Partnerschaft und Sexualität. Monika RöderЧитать онлайн книгу.
2019). Wenn sich etwa der Mann häufigere sexuelle Begegnungen wünscht, die Frau dagegen keine Lust hat, so bestimmt sie die Häufigkeit sexueller Begegnungen.
Mancher Partner kann diese Situation nicht ertragen und versucht Einfluss zu nehmen, oftmals mithilfe von Druck. Je mehr Druck der begehrensstärkere Partner ausübt, je offensiver oder abfälliger er wird, umso weniger Lust verspürt der andere Partner. Das Paar polarisiert immer stärker, oft entstehen Negativspiralen oder Teufelskreise, aus denen Paare nur schwer wieder herausfinden. Das kann so weit gehen, dass der begehrensschwächere Partner das Gefühl bekommt, er brauche überhaupt keinen Sex mehr, wohingegen der Begehrensstärkere es kaum mehr erträgt, seine Bedürfnisse nicht befriedigt zu bekommen.
Einige der Begehrensschwächeren fühlen sich nicht in der Lage »nein« zu sagen. Rücksichtnahme, Schuld-, Pflichtgefühle oder Angst vor Konflikten führen dazu, dass sie sich auf mehr Sex einlassen als sie eigentlich wollen. Über den eigenen »Sättigungspunkt« hinwegzugehen, bedeutet jedoch, dass der Genuss verloren geht und die betroffene Person negative sexuelle Erfahrungen macht (Von Sydow & Seiferth, 2015). Das bestätigt eine Studie mit Frauen, in der gezeigt wurde, dass eine eingeschränkte sexuelle Selbstbestimmung mit der Verminderung des sexuellen Genusses zusammenhängt (Schönbucher, 2007).
Aufgrund dieser Konstellationen kann es zu einem Vermeiden körperlicher Nähe und Zärtlichkeit kommen. Der Körperkontakt »könnte ja zu Sex führen« oder beim anderen den »Wunsch nach mehr« auslösen. Dadurch gehen Momente der Zweisamkeit verloren, die die Möglichkeit bieten, die Bindung zu stärken und sexuelle Lust entstehen zu lassen. Die Sexualität kommt dadurch oftmals völlig zum Erliegen.
Viele Menschen, auch Fachleute, gehen davon aus, dass sich das Begehren von allein wiedereinstellt, sobald die darunterliegenden Probleme gelöst werden. Lustlosigkeit oder sexuelle Abstinenz können jedoch eine sich selbst verstärkende Eigendynamik entwickeln, die z. B. durch das Vermeiden körperlicher Begegnungen bestehen bleibt, auch wenn die Ursachen der Lustlosigkeit beseitigt sind (Schär, 2016). Wichtig ist es hier, sich bewusst in den körperlichen Kontakt zu begeben, um neue, korrigierende Erfahrungen machen zu können und so ein genussvolles sexuelles Erleben wieder zu ermöglichen.
3.4 Sexuelles Begehren und Erregbarkeit
Bei den meisten Menschen ist die Vorstellung verbreitet, sexuelle Lust entstünde bei allen Menschen spontan. Dieses sogenannte spontane Begehren ist bei einem Großteil der Männer, allerdings nur bei einem kleineren Teil der Frauen zu finden. Der größte Teil der Frauen und ein kleiner Teil der Männer zeigen dagegen ein responsives Begehren, d. h. sie entwickeln Lust auf Sex erst im Laufe einer sexuellen Begegnung (Nagoski, 2017).
Entscheidend für das responsive Begehren sind die Kontextfaktoren: Zum Kontext gehören Umgebungsfaktoren wie Ort und Umstände, Merkmale des Partners und der Paarbeziehung, aber auch die eigene psychische und körperliche Befindlichkeit. Die Wirkung dieser Faktoren ist individuell verschieden. Bei einer Person haben bestimmte Faktoren wie z. B. ein Geruch erregenden, bei einer anderen Person hemmenden Einfluss auf die sexuelle Lust.
Nach dem Dual control model ist das sexuelle Temperament einer Person biologisch verankert und besteht aus zwei Systemen (Bancroft & Graham, 2011): einem erregenden und einem hemmenden System. Die beiden Systeme können als »Gaspedal« und »Bremse« bezeichnet werden und von Natur aus stark oder schwach ausgeprägt sein (Nagoski, 2017). Das schwache Begehren einer Person kann auf einem »schwachen Gaspedal« beruhen, was bedeutet, dass sie bewusste Konzentration und Aufmerksamkeit braucht, um sich auf Sex einstimmen und sexuelle Stimuli wahrnehmen zu können; oder aber das fehlende Begehren ist auf eine »starke Bremse« wie etwa moralische Skrupel oder Versagensängste zurückzuführen. In beiden Fällen schränken die oben beschriebenen Kontextfaktoren die Entwicklung sexueller Lust ein.
