Эротические рассказы

Diagnose: Mingle. Martina Leibovici-MühlbergerЧитать онлайн книгу.

Diagnose: Mingle - Martina Leibovici-Mühlberger


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vorerst beiseite zu lassen und mich Ginas Dogma zuzuwenden. Sicher wirkte ich ziemlich entgeistert. »Wenn ich mit einem Mann schlafe, dann passiert dabei mehr als nur Erregung, und im Idealfall schwingt mein Herz schon mit, wenn ich es das erste Mal mit ihm tue. Es ist für mich ein Ausdruck eines Prozesses zwischen mir und diesem Menschen. Auch wenn das keine lange Beziehung werden sollte, weil sich herausstellt, dass er oder ich Einwände haben oder wir etwas in Folge des ersten Überstrahlens durch die leidenschaftliche Anziehung übersehen haben, so ist da doch diese Grundintention nach Bindung und Beziehung.«

      Jetzt wirkt Gina vollkommen entgeistert. »Ich will ganz sicher mit keinem Jungen fix gehen. Das tut nur weh, und du hast ihn die ganze Zeit in deinem Kopf. Ich will da nichts entwickeln, ich will einfach Spaß haben und das alles machen und erleben, was es gibt.«

      Auch hier nickten Anna und Zora bekräftigend. Ich war verunsichert, ob es sein konnte, dass es meine Tochter jetzt vielleicht nur deswegen unterließ, ihre Akzeptanz dieser Haltung auszudrücken, weil ich am Tisch saß.

      »Aber WIE machst du das?« fragte ich nochmals nach.

      »Ich sag mir einfach immer sofort danach, dass es jetzt aus ist, dass es nur Sex war und ich nichts von dem Jungen wissen will. Ich rede kaum mit ihm, und wenn ich merke, dass er mir gefällt, schlaf ich einfach mit einem anderen, um ihn aus meinem Kopf zu bekommen. Es ist ja nur Sex, das heißt doch nichts.«

      »Hm«, kapitulierte ich und schob noch etwas in der Art nach, dass ich mir das schlecht als längerfristig taugliches Modell vorstellen könne, um über diese Einführung einer Zeitachse mit meiner Seniorität wieder Oberhand zu gewinnen. Als ob ich sagen würde: »Wart mal, Kleines, bis du so alt bist wie ich.« Im Prinzip im Kern eine unfaire Ansage, da ich ihr damit die Gleichwertigkeit ihrer Meinung zu rauben versuchte. In Wirklichkeit fühlte ich mich hilflos. Es spürte sich an, als würden sich Eiskristalle auf mein Herz legen und meine Brust einfrieren. Sexualität und Bindung voneinander abzuspalten, so früh, so jung, ganz am Anfang beim Eintritt ins Beziehungsleben, sozusagen als Grundmodus oder allgemeine Kulturnorm einer Entemotionalisierung. Sexualität nicht mehr als tiefe und sehr persönliche Kommunikation mit einem speziellen Menschen sehen zu können, besorgte mich in dieser Konzeptform. Hier ging es nicht darum, dass jemand von Leidenschaft überrannt wurde oder das Gegenüber falsch eingeschätzt hatte. Oder dass jemand sich vielleicht einmal so fühlte, wie es der Volksmund als »notgeil« benennt, und sich in einer sexuellen Situation wiederfindet, die sich auf der Bindungsebene dann nicht als tragfähig erweist. Hier ging es darum, diese Bindungsebene gar nicht mehr anzustreben, aus Prinzip. Diese grundsätzliche Abspaltung der Sexualität von Intimität und emotionaler Öffnung und die damit verbundene Reduktion auf ein Konsumerlebnis, eine Jagdtrophäe, fühlte sich für mich sehr unbehaglich an. Wo würden denn die Bindungsbedürfnisse dieser jungen Mädchen gestillt werden, wenn sie über dieses Konzept nicht hinauswuchsen? Wie würden sie ihre Geborgenheit finden? Was wären die Konsequenzen, was der Preis, für diese dahinterliegende Wehleidigkeit, sich den möglichen Schmerz des Verlassenwerdens ersparen zu wollen? Würde Anna, deren Stofftiersammlung mir meine Tochter nach einem Besuch erst kürzlich beschrieben hatte, ewig mit ihren Kuscheltieren zu Bett gehen? Würden sie Karriere machen und wie Mathilde ihre Wochenenden dann mit ganzen Staffeln von Soaps zubringen? Oder würden sie ewige Anhängsel ihrer Familien bleiben, so wie Mark es heute schon in Perchtoldsdorf bei seinen Eltern war? Würden sie noch in zehn oder 15 Jahren als gewiefte Jägerinnen nach Dienstschluss durch die Bars und Nachtlokale auf der Suche nach dem nächsten Blattschuss ziehen, sich die aufkeimende Einsamkeit mit Schuh- oder Handtaschenkäufen wegblasen wollen? Oder würden sie diesen Betriebsfehler, der ihnen, weiß Gott wie, verpasst worden war, doch überwachsen können?

      In dieser Nacht schlief ich schlecht, obwohl Hühnchen der Nimbus von Schonkost anhaftet. Das abendliche Gespräch mit den Girls ließ mich nicht los. Gegen zwei Uhr Früh fand ich mich dann in meiner Küche wieder und versuchte die Puzzleteile meiner bisherigen Ergebnisse und Einsichten zu ordnen.

