Die große Inflation. Georg von WallwitzЧитать онлайн книгу.
der Person, die nicht recht einzuordnen, zu etikettieren war und die ihrerseits, bei aller äußeren intellektuellen Brillanz, die ihr die Mehrheit zugestand, in der Unsicherheit des Außenseiters verharrte«.24 In beiden Welten blieb er bestenfalls geachtet und oft nur geduldet.
Vielleicht hätte er es mit einer weniger komplizierten Persönlichkeit einfacher gehabt. Sein elitärer Habitus schaffte auch zu Freunden eine Distanz, die ihn zu einem Rätsel machte. »Er stand mir nahe, da wir sehr offen Alles miteinander besprachen und so viele gemeinsame Erlebnisse uns verbanden«, schrieb Max M. Warburg am Tag des Attentats, dem Rathenau im Sommer 1922 zum Opfer fiel, »aber er blieb mir immer fremd in seiner Auffassung, weil er zu sehr auf die Außenwirkung hin arbeitete, zu eitel war und zu häufig seine Ansichten änderte; er hatte eine große Combinationsgabe, aber ein ganz Großer war er doch nicht, er hatte mehr Talente als Größe, er war nicht ehrlich bis zum Äußersten und gefiel sich im Verdunkeln der Geschehnisse, anstatt Klarheit zu erstreben; es war mir körperlich direct schmerzhaft, wenn er so docierte und pathetisch paradoxierte, wo Einfachheit namentlich in der Jetztzeit für uns alle allein erträglich ist.«25 Robert Musil, der Rathenau ausführlich in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften beschrieb, sah in ihm eine ziel- und wirkungslose Existenz, wie ein Faust ohne Mephisto, einen Menschen ohne festen Grund in Anschauungen oder Persönlichkeit, welcher sich rastlos für eine Moderne ereiferte, die ihm stets entglitt, weil sie sich am Ende immer anders manifestierte, als ein Mann ohne Eigenschaften es sich vorstellen konnte. Und dennoch nagte auch an seinen Kritikern stets der Zweifel, ob die Brillanz dieses Mannes nicht eine echte Substanz reflektierte, hatte er doch in Theorie und Praxis seine haushohe Überlegenheit gegenüber seinen einfacher strukturierten Zeitgenossen bewiesen.
1907 war Rathenau aus der Berliner Handels-Gesellschaft ausgeschieden und wurde Privatier. Er verfasste politische, ökonomische und literarisch-philosophische Schriften, engagierte sich in der deutschen Ostafrikapolitik und kaufte 1909 das Schloss Freienwalde nordöstlich von Berlin, das 1798/99 für Friederike Luise, die Witwe Friedrich Wilhelms II., erbaut worden war, um dort, in einem von Peter Joseph Lenné gestalteten Park, seinen Träumen nachzuhängen und Pläne zu schmieden. Diese exzentrische Figur liebte ihr preußisches Vaterland, wie es im friderizianischen Zeitalter seinen höchsten Ausdruck gefunden haben mochte. Vor dem Krieg sah Rathenau im alten Preußen ein ideales Staatsgebilde, in welchem die Krone und die Stände, die Künste und das Handwerk, das Militär und das Volk einen harmonischen Ausgleich gefunden hatten. Aber auch diese Verehrung war nie ohne Zweifel. So wenig er sich persönlich festlegen mochte, ob er Industrieller, Bankier oder Intellektueller war, so wenig konnte er sich in dem Konflikt zwischen dem altpreußisch-aristokratisch-ländlichen und dem bürgerlich-industriell-städtischen Lager entscheiden. Er gehörte allen Traditionen an, aber keiner mit Konsequenz. Niemand sprach ihm aber seine weltgewandte und kosmopolitische Erscheinung ab, vom Scheitel bis zur Sohle elegant.
Im Frühjahr 1914 war Rathenau 46 Jahre alt und hatte nahezu alles erreicht, wovon ehrgeizige Männer nur träumen können. Seine Existenz hatte eine traurige Note angenommen, denn er spürte, wie die meisten Männer in diesem schwierigen Alter, dass sich in seinem Leben nicht mehr viel Neues ergeben würde. Wonach noch streben, mit wem sich noch verbinden? Woher die Kraft für einen Aufbruch nehmen, wie das Falsche im Bequemen erkennen, warum Fesseln sprengen? Rathenaus Leben war auf höchstem Niveau langweilig geworden.
Alles Grübeln und Sinnieren fand im Sommer 1914 ein Ende. Rathenau zeigte sich vom Kriegsbeginn zwar nicht eben begeistert, denn er ahnte, dass nicht ein kurzes, reinigendes Gewitter bevorstand, sondern ein langes, zähes Ringen. »Den Stolz des Opfers und der Kraft durfte ich teilen«, schrieb er in der Rückschau, »doch dieser Taumel erschien mir als ein Fest des Todes, als die Eingangssymphonie eines Verhängnisses, das ich dunkel und furchtbar, doch niemals jauchzend (…) geahnt hatte.«26 Wie fast das ganze bürgerliche Deutschland empfand er ein »Emporgerissensein, Pathos der Not, Schicksalsergriffenheit, Kraftgefühl und Opferbereitschaft«, das Ende eines bleiernen Zeitalters. Eine ganze Generation spürte eine Opfer- und Todesbereitschaft, »Befreiung aus einer Welt-Stagnation, (…) Zukunftsbegeisterung«.27 Die drohende Langeweile verflog mit einem Schlag für immer aus Rathenaus Leben. Seine rationale Seite mochte den Anlass für den Krieg für nicht eben überzeugend halten, und der Lärm und der Rausch erschienen ihm würdelos. Aber sein Patriotismus gebot es ihm, sich ganz der deutschen Kriegsanstrengung zur Verfügung zu stellen und im selben Zug seine Midlife-Crisis zu beenden. Also schrieb er seinen Brief an den Reichskanzler.
