Partnerschaft und Sexualität. Monika RöderЧитать онлайн книгу.
• höherer Achtsamkeit und weniger Stress, Depression und Angst bei Frauen sowie
• weniger Erektionsproblemen bei Männern.
Tiefe Atmung steht in Zusammenhang mit
• weniger sexuellem Leidensdruck bei beiden Geschlechtern,
• höherer Achtsamkeit und weniger Angsterleben bei Frauen sowie
• höherer sexueller Zufriedenheit und Befriedigung, mehr Kontrolle über den Zeitpunkt der Ejakulation und weniger Stresserleben bei Männern.
Die Sexualforschung setzt sich zunehmend mit Fragen auseinander, wie Menschen ihre Sexualität erleben oder was sexuelle Lust stärkt und vermindert. Für das Erleben sexueller Zufriedenheit müssen die sexuellen Handlungen zur eigenen Person und zu ihrem Selbstbild passen. Dafür ist es wichtig, den eigenen Körper und die Art des eigenen Begehrens anzunehmen sowie die Kontextfaktoren des eigenen Begehrens zu kennen. Vaginale Erregbarkeit ist nicht von Natur aus vorhanden, entwickelt sich aber durch (Selbst-)Berührungen. Bei der sexuellen Begegnung sind eine selbstbestimmte Gestaltung und die Kommunikation mit dem Partner wichtig. Und schließlich können Bewegung und Atmung zur Intensivierung des sexuellen Erlebens eingesetzt werden.
1 Die Begriffe Lust und Begehren werden oft synonym verwendet. Genaue Definitionen sind schwierig und wirken entweder steril oder trivial. Einen Versuch wagt Clement. Er betrachtet sexuelles Begehren als einen beständigen Teil einer Person, der ihre Lebendigkeit ausmacht: »Auch dann, wenn sie mal gerade keine Lust hat« (2016, S. 9). Sexuelle Lust ist dagegen situativ, also in einer bestimmten Situation vorhanden und in einer anderen nicht. Sexuelle Erregung meint die objektive physiologische Reaktion.
4 Blick ins Gehirn
Nach dem »Blick ins Schlafzimmer« von Paaren soll es nun um das Nervensystem und seine Funktionen gehen: Wie kann es beispielsweise sein, dass Bewegung und Atmung das (sexuelle) Erleben verändern? Wie hängen Denken, Fühlen und Körperwahrnehmungen zusammen? Wie funktioniert unsere Sexualität? Und wie erleben und verhalten wir uns in Beziehung mit anderen?
Grundlage der Betrachtungen liefert die in den letzten Jahren immer bedeutsamer gewordene Hirnforschung. Eine der wichtigsten neurobiologischen Erkenntnisse ist beispielsweise, dass unser Gehirn stets sein Bestes tut, um seine Hauptaufgabe zu erfüllen: unser Überleben zu sichern (van der Kolk, 2017). Je besser wir also verstehen, wie die Paare, die zu uns kommen, funktionieren, desto eher sehen wir den Sinn in ihrem Erleben und Verhalten und umso besser können wir sie in einer gesünderen oder erwünschten Anpassung unterstützen.
4.1 Grundlegende Funktionen des Gehirns
Das Gehirn ist das Zentrum des zentralen Nervensystems und die wichtigste Steuerungszentrale des Menschen. Es entwickelt sich im Laufe des Lebens genau in der Reihenfolge, wie es sich im Lauf der Evolution entwickelt hat, nämlich bottom-up (van der Kolk, 2017). Die folgende Darstellung ist eine vereinfachte Konstruktion. In Wirklichkeit sind die einzelnen Bereiche nicht isoliert, sondern das gesamte Nervensystem stellt ein vielfach verschaltetes Netzwerk dar.
