Therapie in Aktion. Lothar KuschnikЧитать онлайн книгу.
Sofort beginnt Tante Riek zu hinken, um zu demonstrieren, dass der komische Vogel sie auch nicht verschont habe. „Erst wirft er ein Baby auf dich und anschließend beißt er dich.“
Joop braucht einige Zeit, um sich an die Schwester Willy zu gewöhnen. Den Rest seiner Jugend wird er dann ihr Beschützer. Mit ihr verbindet ihn bis heute ein herzliches Verhältnis. Sie lebt in Zaandam in den Niederlanden und hat ihn im Oktober 2010 in Los Gatos besucht.
Tante Riek liebt Geschichten, am liebsten sind ihr magische Bilder und Mythen. Von ihr lernt Joop: „Wenn du Salz verschüttest, musst du sofort eine Prise über die linke Schulter werfen, um das Unglück abzuhalten, das dich sonst unweigerlich befällt.“
Es gibt auch andere Gründe, das Unglück anzuziehen: einen Regenschirm in der Wohnung öffnen, unter einer Leiter durchgehen, an der Ecke des Tisches sitzen (du wirst 7 Jahre nicht heiraten), die Schuhe auf den Tisch legen (Armut). Wenn ein Spiegel zerbricht, bringt das den Tod in die Familie. („Erinnerst du dich, eine Woche bevor Opa Krop starb, fiel der große Spiegel mit dem goldenen Rahmen in unserem Wohnzimmer herunter. Ehrlich.“)
Das Waschen der Hände nach dem Toilettenbesuch lernt Joop mit dem Hinweis auf die Cholera, die ihn sonst qualvoll dahinrafft. Tante Riek weiß aber auch, was Glück bringt: verschütteter Zucker zum Beispiel oder wenn die Katze sich leckt, kommt Besuch. Wenn deine Ohren jucken, wird über dich gesprochen: linkes Ohr gut - rechtes Ohr schlecht. So wird Tante Riek zum beschützenden Engel seiner Kindheit.
Während seiner Grundschulzeit beginnt Joop mit seinem Freund Ton Oud durch Amsterdam zu stromern. Da gibt es für zwei kleine Jungen eine Menge zu entdecken. Sie besuchen die Märkte: Albert Cuyp, den Waterloo Plein und den jüdischen Markt. Am liebsten sehen sie den Markthändlern zu, die ihr Geschäft ankurbeln, indem sie eine große Szene mit dem Publikum spielen. Joop erzählt: „Einmal wurde ich der unfreiwillige Teil einer solchen Szene. Ein Käsehändler verteilte Probierstücke seines Käses. Ich fing eins auf, steckte es schnell in den Mund, um ein anderes zu ergattern. Er kam auf mich zu, gab mir ein drittes Stück und sagte ganz laut: Hier sehen wir einen kleinen Kapitalisten - er hat schon viel und will immer mehr. Mir war das sehr peinlich, und ich grinste verlegen.“
Manchmal setzen die beiden Jungen mit der Fähre über den Fluss Y und streifen durch die Werften. Auf dem Friedhof in Sloterdijk faszinieren sie besonders die Kindergräber. Es ist eine sorglose Zeit des Entdeckens und meistens völlig ungefährlich. „Nur einmal“, erinnert sich Joop, „da hätte es böse enden können. In Kanälen wurden oft Flöße von Holzstämmen aufbewahrt. Sie wurden so gewässert, um dann als Pfähle benutzt zu werden. Die meisten Häuser in Amsterdam stehen auf solchen Pfählen. Mein Freund Ton und ich - ich war vielleicht 7 Jahre alt - sprangen von der Kade auf ein solches Floß. Ich sah einen Stock im Wasser treiben, den ich unbedingt haben wollte. So rannte ich ans Ende des Floßes beugte mich über den Rand und … fiel ins Wasser. Das Holz der Stämme war glitschig, und ich rutschte ab. Ich hatte noch nicht Schwimmen gelernt. Ton rannte die Kade auf und ab und schrie sich die Lunge aus dem Leib. Schließlich erregte er die Aufmerksamkeit eines Mannes. Der nahm sich eine Holzstange, sprang auf das Floß und versuchte mir die Stange zu reichen. Zu kurz. Ich war schon zweimal untergegangen, und es gab die Mär: Wenn du dreimal untergehst, ertrinkst du. Wir glaubten das. Dann sah ich plötzlich die weiße Stange vor mir, griff zu und war gerettet. Der Mann war selbst in den Kanal gesprungen, um mich zu retten. Jetzt mussten wir nach Hause gehen. Mein Freund Ton, der Mann und ich - klatschnass. Das blieb natürlich nicht unbemerkt, und bald liefen mir die anderen Kinder mit Spottliedern hinterher. Glücklicherweise war meine Mutter zu Hause. Sie zog mir die nassen Kleider aus, trocknete mich ab, währenddessen verschwand der Mann. So konnte ich meinem Retter nicht einmal richtig danken. Ich bekam Salzwasser zu trinken, gegen die Keime des Kanalwassers. Tante Riek wusste sofort, dass ich andernfalls an der Ruhr sterben würde.“
