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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel HerzogЧитать онлайн книгу.

Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen - Annabel Herzog


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für welche keine hinreichend erklärende, klar benennbare körperliche Erkrankung mit entsprechender Behandlungskonsequenz zu finden ist, oft der Begriff nichtspezifische (oder veraltet „medizinisch unerklärte“) Symptome verwendet. Eine weitere Parallelklassifikation findet sich zwischen den verschiedenen somatischen Fachrichtungen, die von funktionellen somatischen Syndromen sprechen, und den psychosozialen Fächern, die somatoforme Störungen wie die Somatisierungsstörung diagnostizieren.

      Viele dieser Begriffe sind ungenau, kulturell unsensibel und manchmal irreführend oder stigmatisierend, vor allem der früher verwendete Begriff „medizinisch unerklärter“ Symptome (Kirmayer / Sartorius 2007; Mayou / Farmer 2002). Letzterer wurde häufig verwendet, wenn Symptome in Abwesenheit einer identifizierbaren Grunderkrankung auftraten.

      In den einzelnen medizinischen Fachdisziplinen werden anhaltende Körperbeschwerden ohne hinreichendes organisches Korrelat oft im Sinne funktioneller Störungen diagnostiziert. Syndrome wie Fibromyalgie, chronisches Erschöpfungssyndrom (auch Chronic Fatigue Syndrome oder myalgische Enzephalomyelitis), chronische Schmerzen oder das Reizdarmsyndrom kennzeichnen sich durch bestimmte Muster somatischer Symptome, die sich dabei oft auf bestimmte Organsysteme beziehen.

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      Fischer / Nater 2012 geben einen detaillierteren Überblick über funktionelle Syndrome.

      Es erfolgt dann je nach Lokalisation der körperlichen Beschwerden eine Diagnosestellung, die in die entsprechende medizinische Fachdisziplin fällt. Funktionelle somatische Symptome können auch bei Menschen mit einer schweren körperlichen Erkrankung auftreten.

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      Zum Beispiel können nach einem Herzinfarkt oder einer Herzoperation muskuläre Brustschmerzen von Patienten als Hinweis auf eine Angina pectoris fehlinterpretiert werden, was dann zu unnötiger Sorge und Belastung führt (Mayou / Farmer 2002).

      Obwohl die einzelnen Kategorien funktioneller Syndrome für die tägliche medizinische Praxis nützlich sein können, zeigen aktuelle Studien, dass erhebliche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zwischen diesen einzelnen Syndromen bestehen (Chalder / Willis 2017).

      Bei der Diagnostik psychischer Erkrankungen (z. B. Angststörungen, affektive und somatoforme Störungen) liegt der Fokus hauptsächlich auf psychischen Prozessen. Wenn gleichzeitig somatische Symptome vorhanden sind, geht es bei der Diagnostik um die Art und Anzahl dieser Symptome, und zwar unabhängig davon, auf welches Organsystem sie sich beziehen. Beispielsweise gehen psychische Beschwerden im Zusammenhang mit einer Depression oder Angststörung begleitend häufig mit somatischen Symptomen einher, die sich dann durch eine wirksame Behandlung der psychischen Störung oft ebenfalls bessern. In Fällen, in denen die belastenden Körperbeschwerden vordergründig sind, ist die geeignetste Diagnose dann die einer somatoformen Störung (bzw. aktueller Begriff laut ICD-11 und DSM-5: „somatische Belastungsstörung“; Levenson et al. 2018).

      Unterschiedliche Begriffe werden in unterschiedlichen Settings und Klassifikationssystemen benutzt

      (z. B. Hausarzt, Facharzt, psychotherapeutische Versorgung etc.):

      ■Nichtspezifische oder medizinisch unerklärte Symptome

      ■Funktionelle Syndrome (z. B. Reizdarm, Fibromyalgie, Chronic Fatigue)

      ■Somatoforme Störungen (ICD-10, DSM-IV)

      ■Somatische Belastungsstörung (ICD-11, DSM-5)

      Der Vorteil des übergeordneten Begriffes „anhaltende Körperbeschwerden“ ist, dass er keine Psychogenese, sondern nur die Störung bestimmter Körperfunktionen voraussetzt. Obwohl es also unterschiedliche medizinische und psychiatrische Klassifikationen für diese Art von Symptomen gibt, handelt es sich dabei eigentlich um alternative Methoden, um die gleichen oder zumindest ähnliche Phänomene zu beschreiben (Henningsen et al. 2018; Kroenke 2003). Unser Lehrbuch nimmt vor allem die Gemeinsamkeiten dieser Störungsbilder in den Blick. Unser Anliegen ist es fächerübergreifend und praxisnah ein umfassendes (biopsychosoziales) Verständnis anhaltender Körperbeschwerden zu fördern.