Der Hirnstamm ist der älteste und tiefliegendste Teil des Gehirns und erfüllt lebenswichtige Funktionen wie die Regulation der Atmung, des Herzschlags oder der Darmtätigkeit. Hier entscheidet sich, ob ein Mensch sich sicher fühlt, ob er in einen Kampf- oder Fluchtmodus schaltet oder ob er zur Sicherung des blanken Überlebens in eine Immobilitätsreaktion verfällt (Porges, 2010). Insbesondere bei Gefahr wird eine Sequenz neurophysiologischer Prozesse ausgelöst, die uns in eine prosoziale oder aber ablehnende Haltung bringt. Noch bevor der Neokortex regulierend eingreifen kann, zuckt der Mensch etwa zurück oder springt auf beim Anblick einer Schlange. Die Aktion aus dem Hirnstamm tritt schneller ein als die Reflexion: »Ist das eine Schlange oder nur ein Seil?«. Oder wenn ein Alarm ertönt: »Ist das der Rauchalarm oder ein Klingelton?«
Das über dem Hirnstamm liegende limbische System ist eine funktionale Einheit aus verschiedenen Elementen. Der Hippocampus spielt dabei eine entscheidende Rolle bei der Gedächtnisbildung. Die Amygdala ist die Alarmzentrale und zuständig für Gefühle, insbesondere Angst und Furcht. Unterschiedliche Wahrnehmungen werden durch die Amygdala mit abgespeicherten Erinnerungen abgeglichen und bewertet. Bei bekannter Bedrohung werden innerhalb von Millisekunden Signale an ihre Umgebung weitergeleitet, um die Stresshormonproduktion auszulösen und das sympathische Nervensystem zu aktivieren (van der Kolk, 2017).
Im limbischen System wird auch die soziale Natur des Menschen gesteuert. Hier sind Beziehungs- und prozedurale Informationen gespeichert wie beispielsweise die erfahrenen Eltern-Kind-Interaktionen, Verbote, Strafen, Belohnungen und damit verbundenes Erleben wie Angst, Lust oder Freude. Frühe Explorationen des Kindes formen dabei die Struktur des limbischen Systems. Sie setzen sich zusammen aus 1. erlernten motorischen Abläufen wie etwa dem Schwimmen oder Fahrradfahren, 2. fest verinnerlichten Notfallmaßnahmen wie dem instinktgesteuerten Programm Kampf oder Flucht und 3. den motorischen Aktivitäten Annäherung oder Vermeidung (Levine, 2011).
Je mehr Erfahrungen beispielsweise von Einsamkeit in der Kindheit gemacht wurden, umso schneller reagiert die Amygdala mit Alarm in Situationen, in denen sie Einsamkeit befürchtet. Kommt es dann zu Wiederholungen eben dieser Erfahrungen in der Paarbeziehung, prägen sich diese Reaktionen immer tiefer in das Nervensystem ein. Diese grundlegenden Strukturen können aufgrund der Neuroplastizität des Gehirns durch spätere Erlebnisse signifikant verändert werden. Zum Besseren geschieht das durch prägende Freundschafts- und Liebeserfahrungen oder zum Negativen durch schlechte Behandlung, Unfälle oder andere schlimme Erlebnisse (van der Kolk, 2017).
Der evolutionsbiologisch jüngste Teil unseres menschlichen Gehirns ist der Neokortex. Er beinhaltet in unterschiedlichen Arealen höhere menschliche Fähigkeiten wie unsere Sprache, die Logik oder auch den Humor. Zum Neokortex gehört auch das Stirnhirn oder der präfrontale Kortex, der funktional als höchste Steuerungszentrale des Gehirns angesehen wird. Hier sind komplexe Funktionen angesiedelt wie unser Denken und Entscheiden, die Antizipationsfähigkeit und Handlungsplanung.
Mit dem präfrontalen Kortex sind praktisch alle Hirnareale direkt oder indirekt verbunden. Er kann somit aktivierend oder hemmend auf andere Hirnbereiche einwirken. Damit übt der Neokortex eine gewisse Kontrollfunktion über andere Bereiche aus und kann Gefühle wie beispielsweise Angst begrenzt kontrollieren – z. B. durch Logik oder eine Veränderung der Glaubenssätze. Allerdings sind die Wege von der Amygdala zum Hirnstamm kürzer als zum Neocortex, was dazu führt, dass bei Wahrnehmung einer Gefahr der Körper sich möglicherweise schon in Sicherheit bringt, noch bevor dem Verstand klar wird, was eigentlich vor sich geht.
In den Frontallappen des Neokortex ist unser Empathiesystem vernetzt. Hier gibt es spezielle Nervenzellen, die Spiegelneuronen, welche die Einfühlung in andere Menschen ermöglichen. Relevant für Paartherapeutinnen ist die Erkenntnis, dass unter starkem Stress subkortikale Hirnbereiche die Führung übernehmen. Bereiche, in denen die Empathiefähigkeit vernetzt ist, werden deaktiviert. Damit ist in heftigem Streit und in Gefahrensituationen Empathie nicht mehr möglich (van der Kolk, 2017).
Zustände des autonomen Nervensystems
Steven Porges leistete mit seiner Polyvagaltheorie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des normalen Menschen im sozialen Kontakt und unter Belastungen sowie zur Behandlung körperlicher und psychischer Probleme (
1. das Soziale Kontaktsystem (ventraler Vagus im parasympathischen Nervensystem)
2.