So wollten es die Umstände, dass mit Rathenau ein Mann zur Verfügung stand, wie ihn die Militärführung sich kaum besser wünschen konnte. Denn die sofortige und grenzenlose Bereitstellung der Finanzmittel war nur das eine. Sehr viel anspruchsvoller war die Aufgabe, die Mittel in die richtige Richtung zu leiten und ihre Verwendung zu organisieren. Die Wirtschaft musste auf Kriegsproduktion umgestellt werden. In normalen Zeiten sorgt der freie Markt dafür, dass die richtigen Güter in der richtigen Menge hergestellt werden, aber in einer solchen Situation dauerte der Preisfindungsprozess zu lange, und der Staat wollte und konnte nicht in Konkurrenz mit der privaten Nachfrage treten. Etwa wollte er die Reichsbahn für sich allein nutzen und dabei nicht erst die Reisenden auf dem Weg in die Sommerfrische überbieten müssen. Die Gesetze des Marktes mussten also zu einem guten Teil außer Kraft gesetzt werden. Dazu bedurfte es der Erfahrung in der Planung großer Betriebe, Sinn für Organisation und einen intelligenten Blick auf die Gesamtsituation – Talente, die sich selten in einer Person verbinden, mit denen Rathenau aber reich gesegnet war.
Als Jude, Bankier, Kaufmann und Zivilist war er zu dieser Zeit und im Kriegsministerium ein absoluter Fremdkörper. »Für die Oberkaste der Adligen, Offiziere und Höflinge, zu der er nun einmal nicht gehörte, war er ein ›Koofmich‹.«28 Er war aber wohl Snob genug, um sein Umfeld zu ignorieren und seiner Tätigkeit mit rücksichtsloser Effizienz nachzugehen. Er hatte die Macht und (unausgesprochen und unbeabsichtigt) die Aufgabe, Staat und Wirtschaft grundsätzlich neu zu gestalten. Privilegien und Gewohnheitsrechte spielten, angesichts des alles überragenden Ziels, alle Ressourcen des Landes auf den Sieg hin zu konzentrieren, auf einmal keine Rolle mehr. »Eine Aufgabe also«, schrieb Golo Mann, »die seinem doppelten Ingenium wie keine andere entsprach. Hier durfte er zum ersten Mal ganz zeigen, was er konnte, nicht im Interesse dieses oder jenes Unternehmens, viel weniger im eigenen, sondern im Interesse des Staates, an den er leidenschaftlich glaubte, der Nation, der er sich zugehörig fühlte.«29 Rathenau war selten so vollkommen in seinem Element wie zu Anfang des Krieges.
Im Dezember 1915 schilderte er vor kleinem Publikum, noch spürbar erfüllt von seiner Leistung, wie er in rasender Geschwindigkeit eine mächtige Behörde aus dem Nichts geschaffen hatte, die die ganze deutsche Wirtschaft auf den Krieg ausrichtete. In der Kriegsrohstoff-Abteilung experimentierte Rathenau mit einem dritten Weg zwischen Plan- und Marktwirtschaft und etablierte eine Art Wirtschaftsregierung durch Experten, die keiner Ideologie verpflichtet waren. Er setzte auf nationaler Ebene Ideen um, mit denen er als großer Mitspieler im Elektro-Industrie-Kartell in anderer Weise schon lange vertraut war. »Es ist ein wirtschaftliches Geschehnis, das eng an die Methoden des Sozialismus oder Kommunismus streift, und dennoch nicht in dem Sinne, wie radikale Theorien es vorausgesagt und gefordert haben.«30 Beispielsweise bediente er sich des Mittels der Beschlagnahme. »Dieser Begriff der Beschlagnahme bedeutet nicht, dass eine Ware in Staatseigentum übergeht, sondern nur, dass ihr eine Beschränkung anhaftet (…). Diese Ware darf nur noch für Kriegszwecke verwendet werden.« »Der Güterverkehr gehorchte nicht mehr dem freien Spiel der Kräfte, sondern war zwangsläufig geworden.« Nichts durfte mehr verlorengehen, das Land konnte sich keinen Luxus und keine Verschwendung mehr leisten. Rathenau gründete »Kriegsgesellschaften«, Zwitterwesen aus Behörde und Unternehmen, die in ihren jeweiligen Branchen den wirtschaftlichen Kreislauf bis ins Detail kontrollierten. »Ihre Aufgabe ist es, den Zufluss der Rohstoffe in einer Hand zusammenzufassen und ihre Bewegung so zu leiten, dass jede Produktionsstätte nach Maßgabe ihrer behördlichen Aufträge zu festgesetzten Preisen und Bedingungen mit Material versorgt wird.« Unter Rathenaus sichtbarer Hand wurde die deutsche Wirtschaft zu einem einzigen gewaltigen Kartell umgebaut. An der Spitze dieser Konstruktion saßen aber nicht wie früher