      Die Existenz paralleler Klassifikationsmöglichkeiten ist oftmals verwirrend. Für viele anhaltende Körperbeschwerden kann eine einfache Beschreibung mit einer zusätzlichen Spezifikation des Symptoms wie „isoliert“ oder „multiple“ und „akut“ oder „chronisch“ ausreichend sein. Häufig vermittelt auch eine Kombination aus medizinischen und psychiatrischen Diagnosen die beste Information wie z. B. Reizdarmsyndrom mit komorbider Angststörung (Mayou / Farmer 2002).

      1.3 Historische Konzepte

      Anhaltende Körperbeschwerden sind kein neues Phänomen. Medizinisch unerklärte Körperbeschwerden sind vermutlich seit Anbeginn der medizinischen Lehre bekannt.

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      Eine ausführliche Darstellung der Historie somatoformer Störungen findet sich bei Morschitzky (2007).

      Im Folgenden werden die zentralen Entwicklungen in der Konzeptualisierung der somatoformen Störungen bis hin zur heute aktuellen Diagnose der somatischen Belastungsstörung (nach ICD-11 und DSM-5) in Kürze dargestellt.

      Vor allem der Somatisierungsbegriff findet sich bereits früh bei Stekel (1908, 1935; vgl. Kleinstäuber 2018). Lange Zeit galt die Somatisierung nicht als eigenständige Störungseinheit, sondern als Symptom und Folge einer anderen zugrunde liegenden psychopathologischen Störung, vor allem der Hysterie (Hoffmann 1996) oder der (larvierten) Depression. Bridges und Goldberg (1985) benannten ein hohes ärztliches Inanspruchnahmeverhalten, einen somatischen Attributionsstil der Beschwerden, das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung sowie ein Ansprechen der somatischen Beschwerden auf die Behandlung der psychischen Primärerkrankung als notwendige Kriterien, um die Diagnose einer Somatisierung zu erfüllen.

      Konzept der Somatisierung

      In der klassischen, psychoanalytisch geprägten Psychosomatik wurde Somatisierung nicht als Kategorie für eine Störungseinheit genutzt, sondern vielmehr als Bezeichnung für einen Prozess bzw. pathologischen Mechanismus, der sich auf den Vorgang der Konversion psychischer Konflikte in somatische Symptombildung bezog (Hoffmann 1996; Küchenhoff 2001). Dahinter steht die Idee, dass der Verlust bestimmter körperlicher Funktionen (z. B. Sehen, Hören oder willkürliche motorische Handlungen) in Zusammenhang zu starken emotionalen Zuständen (z. B. als Folge von Traumatisierungen) steht.

      Konversion und Dissoziation

      In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff der Dissoziation beschrieben, der eine Desintegration von mentalen Prozessen und Inhalten wie des Erlebens, Handelns oder des Gedächtnisses meint (Kapfhammer 2001).

      biopsychosoziale Konzepte

      Das bekannteste Vorläuferkonzept der heutigen somatoformen Störungen (bzw. der Somatisierung) ist das bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführte „Briquet-Syndrom“ (Briquet 1895). Briquet konzeptualisierte die Somatisierungsstörung dabei multifaktoriell (biopsychosozial) und benannte entsprechend emotionale Einflüsse, familiäre Erfahrungen und psychosoziale Stressoren als relevante Einflussfaktoren für die Symptomentstehung. Auch in der Definition von Lipowski (1988, S. 1359) wird die Somatisierung als multidimensionales Phänomen beschrieben. Es handelt sich demnach um

      „eine Tendenz, körperlichen Stress zu erleben und zu kommunizieren, der nicht hinreichend durch pathologische Befunde zu erklären ist, diesen auf körperliche Erkrankungen zurückzuführen und dazu medizinische Hilfe aufzusuchen“.

      Diese frühe Definition bildet die charakteristischen Merkmale der Somatisierung gut ab und bezieht perzeptuelle, kognitive und auch verhaltensbezogene


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