Das bedeutet, dass das sexuelle Lustempfinden bei sehr vielen Frauen und auch einigen Männern stark vom Verlauf der sexuellen Begegnung abhängt: Sie haben ein responsives Begehren. Für sie ist hilfreich zu wissen, welche Kontextfaktoren eine Rolle dabei spielen, um ihrer Wirkung nicht ausgeliefert zu sein. Mit einer bewussten Gestaltung ihrer Kontextfaktoren haben Männer und Frauen Einfluss auf ihr eigenes sexuelles Erleben und damit die Entwicklung sexueller Lust (
Für Frauen ist allerdings das Erkennen ihrer eigenen Erregung nicht einfach – das gilt insbesondere auch für ihre Sexualpartner. So kann es sein, dass Frauen erregt sind, aber keine Lubrikation entwickeln, also genital nicht feucht werden. Oder sie werden feucht, fühlen sich aber nicht erregt. Das liegt daran, dass die genitale Erregung bei Frauen nur zu 10 % mit der mentalen Wahrnehmung übereinstimmt (Nagoski, 2017). In Untersuchungen zeigte sich eine Durchblutungssteigerung der weiblichen Genitalien, auch wenn die Frauen das präsentierte Bildmaterial nicht erotisch fanden (Chivers & Bailey, 2005; Chivers et al., 2010). Bei Männern stimmen dagegen nach Nagoski die subjektiven und objektiven Reaktionen zu 50 % überein (ebd.). Der Hintergrund ist, dass die Genitalien von Frauen automatisch auf sexuell »relevante« Reize reagieren und durchblutet werden. Denkbar ist, dass die körperliche Reaktion eine Schutzfunktion vor Verletzungen etwa bei sexuellen Übergriffen darstellt. Das Bewusstsein reagiert dagegen auf sexuell »ansprechende« Reize. Für Frauen ist es daher notwendig, dem Partner Rückmeldungen über ihre tatsächliche Erregung zu geben.
Hinzu kommt der Aspekt der vaginalen Erregbarkeit: Der vaginale Innenraum ist von Natur aus zunächst nicht sehr erregbar, weshalb der Geschlechtsverkehr für Frauen erotisch zunächst keinen Sinn macht. Die neurobiologische Forschung konnte zeigen, dass das Gewebe dafür zwar angelegt ist, die neuronalen Verbindungen aber fehlen und erst geschaffen werden müssen. Dasselbe gilt auch für den Penis des Mannes. Dadurch jedoch, dass der Penis außen liegt, sich Jungen schon früh intensiv mit ihm beschäftigen und auch positives körperliches Feedback erhalten, ist die neuronale Verschaltung bei ihnen in der Regel früh hergestellt. Das weibliche Geschlecht dagegen ist außerhalb des Blickfeldes. Mädchen erfahren wenig Ermutigung zur Selbsterkundung und Masturbation und die vaginale Erregbarkeit ist damit bei den meisten Frauen zunächst nicht vorhanden. Durch regelmäßige Berührungen kann sie aber erweckt werden.
Einen weiteren Einfluss auf das sexuelle Erleben der beiden Partner hat die Kommunikation über Sexualität. In vielen Partnerschaften wird nicht offen über dieses sehr persönliche Thema gesprochen. Den meisten Menschen fällt es schwer, sich mit ihren sexuellen Anliegen mitzuteilen. Dabei zeigen verschiedene Studien, dass eine gute Kommunikation über Sexualität wichtig ist für sexuelles Erleben. Berner Forscherinnen konnten zeigen, dass es mit einer höheren sexuellen Zufriedenheit einhergeht, über die eigenen sexuellen Bedürfnisse und Wünsche zu sprechen (Borgmann et al., 2019). Die Ergebnisse weisen außerdem darauf hin, dass eine gute sexuelle Kommunikation nicht nur mit sexueller Zufriedenheit einhergeht, sondern generell mit einer höheren Partnerschaftszufriedenheit. Interessant ist dabei, dass kein Unterschied in der sexuellen Kommunikation zwischen Frauen und Männern festgestellt werden konnte. Das heißt, Frauen und Männer sprechen in ähnlichem Ausmaß über ihre Sexualität.
Auch die Studie von Velten, Brailovskaia und Markgraf (2018) bestätigte, dass sich das Mitteilen von Wünschen und auch das Planen sexueller Begegnungen als hilfreich für die sexuelle Funktion, z. B die Erektions- und Orgasmusfähigkeit, erweist.
Ein zentrales Mittel zur Steigerung der Wahrnehmungs- und Erregungsfähigkeit und letztlich zur Förderung sexueller Lust ist, wie verschiedene Studien belegen, der gezielte Einsatz von Bewegung, Muskeltonus und Rhythmus (Bischof-Campbell, 2012; Bischof-Campbell et al., 2018)
Diese Erkenntnisse werden von der Berner Studie konkretisiert (Borgmann et al., 2019): Bewegung in Becken und Oberkörper geht demnach einher mit
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