehmen die gestörten Gleichgewichte, solange Sie leben, kein Ende. Aber um Ihnen zu helfen, zu überleben, versucht Ihr Gehirn weiterhin den Fluss aufzuhalten, strengt sich an, um dynamische Systeme in einem bestimmten Zustand zu halten, in dieser wechselhaften Welt feste Muster zu finden und dauerhafte Pläne für sich wandelnde Bedingungen zu konstruieren. Infolgedessen jagt Ihr Gehirn ewig dem gerade vergangenen Augenblick nach, in dem Versuch, ihn zu verstehen und zu kontrollieren.
Es ist, als lebten wir an der Kante eines Wasserfalls und jeder Moment stürzte sich auf uns – ausschließlich und immer jetzt am Rand erlebt – und wäre dann, schwupp, über die Kante und weg. Aber das Gehirn klammert sich immer an das, was gerade vorbeigerauscht ist.
Nicht so angenehm oder schmerzhaft
Um ihre Gene weiterzugeben, mussten unsere tierischen Vorfahren oftmals am Tag richtig entscheiden, ob sie auf etwas zugehen oder es meiden wollten. Heute nähern oder entziehen sich Menschen Geisteszuständen ebenso wie physischen Objekten; zum Beispiel streben wir nach Selbstwert und schieben Scham von uns weg. Gleichwohl bedienen sich das menschliche Annähern und Vermeiden, trotz der hohen Entwicklung des Menschen, eines neuronalen Schaltkreises, der fast genau so ist wie der, den ein Affe nutzt, um nach Bananen zu suchen, oder eine Eidechse, um sich unter einem Felsen zu verstecken.
Der Gefühlston einer Erfahrung
Wie entscheidet Ihr Gehirn, ob Sie sich etwas nähern oder es meiden sollten? Sagen wir, Sie wandern durch einen Wald; Sie gehen um eine Kurve und sehen plötzlich genau vor sich auf dem Boden ein kurvenreiches Gebilde. Um einen komplexen Prozess zu vereinfachen: In den ersten paar Zehntelsekunden wird das von diesem kurvenreichen Objekt abprallende Licht zum okzipitalen Kortex geschickt (der