Leben nach der DDR. Klaus BehlingЧитать онлайн книгу.
können, wir werden kaum Lohnsteuern haben, weil die Leute so wenig verdienen, dass sie unter den Freisätzen bleiben, also all die üblichen Steuern, die so ausfallen, werden wir nicht ziehen. Hundert Prozent von nichts ist immer noch nichts.‹ Nein, er wäre anderer Ansicht, und er würde anders verhandeln.«
Finanzminister Walter Romberg begründete das: »Natürlich wusste ich auch, dass das Steueraufkommen im Osten nur ein Bruchteil dessen werden würde, was der Westen kassierte. Dort gingen damals 57 Prozent aller Steuern an den Bund. Dadurch sah ich die Entwicklung der angestrebten föderalen Struktur im Osten als gefährdet an.«
Gelöst wurde der Streit, indem Lothar de Maizière auf seine Richtlinienkompetenz als Regierungschef pochte: »Und da habe ich im Beisein der Fraktionsvorsitzenden gesagt: ›Walter, ich gebe dir 24 Stunden Bedenkzeit. Wenn du dich nicht entschließen kannst, die von mir vertretene Verhandlungsposition zu vollziehen, dann muss ich dich ablösen.‹«
So geschah es. Walter Romberg: »Wir haben noch einmal telefoniert. Der Ministerpräsident rief mich an, weil ich mich nicht gemeldet hatte. Am Ende sagte er: ›Dann betrachte dich als abgesetzt.‹ Ein Bote brachte wenig später die Urkunde.«
Daraufhin trat die SPD aus der Koalition der letzten DDR-Regierung aus, und auch der SPD-Fraktionschef Richard Schröder legte sein Amt nieder. Ihm folgte Wolfgang Thierse. Auch er sah den Grund für den Bruch der Koalition in der Übermacht aus Bonn: »Die große Koalition ist ja am Ende auch deshalb geplatzt, weil wir nicht mehr den Eindruck hatten, dass die sozialdemokratischen Minister in der Regierung de Maizière überhaupt angemessen Einfluss nehmen konnten, dass Lothar de Maizière immer stärker von Kohl bestimmt wurde. Die Vereinbarungen galten nicht mehr so, und ich dachte, was ist denn das für ein Spiel? Wir können doch nicht in einer Regierung sein, in einer Koalition, die – nach unserer Wahrnehmung, vielleicht ist das ungerecht, aber sie war damals emotional ganz stark – nur noch instrumentalisiert ist von Helmut Kohl und seiner Regierung.«
Vom Geld aus dem Westen, das der Katalysator für die dramatische Entwicklung im Sommer 1990 war, wurde nicht mehr gesprochen.
Was wurde aus den »Anteilscheinen« am Volkseigentum?
Als die Treuhand am 31. Dezember 1994 ihre Tätigkeit einstellte, übernahmen verschiedene Nachfolger die verbliebenen Aufgaben. Neben einer Gesellschaft zur Verwertung der Liegenschaften und einer für Grund und Boden war die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderausgaben (BvS) der wichtigste noch verbliebene Abwickler. Geregelt wurde ihre noch Jahre dauernde Tätigkeit durch zwei »Treuhandunternehmensübertragungsverordnungen«, ein Wort, das so lang ist, dass es nicht einmal zwischen den Duden-Buchdeckeln Platz findet. Die Kurzform klingt nicht viel besser:»TreuhUntÜV«. Trotzdem schienen sie nötig, denn 2006 berichtete Bernd Halstenberg, damals Chef der BvS, dass er manchmal merkwürdige Briefe bekäme. Sie rankten sich um die meist wütend gestellte Frage, wo denn der persönliche Anteil des Absenders am »Volkseigentum« der DDR geblieben sei, der immer noch nicht auf dem privaten Girokonto eingegangen sei. Die Antwort schrieb der Computer.
Eigentlich war das nur noch eine Erinnerung an den Wahlkampf aus dem Frühjahr 1990, als es um die erste freie Volkskammer der DDR ging. Sie sollte den weiteren Weg in die Einheit bestimmen. Bundeskanzler Helmut Kohl, dessen CDU im Osten das Wahlbündnis »Allianz für Deutschland« geschmiedet hatte, blieb bei der im Westen bewährten Methode und versprach schlichtweg »blühende Landschaften«. Dem wollte die SPD, die sich große Chancen auf die Macht erhoffte, etwas Konkreteres entgegensetzen.
Am 14. März 1990 verkündete sie über die Deutsche Presseagentur (DPA), was geschehen sollte, wenn sie an die Macht käme: »Die DDR-SPD will bei einem Wahlsieg am Sonntag in der DDR an jeden Bürger, vom Säugling bis zum Rentner, Anteilscheine im Nennwert von 40.000 DDR-Mark an Investmentgesellschaften vergeben. Wie die wirtschaftspolitischen Sprecher der Partei in Ost-Berlin vor Journalisten erläuterten, soll damit ein breit gestreutes Eigentum erreicht werden. Ferner soll verhindert werden, dass sich die bisherigen SED-Funktionäre im Wirtschaftsbereich bei einer künftigen Umwandlung volkseigener Betriebe über Sonderrechte bereichern. Es wäre eine ›Perversion‹, wenn jetzt damit angefangen werde, zu verkaufen, was eigentlich den Bürgern gehöre. Die Vergabe von Anteilscheinen sei auch eine Entschädigung für ›29 Jahre Mauer-Haft‹, so die SPD-Sprecher.«
Die Forderung aus dem »Volkseigentum«, über das niemand verfügen konnte, individuellen Besitz zu machen, war bereits am »Zentralen Runden Tisch« entstanden, dem »Nebenparlament« nach dem Sturz der SED. Am 26. Februar 1990 forderten die dort vertretenen Parteien und Bürgerbewegungen die Umwandlung der Rechtsform der volkseigenen Betriebe zu beschleunigen, damit das Eigentum der Bürger gesichert würde.
