Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph HillebrandЧитать онлайн книгу.
Schutzpflichten, die ebenfalls dem Interessenausgleich der den Vertrag schließenden Parteien dienen. Dieser Katalog von Pflichten bestimmt das dem Schuldner abverlangte, von ihm versprochene Verhalten (Primäransprüche), dem im Falle von (Leistungs-)Störungen die Voraussetzungen entsprechen, unter denen dann sog. Sekundäransprüche geltend gemacht werden können (lies § 241 Abs. 1)[2].
Merke: Forderungsrechte entstehen kraft eines Schuldverhältnisses (§ 241 Abs. 1) und nicht aus einem Vertrag (Rechtsgeschäft). Der Vertrag(sschluss), also das Rechtsgeschäft, ist vielmehr eine Art und Weise, wie ein solches – nämlich dann sog. rechtsgeschäftliches/vertragliches – Schuldverhältnis entsteht (im Unterschied zu den gesetzlichen Schuldverhältnissen, welche durch Gesetz entstehen); „Vertrag“ ist dabei nur die auf Konsens beruhende Abschlusstechnik.
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Das Forderungsrecht (§ 241 Abs. 1) ist die sog. Anspruchsgrundlage im Sinne einer prozessualen Klageform[3] (vgl. Legaldefinition des Anspruchs in § 194 Abs. 1); BGB und HGB stellen einen Vorrat typisierter Forderungsrechte, also Klageformen, bereit (z.B. § 433), die ein Schuldverhältnis voraussetzen.[4] Die Klageform (Anspruchsgrundlage) bestimmt, „was genau“ gefordert werden kann (z.B. „Übergabe und Übereignung der Kaufsache als Erfüllung des kaufrechtlichen Schuldverhältnisses“ nach § 433 Abs. 1).
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Vertragliche Schuldverhältnisse (z.B. der „Kauf“) werden durch (zumeist zweiseitigen) verpflichtenden Vertrag (besser: Vertragsschluss; z.B. den „Kaufvertrag“) begründet: Der Vertrag ist strenggenommen nämlich nicht gleich dem Schuldverhältnis, sondern bezeichnet die Abschlusstechnik durch übereinstimmende Willenserklärungen (lies § 311 Abs. 1: das vertragliche Schuldverhältnis kommt durch Vertrag zustande). Konstitutiv für das Schuldverhältnis ist das Verpflichtungselement; es unterscheidet das Schuldverhältnis von der Verfügung – nämlich über ein Recht –, die tatbestandlich ebenfalls einen, dann allerdings dinglichen (im Unterschied zum verpflichtenden) Vertrag voraussetzt. Verfügungen finden sich mehrheitlich im Sachenrecht (§§ 929 S. 1, 873 Abs. 1 etc. – der dingliche Vertrag wird dort Einigung bzw. Auflassung genannt), aber auch im Schuldrecht (§ 387 – Aufrechnung, § 397 – Erlass und § 398 – Abtretung). Verfügungen erzeugen kein Schuldverhältnis, sondern bewirken eine Rechtsänderung (z.B. Eigentumswechsel, Forderungsübergang), für welche vielmehr ein Schuldverhältnis und damit ein verpflichtender Vertrag der finale Rechtsgrund ist. So setzt etwa der Kauf mit der aus ihm folgenden Pflicht zur Übereignung der Kaufsache den Rechtsgrund für die diese Forderung erfüllende Übereignung.
Vertragliche Verpflichtung und sie erfüllende Verfügung können zeitlich zusammenfallen, etwa beim Hand- und Barkauf am Marktstand oder Zeitungskiosk, dagegen schon nicht mehr beim Zeitungsabonnement und regelmäßig auch nicht beim Erwerb eines Neuwagens, wenn Bestellung (Kauf) und Auslieferung Monate auseinanderliegen können. Was in den zuerst genannten Fällen vielleicht gekünstelt wirkt, leuchtet in den anderen ohne Weiteres ein: Der Erwerbsgrund, also das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (Kauf, Werkvertrag, Darlehen etc.), und der Erwerb an sich, also die Verfügung (Zahlung des Kaufpreises, Übereignung der Kaufsache oder Werkleistung, Valutierung des Darlehens etc.), sind rechtlich strikt zu trennen (Trennungsprinzip). Mängel des einen sind, von Ausnahmen abgesehen, dann konsequenterweise ohne Belang für den anderen (Abstraktionsprinzip).
