Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero GonzálezЧитать онлайн книгу.
Wie sollte φόνωι … δυσσεβεῖ verstanden werden? Page zufolge ist es „causal dative,‘because of the murder’“23 und er schlägt folgende Belege als Muster vor: Io. 940; Hel. 79; Ba. 1120; Supp. 1042, ElEuripidesIo. 940EuripidesHel. 79EuripidesBa. 1120EuripidesSupp. 1042EuripidesEl. 149. 149, usw. Dieser Meinung ist auch Farnell: „According to Euripides, the mother slew both her children, but the manner of their slaying he does not specify“24. Diese Deutungen aber weisen darauf hin, dass Ino sich ins Meer stürzt, nachdem sie ihre Kinder getötet hat; sie springt also aus Verzweiflung, um ihren Schmerz zu lindern. Valgiglio stimmt auch dieser Sichtweise zu, die Inos Tod als eine Befreiung von einem unerträglichen Übel sieht: „Fra i mali che fanno desiderare la morte c’è la sventura che consiste nella perdita di una persona cara, colla quale si vorrebbe συνθανεῖν incontrando un ἥδιστος θάνατος (Suppl. 1006) che ci libera dal dolore di una sciagura insopportabile, conservando ininterrotto il vincolo che ci lega allo scomparso“25. Nach diesem Gelehrten hat sich Ino mit den Leichen ihrer beiden Kinder ins Meer gestürzt. Diese Idee findet sich auch bei einem antiken Autor: bei Nymphodoros.
Aélion denkt jedoch ganz anders und bezieht sich auf die Worte des Chors: „Une autre femme dans le passé, dit-on, Ino, a tué ses enfants, se jetant avec eux dans la mer, par-delà la falaise marine“26. Diese Wissenschaftlerin interpretiert die Begriffe κλύω und πάρος als ein über den Tod der Kinder Inos entstandenes Gerücht, das den erschütternden Hilferuf der Kinder von Medea übertönt und im Hintergrund lässt. McHardy behauptet aber, „Ino is said to have killed her two children (in an unspecified way) and to have committed suicide by throwing herself into the sea after being driven mad by HeraHera“27. Dieser Kasus φόνωι … δυσσεβεῖ ist auch als ein gleichzeitiger Dativ zu verstehen: Beide Ereignisse geschehen zeitgleich. Der Ausdruck kann m.W. ‚mit dem gottlosen Mord’ treffend übersetzt werden, wobei er die Zweideutigkeit zulässt, die Euripides wahrscheinlich auch beabsichtigte.
Zwei spätere Textestellen können nun hilfreich sein, um MedEuripidesMed. 1282–1289. 1282–1289 besser zu verstehen. In FGrHist. 572 F. 18 von NymphodorosNymphodorosFGrHist. 572 F 1828 – einem von Natale Conti (VIII 4)Natale ContiNatale Conti VIII 4 überlieferter Text – wird Athamas freigesprochen und Ino des Mordes ihrer Kinder beschuldigt. Wahrscheinlich gab es eine Überlieferung – man kann aber nicht ausschließen, dass Euripides es erfunden hat –, in der Ino ihre Kinder umbringt. Newton29 bemerkt, das Schol. in E. Med. 1284 SchwartzScholia zu EuripidesSchol. in E. Med. 1284 Schwartz stellt den Ausdruck ‚einige‘ dem Namen ‚Euripides‘ gegenüber. Er sagt, dass die Möglichkeit, Euripides habe diese Tradition erfunden, zur Wahrscheinlichkeit wird, wenn der Kontext der Andeutung, nämlich die ganze Tragödie, ausführlich analysiert wird: „Euripides is the first to present Medea as the deliberate murderess of her sons“30. Es ist möglich31, obwohl man m.E. auf viele Schwierigkeiten stößt. Falsch ist aber meiner Meinung nach, dass Euripides Inos Fall als „an event which never occurred“32 vorschlägt, denn nur so wird Medeas Grausamkeit deutlich. In der TragödieTragödie wäre diese Verwendung eines exempli ein Sonderfall33.
Es ist auch möglich, dass Euripides diese Version nicht erfunden hat, sondern dass sie nur eine parallele Version mit gerigem Bekanntheitsgrad war und auch nach diesem Tragiker weithin unbekannt blieb. Page meint dazu, diese Version „must have been current before Eur.’s allusion to it here: the poet cannot have introduced even so slight an innovation in a passing reference intended as a parallel“34. Sogar Newton weist auf diese Idee hin, obwohl er sie vorsichtiger darstellt: „It is possible, of course, that they are referring to a version which, though now lost to us, the ancient audience would have recognized“35.