Diese Notwendigkeit sahen auch die Sozialdemokraten. Die »Fachgruppe Wirtschaftspolitik« der Ost-SPD analysierte in einem Papier unter der Überschrift »Was wir noch haben« die Lage. Sie kam zu dem Schluss, dass alle Besitzer von Grund und Boden beruhigt in die Zukunft sehen könnten. Deren Wert würde auf das Hundertfache steigen. Mit einer Verdreifachung rechneten die SPD-Genossen beim Wert der Immobilien. Immerhin eins zu eins dürften sich Antiquitäten umrechnen. Doch dann stellten die Politiker fest: »Der übergroße Teil unserer Bürger hat nichts von all dem. Die Dinge in unseren Wohnungen und Garagen – Autos, Fernsehgeräte, Waschmaschinen und Möbel – werden nach der Währungsunion bestenfalls noch ein Drittel wert sein. In unserem Land fiel erarbeitetes Sachkapital stets an den Staat, und so kommt es, dass bei uns der Bürger höchstens 20 Prozent aller Werte, der Staat dagegen 80 Prozent besitzt. In der BRD ist dies Verhältnis genau umgekehrt. Abgesehen davon, reichen unser aller Ersparnisse vielleicht für den Erwerb von 10 Prozent allen Eigentums im Lande. Zwingend folgt, dass wir große Teile dieses Eigentums unentgeltlich übertragen müssen, soll es nicht für uns verloren sein. Es wäre außerdem pervers, noch einmal zu bezahlen, was uns de facto bereits gehört.«
Klar war zu jener Zeit bereits, dass mit der DM Subventionen des Staates auf Mieten, Energie, Grundnahrungsmittel, Kinderbekleidung und vieles andere wegfallen würden. Massive Preissteigerungen für die alltäglichen Dinge waren zu erwarten. Um sie abzufangen, sollte – so die Überlegung der SPD – pro Anteilschein monatlich eine Rendite von etwa drei Prozent gezahlt werden. Einen derartigen Ausgleich hielt man auch im Westen für denkbar. Am 9. Februar 1990 erklärte Finanzminister Theo Waigel, dass »auch an die Ausgabe von Volksaktien« gedacht werden könne. Sechs Tage vor der Volkskammerwahl forderte der konservative Wirtschaftsprofessor Wolfgang Engels die Ausgabe einer unentgeltlichen, nicht übertragbaren »DDR-Aktie«.
Ein paar Leute im Osten machten sich derweil schon einmal Gedanken, wie so eine »DDR-Aktie« aussehen könnte. »Vermögens-Anteil-Urkunde an einem 16 Millionstel Anteil am Volksvermögen der DDR zugunsten, Name, Vorname, geboren am …, ausgegeben am …« würde vorn draufstehen. Dazu gäbe es dann auch noch einen sachdienlichen Hinweis: »Diese Urkunde (und nicht Ihre Ersparnisse) geben Sie in Zahlung, wenn Sie Ihre volkseigene Wohnung als Eigentumswohnung erwerben wollen. Mietwucher wäre dann kein Thema mehr. Wenn Sie ein Gewerbe eröffnen wollen, brauchen Sie Geschäfts- oder Betriebsräume. In einem der vielen unrentablen VEB werden Sie Ihren Raum finden. Sie erwerben ihn mit Ihrer Vermögensurkunde.«
So sollte verhindert werden, dass die »DDR-Aktie« schnell zum Spekulationsobjekt würde. SPD-Wirtschaftsexperte Horst Schneider erläuterte dazu in der bereits genannten DPA-Meldung: »Die Anteilscheine der Bürger, die erst nach drei bis fünf Jahren handelbar sein dürften, würden treuhänderisch von den Investmentgesellschaften – mit einer Treuhandbank an der Spitze – verwaltet … Die Bank organisiere die Verteilung des Kapitals in Aktiengesellschaften, Immobilien- und Investmentfonds. Ein Verband der Anteilseigner könnte die Vertretung der vielen Eigentümer übernehmen … Vorgesehen sei aber auch, Anteilscheine zu beleihen, so die SPD. Damit wäre Kapital frei für die Gründung von Kleinbetrieben oder die Schaffung von Wohneigentum. Neben dem Eigentum an Kapitalgesellschaften soll es genossenschaftliches ebenso wie unmittelbar persönliches Eigentum geben. Dem neuen Staat soll nur das Verfügungsrecht über Eigentum bleiben, das gesellschaftlichen oder kommunalen Zwecken dient.«
Dass die Träume um die »DDR-Aktie« nur Schäume blieben, lag an der Wahlniederlage der SPD am 18. März 1990. Sie erreichte nur knapp 22 Prozent, die zusammengeschlossenen Bürgerbewegungen