Niederländer fahren gern Fahrrad. So lag die Frage nah: „Sag mal Joop, wann hast du eigentlich Fahrrad fahren gelernt?“ Joop erinnert sich ganz genau: „Ich war ungefähr 8 Jahre alt, als ich für ein paar Tage zu Besuch bei Tante Riek war. Einer der Nachbarjungen hatte einen richtigen Fußball, und wir spielten tagelang Fußball. Eines Tages sah ich meinen Vater auf seinem Fahrrad, wie er den Platz umkreiste. An der Hand führte er ein zweites Fahrrad mit sich. Ich lief zu ihm und fragte: ,Papa, wem gehört das Fahrrad?‘ Er: ,Ich halte das für einen Jungen fest, der hat mich darum gebeten‘. Ich wusste, dass er mich ein bisschen auf den Arm nehmen wollte. Schließlich sagte er: ‚Ja, es gehört dir‘. Ich stieg sofort auf und fiel prompt hin. Das Fahrrad war auf ‚Wachstum‘ gekauft worden. Meine Beine waren zu kurz und würden auch in nächster Zeit nicht lang genug sein, die Pedale zu erreichen. Mein Vater machte mir Holzklötze auf die Pedale, und ich konnte fahren. Allerdings waren die Kurven schwierig, dann musste ich die Füße still halten, damit die Holzklötze nicht über den Boden schrammten. Die Familie machte sonntags ausgedehnte Touren zu den zahlreichen Verwandten in der ganzen Umgebung: Hilversum, Zaandvort, Utrecht.“
Die Arbeitslosigkeit des Vaters belastet die Familie, aber es gelingt den Eltern, Joop diese Belastung nicht spüren zu lassen. An seinem Geburtstag darf er sich eins seiner beiden Lieblingsgerichte wünschen: Gulasch oder einen leckeren Eintopf mit Zwiebeln und Fleisch. Als die Telefonzentrale von Amsterdam niederbrennt und wieder aufgebaut werden muss, bekommt der Vater endlich Arbeit.
Joop ist zwölf Jahre alt, als die Familie in einen der neuen Wohnblocks zieht, die die sozialdemokratische Stadtverwaltung für die Arbeiter bauen ließ. Jetzt hat Familie Krop ein Badezimmer und - ganz erstaunlich - warmes Wasser! So viel, wie sie wollen. Ein wahrer Luxus, der Joop heute noch strahlen lässt. Nur die kleine Küche fand die Familie nicht so schön. Die Mutter fand es gemütlicher, hier zu essen. Aber es war die Absicht der sozialdemokratischen Erbauer der Wohnungen, die Arbeiterfamilien dazu zu erziehen, im Wohnzimmer zu essen. Den Preis bezahlte Familie Krop sehr gern.
Die Wohnbedingungen in Amsterdam waren zu der Zeit katastrophal: Keller-Appartements, Alkoven als Zimmer, keine Toilette mit fließendem Wasser, zwei Familien in einer Wohnung. Viele Krankheiten und eine hohe Kindersterblichkeit waren die Folge. Die Sozialdemokraten beendeten diese Zustände. Arbeiterfamilien konnten jetzt unter menschenwürdigen Bedingungen leben.
C | C | Quellen der Aktionstherapie IIDie Entstehung von Body Architecture: |
1. | Familientherapie - Virginia Satir |
Virginia Satir, die Begründerin der Familientherapie, gab auf Einladung J. Krops in den 60er Jahren im Welfare Department (Sozialamt) des Santa Clara County ungefähr 20 Workshops in Familientherapie für Sozialarbeiter. Sie war zu dieser Zeit als Familientherapeutin einigermaßen bekannt und verdiente 100 Dollar pro Tag. Einmal, bei einer Weiterbildung in Familientherapie für Beamte des County, war auch der Abteilungsleiter anwesend. Dieser sagte am Ende des Tages zu Joop: „Warum geben wir der Frau 100 Dollar? Was sie macht, kann doch jeder.“ Als Joop ihr diese Geschichte später erzählt, lacht sie nur und sagt: „Ja, heute koste ich 1500 Dollar pro Tag.“ Da war sie schon berühmt. Joop nimmt an den Workshops teil und lernt auf diese Weise Familientherapie. Die Angestellten und Beamten bringen die problematischen Familien aus ihrer Arbeit ein, und Virginia Satir gibt erläuternde Kommentare und Hinweise für die Arbeit. Das ist wirkliches Training und endlich das, was Joop immer gesucht hatte.
Joop erinnert sich an seine Begegnungen mit Virginia Satir: „Ich bewunderte am meisten ihre entspannte Haltung. Sie war Virginia in ihren Workshops, bei ihren Demonstrationsarbeiten und auch privat. Virginia war sehr normal, sie hatte keine therapeutischen Attitüden. Sie war sehr natürlich, so dass ich ,ich selbst’ sein konnte.
Ich habe von ihr gelernt, nicht in das (Familien-) System hineinzugehen, und mich der Gefahr, parteiisch zu werden, auszusetzen, sondern es von außen anzuschauen und es zu deuten. Dann brauche ich auch nicht meine Meinung zurück zu halten, sondern kann sie mit empathischer Grundhaltung darlegen ohne sie aufzudrücken‘. Ich sage ,Ich habe ein Bild von der Familie. Wollt ihr es sehen? - Ich sehe den Vater hier, die Mutter hier, den Sohn hier‘. Virginia handelte