In der Tat wird in Medeae Argumentum Schwartz36 gesagt, dass Euripides nur eine Bearbeitung eines früheren Werkes von Neophron37AthenNeophronMedea:Frg. 3 war; Del Rincón Sánchez zufolge „ambos argumentos debieron ser muy similares, pero Eurípides introdujo un desenlace diferente, que pudo motivar que la tragedia, paradójicamente, fracasara ante Euforión“38. In dem auf Neophrons Medea zurückgeführten Frg. 2, 11–12NeophronMedea:Frg. 2, 11–12 sollte Medea nach Snell wahnsinnig geworden sein. Sie wäre nicht die einzige: Senecas Medea39 hat auch den Verstand verloren, denn sie wird in dieser Tragödie als rasende Mänade dargestellt (Verse 123–124, 382–386SenecaMed. V 382–386SenecaMed. V 806–807SenecaMed. V 849–852SenecaMed. V 123–124, 806–807, 849–852). Diese Grausamkeit von Ino verknüpft sich mit ihrer Erbamunglosigkeit in der I-P-H-Version. Es ist auch möglich, dass Euripides und Nymphodoros dieser ersten Tradition über Athamas’ Frau in ihren Werken folgten: Ino tötet zunächst ihre zwei Kinder und wirft sich danach in einer Verzweiflungstat ins Meer. Das gilt m.E. nicht für Euripides’ Ino in seiner Medea, wenn auch diese Idee sicher nicht ausgeschlossen werden kann.
In der zweiten Textstelle (Plu. Mor.PlutarchMor. 267d-e 267d-e) wird gesagt, dass Ino, eifersüchtig auf die SklavinSklavin ihres Mannes, ihren ZornZorn gegen den Sohn richtet. Der Kontext dieser Passage will eine Antwort auf Leukotheas KultKult geben. Das Problem ist hier die Deutung von τὸν υἱὸν: Ist er Inos Sohn, nämlich LearchosLearchos bzw. Melikertes, oder ist er Athamas’ Sohn – das ist das Wahrscheinlichste –, und zwar Phrixos? Wenn man die erste Möglichkeit annimmt, ist Plutarchs Textstelle mutatis mutandis nach Euripides’ Medea zu verstehen, denn sie tötet auch Jasons Kinder, damit ihr untreuer Mann große Schmerzen leidet. Deshalb kann man sagen, dass diese Version des Mythos von Athamas, in der Ino ihre beiden Kinder umbringt, von Eifersucht geprägt war. Darüber hinaus agieren Euripides’ wie auch Plutarchs Ino im Zustand des Wahnsinns. Es kann eingewendet werden, dass Medea ihre beiden Kinder tötet, Ino aber nur eins. Man könnte erwidern, dass Ino immer eine Griechin bleibt, und dass sie nie so grausam wie die barbarische Medea sein wird; genau diese Angabe wurde in der Tradition von Euripides modifiziert.
Das wichtigste Problem der Textstelle bei Euripides ist die Erwähnung des von HeraHera geschickten WahnsinnWahnsinns. Dies ist etwas Merkwürdiges, vor allem bei Euripides, der sich sehr zurückhält, wenn er die menschlichen Ereignisse auf die Götter zurückführen muss. Schwierig ist die Vorstellung, dass Hera sich einmischt, wenn Dionysos nicht in der Mitte der Geschichte steht; anderenfalls ist es aber auch nicht gerechtfertigt, dass Hera Ino den Wahnsinn schicken sollte, nur weil Athamas z.B. eine Geliebte hatte, wie Plutarch in seinem Text erzählt. Euripides bezieht sich m.E. auf eine sehr alte Variante der I-L-M-Version, in der Ino, und nicht Athamas, Heras Bestrafung bekommt – möglicherweise weil sie Dionysos erzogen hat – und ihre beiden Kinder tötet. In diesem Fall wird das negativste Bild von Ino präsentiert und Athamas’ Wahnsinn überhaupt übersehen40.
III.2 Iphigenie im Taurerlande
Euripides erwähnt auch LeukotheaLeukothea und PalaimonPalaimon, aber ohne eine Andeutung zu Athamas’ Mythos, in ITEuripidesIT. 270–274. 270–274: Ein Hirte sieht von weitem zwei Figuren; er weiß nicht, wer sie sind, und versucht, sie als die zwei Gottheiten zu identifizieren.
Im Gegensatz zur OdysseeHomerOd. V 333 (V 333–353) schlägt Euripides Palaimon als Hauptfigur der Meereshelfer vor, aber mit Umsicht bezieht er sich auf seine Abstammung, um auch Leukothea einzuführen. Diese Textstelle präsentiert die Anrufung zu den divinisierten Ino und Melikertes, die Hilfe im Meer leisten, obwohl diese Szene an der Küste der Tauren stattfindet, einem Ort, der übrigens nordwestlich von KolchisKolchis liegt.
III.3 InoIno
Im Katalog der TragödieTragödien von Kannicht (Kol. I 21) wird dieses Werk mit dem Eintrag Εἰνώ präsentiert. Kannicht1 bemerkt, dass die Handschriften das Wort Οἰνεῖ statt ̓Ινοῖ schreiben.
Diese Tragödie genoss immer großes Ansehen, wie Piccardi anmerkt: „Ebbe una notevole fortuna anche in età imperiale, come testimoniano le numerose citazioni che si trovano in Plutarco, e in particolar modo in Egitto, come dimostra l’alto numero di papiri rinvenuti che contenevano questo dramma: del tema si era appropriato anche il pantomimo (Luc., saltLukian von SamosataSalt. LXVIILukian von SamosataSalt. XLII. 42 e 67), probabilmente attratto dalla