Zu den durch Vertrag begründeten Rechtsverhältnissen gehört auch die Gesellschaft. Hierbei vereinigen sich gleichgerichtete Interessen in einem Gesellschaftszweck, der zu einer Vergemeinschaftung des Handelns verpflichtet. Die Gesellschaft entsteht zwar als schuldrechtlicher Zusammenschluss, bildet jedoch mit wachsender unternehmerischer Aufgabe auch juristisch ein Sondervermögen, dem jedenfalls Teilrechtsfähigkeit zuerkannt werden muss (vgl. § 124 Abs. 2, 129 Abs. 4 HGB); darin unterscheidet sich die unternehmenstragende Gesellschaft dann vom Schuldverhältnis. Die körperschaftliche Organisation der Kapitalgesellschaften bringt sodann die völlige Ablösung des Kollektivs (Gesamthand) vom Verbandsvermögen, dessen Träger die Kapitalgesellschaft ist. Der Charakter als „juristische Person“ zeigt sich im Wegfall einer persönlichen Haftung und der Alleinhaftung des gebildeten Sondervermögens. Man spricht daher bei der Gründung von Gesellschaften mit zumindest Teilrechtsfähigkeit und ähnlichen Maßnahmen des Gesellschaftsrechts von einem Organisationsakt, der aber wesensmäßig jedenfalls auch ein Vertragsschluss ist.
§ 2 Vertragsordnung des Bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts › A. Grundsätze › I. Verpflichtungselement Willenserklärung
I. Verpflichtungselement Willenserklärung
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Die Einigung über einen Schuldvertrag ist nach § 311 Abs. 1 bindend.[5] Die Vorstufe dieser Einigung ist das als Willenserklärung ausgestaltete Angebot zum Vertragsschluss, das jedenfalls für die Zeitspanne, während der es angenommen werden kann, ähnliche Bindungswirkung hat (§§ 145–148; so sind z.B. Put-/Call-Optionen rechtlich schlicht Angebote mit Laufzeit-Bindungsfristen)[6]. Erst eine inhaltliche Übereinstimmung („Einigung“) von Antrag und Annahme bringt den Vertragsschluss zustande. Diese Kongruenz wird durch Auslegung beider Willenserklärungen ermittelt, wofür der jeweilige Empfängerhorizont maßgeblich ist.
Diese an einem verständigen Empfänger orientierte Auslegung setzt naturgemäß den vorherigen Zugang der jeweiligen Willenserklärung voraus (§ 130).[7] Bei Erklärungen gegenüber Abwesenden (etwa durch Brief) genügt dabei das Eingelangen in den Machtbereich (Briefkasten, Mailbox, Faxspeicher) mit der Folge der Zugangsfiktion auf denjenigen Zeitpunkt, wann regelmäßig mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann (während der Geschäftszeiten bzw. übliche Leerungszeit eines privaten Hausbriefkastens).
Die Zugangsfiktion gilt auch während Abwesenheit des Empfängers (etwa im Urlaub), allerdings darf ein Absender (z.B. Arbeitgeber hinsichtlich Kündigung) das nicht bewusst ausnutzen. Ihm gegenüber gilt der Zugang erst nach Rückkehr als bewirkt. Erreicht eine Erklärung den Empfänger dagegen gar nicht (ist er etwa unbekannt verzogen oder verweigert er die Annahme), gilt die Zugangsfiktion auf den ersten erfolglosen Zustellversuch nur, wenn der Empfänger aufgrund (vor-)vertraglicher Bindung mit einem Zugang rechnen musste und der Absender alles Zumutbare unternimmt, um den Empfänger doch noch zu erreichen (Wiederholungsversuch, Adressermittlung). Eine Willenserklärung, die einem Geschäftsunfähigen (vgl. § 104) gegenüber abgegeben wird, wird nicht wirksam, bevor sie nicht dem gesetzlichen Vertreter zugeht (§ 131 Abs. 1). Steht die Vertretung eines Kindes den Eltern gemeinsam zu, so genügt die Abgabe gegenüber einem Elternteil (§ 1629 Abs. 1 S. 2). Für den Zugang bei beschränkt Geschäftsfähigen gilt dasselbe, sofern die zugehende Willenserklärung ihm nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist oder der gesetzliche Vertreter in sie eingewilligt hatte (§ 131 Abs. 2).
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Die so zugegangene Willenserklärung ist zur Ermittlung ihres Inhalts auszulegen (§ 133). Beim gesprochenen Wort kann folglich nur das wirklich Gesagte zugehen. Bei Hörfehlern fehlt es daran und deshalb an der Wirksamkeit dieser Willenserklärung überhaupt, weshalb insoweit nachfolgend gar kein Vertrag zustande kommen kann, gleichwie der Versender eine allfällige Reaktion des Adressaten deutet.[8]
Die Auslegung der beiden Willenserklärungen (Angebot und Annahme) entscheidet hernach, ob der Vertragsschluss an offenem Dissens (§ 155) gescheitert oder aber mit welchem kongruenten Inhalt (sog. Geschäftswille) er zustande gekommen ist. Die Auslegung und damit den Vertragsinhalt bestimmende Mängel in der Willensäußerung (Schreib- und Fehler im sprachlichen Ausdruck, § 119 Abs. 1), ebenso Mängel in der vorausliegenden Willensbildung (Eigenschaftsirrtum, § 119 Abs. 2, und Täuschung, Drohung, § 123) hindern also gerade nicht den Vertragsschluss, sondern