      Die Stille der Nacht und die mich umgebende ruhende Stadt bildeten einen wirksamen Hintergrund, um all die Erlebnisse und Gespräche der letzten Monate zu rekapitulieren und Patientenkarteien durchzugehen. Wie ließen sich die unterschiedlichen Teile in Bezug zu einander setzen? Wie stellte sich das Thema Lieb aus dem gesellschaftlichen Blickwinkel heute denn eigentlich dar? Bei Ralfs Lebensgeschichte oder auch der von anderen Patienten war jemand mit ungeübtem analytischem Blick doch eigentlich geneigt zu attestieren, dass seine tiefere emotionale Unerreichbarkeit eben die Auswirkung eines »blöd gelaufenen« Lebenskonflikts wäre. Dass aus der damit abzuleitenden emotionalen Enttäuschung und Erschöpfung ein solider Rückzug aus dem Gefahrenfeld tieferer Bindungen und möglicher Neuenttäuschungen resultierte, mutete aus der heutigen Perspektive eines rationalen, fest im Leben stehenden modernen Menschen doch fast nachvollziehbar, ja logisch an. Genauso wie die Tatsache, dass dieser Mann sich kurzweilig zu beschäftigen wusste, noch dazu auf Luxusniveau durch das entsprechende Kleingeld. Der ihn verfolgende Albtraum war vielleicht als ein bedauerlicher Kollateralschaden zu sehen, dem man am besten mit der Angebotspalette der Pharmazie beikommen konnte. Und auch für Elisabeth gab es eine anfeuernde Schar von Freundinnen, die es völlig in Ordnung fanden, den »Mann vom Reißbrett«, der es ganz nach ihren Erwartungen bringen musste, mit ihr zu designen, genauso wie Birgits »Dreierregel« in ihrem Umfeld auf durchgreifende Akzeptanz stieß. Da war kaum einer dabei, der ihr ins Gewissen redete, um ihr deutlich zu machen, dass ihre eigentlichen, tieferen Bedürfnisse nach Wärme und Geborgenheit mit dieser Strategie kaum realisierbar sein würden. Und gleichzeitig, so war mein Empfinden, offenbarte sich hier, an der Art und Weise, wie wir geneigt sind, Ralfs, Elisabeths oder Birgits Situation und die jeweilige Strategie als richtig, ja unvermeidlich zu akzeptieren, bereits ein haltungsmäßiger Drift hin zur Akzeptanz von Gefühlsdämpfung als Lebensmodell. Letztendlich ein erster Klang einer gesellschaftlichen Haltung der Resignation, was unseren kollektiven Glauben an Liebesbeziehungen betrifft.

      Ist nicht der eigentliche Unterschied in Geschichten meiner Patienten, wie der von Ralf, von Elisabeth oder Birgit und den Lebenskonstruktionen meiner Freunde oder Bekannten nur der, dass bei den einen das Leiden an der Beziehungslosigkeit einen lauten, von Symptomen begleiteten Ton annimmt? Während es den anderen gelingt, zumindest unauffällig in ihrer Unzufriedenheit zu bleiben. Verbirgt sich in der Art, wie wir als Gesellschaft »Gefühlsschwäche im Lieben« einfach als normal hinnehmen, hier nicht eine allen gemeinsame Paradoxie? Sollte nicht der durch seine Lebensstürme gereifte Mensch, der gut in den mittleren Jahren angekommen ist, der seine wirtschaftliche Bewährung und seine soziale Position erfolgreich zu behaupten gewusst hat, gleichzeitig auch der sein, der begriffen hat, dass sein berühmtes letztes Hemd keine Taschen haben wird? Sollte nicht gerade der Mensch dieser Altersgruppe mit Mut und voller Kraft, mit entwickelter Großzügigkeit und beginnender Weisheit dem Lieben begegnen können, statt auf der Jagd nach seinem Handicap um den Globus zu touren und maximal »Frischfleisch« konsumieren zu wollen?

      Überall ging es letztendlich darum, das Fühlen für ein Gegenüber möglichst draußen zu lassen, sich möglichst wenig selber einzulassen und möglichst viel von einem Gegenüber zu bekommen. Denn der Wunsch danach, geliebt zu werden, war durchaus und oft mit pampigem Unterton spürbar. »Seltsam«, dachte ich mir damals in dieser Nacht zum ersten Mal, »ein infantiles, trotziges, wehleidiges Konzept als Umgangsform mit dem Thema Bindung, Beziehung und Liebe macht sich in unserer Gesellschaft als Routinenorm immer mehr breit und erfährt immer stärkere Zustimmung.« Und bei den jüngeren, jetzt in der Altersgruppe der klassischen Familienbildung stehenden Menschen schien der psychische Apparat erst gar nicht richtig in die Gänge zu kommen. Dort hatte es den Anschein, als würden jene reiferen Ich- funktionen, die ein langfristiges gemeinsames Beziehungsleben ermöglichen, gar nicht mehr ausreifen. Das korrelierte gut damit, dass wir die Grenze der Jugendlichkeit in Studien klammheimlich bereits auf 29 Jahre hinaufgesetzt hatten. Es passte auch dazu, dass die nackte, nüchterne Datenlage des National Institute of Health jenen heutigen jungen Erwachsenen in ihren 20ern eine dreimal so hohe Rate an narzisstischen Persönlichkeitsstörungen bescheinigte, wie den 65-Jährigen. Auch das Faktum, dass Millennials ihr Leben gern als das eines Hybriderwachsenen oder auch JoJo-Erwachsenen anlegen, der sich immer nur periodisch für die eigene Wirtschaftsleistung zuständig fühlt und in engeren Zeiten auf eine Grundversorgung durch die Altvorderen zurück greift, passte dazu. Erwachsensein auf Probe, mit Rückgabegarantie


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