Das Erzählwerk Cécile Wajsbrots. Herbert HuesmannЧитать онлайн книгу.
la traversée nous unissait, entre Europe et Asie, dans l’un de ces villages […] nous aurions pu vivre […].“13 Die Erzählerin betont sehr bewusst die „Normalität“ der persönlichen Beziehung, indem sie dem gemeinsam genutzten Hotelzimmer mit einem „[…] lit ancien […]“ und fehlendem Anrufbeantworter den Anstrich des Altertümlichen und obendrein des sittlich Unbedenklichen verleiht: „[…] la fenêtre donnant sur le jardin abrita notre envie, enlacés nous roulions vers les rivages du soir, le village de pêcheurs et sa vie, où nous aurions abandonné la nôtre.“14
Gleichwohl gelingt es der Erzählerin in Istanbul nicht, ihre Aufmerksamkeit ungeteilt nur auf „ihn“ zu lenken. Bei der Ankunft in der Stadt am Bosporus hat sie, erotisch sensibilisiert, in seiner Begleitung mit dem Anblick von Minaretten gerechnet, schaut nun aber auch auf „[…]les coupoles des mosquées […]“15 und „[…] des dômes largement étalés […]“16, die in ihr nicht nur Erinnerungen an „sie“, sondern geradezu das sehnsüchtige Verlangen nach „[…] ses bras, son étreinte, ses mains, et, au-delà, son corps […]“17 wecken. Dass es sich dabei um einen, wie sie sagt, einer „Obsession“ ähnelnden Zustand handelt, verdeutlicht ihre Feststellung: „S’il m’avait laissée seule, j’aurais erré, je crois, de mosquée en mosquée, à sa recherche, et je serais tombée, quelque part, en extase.“18
2.2.2 Reisebewegungen
Reiseziele und Bewegungsvorlieben des geliebten Mannes und der Erzählerin
Indem die Erzählerin sich im Kontext der Schilderung der Reise nach Istanbul über ihre eigenen und die Bewegungsvorlieben des von ihr geliebten Mannes äußert, entwirft sie rudimentäre Charakterskizzen:
Il aimait les îles désertes, les endroits isolés, les rochers escarpés, les pentes abruptes, surtout l’aridité, l’escalade – il recherchait l’exploit. Moi, je préférais le large et la navigation – qu’il appelait errance – les grandes étendues, mais pas arides […]1
Eine kurze Zeit nach der Rückkehr aus Istanbul vervollständigt die Erzählerin das Bild:
Quelque temps après le retour du pays d’été, lui me faisait peur, la vie tracée qu’il m’offrait m’intimidait, m’ennuyait, je l’avais refusée, il m’avait dit on ne peut pas passer sa vie à naviguer quand j’avais dit que j’avais besoin de naviguer, et à force de ne plus le voir, je commençais à me demander s’il n’avait pas raison.2
„Sein“ Verhalten ist – aus der Sicht der Erzählerin – folglich dadurch gekennzeichnet, dass „er“ zwar durchaus abenteuerähnliche Herausforderungen sucht, sich dabei aber stets in überschaubaren, eng umgrenzten Räumen bewegt. Wenn sein Leben dementsprechend in „vorgezeichneten Bahnen“ verläuft, ist es ihrer Meinung nach risikoarm, wenig überraschungsanfällig, langweilig. Ebendies jedoch und „seine“ Mahnung „[…] on ne peut pas passer sa vie à naviguer […]“ wirken auf die freiheitshungrige, auf eine Entgrenzung ihrer Erfahrungen bedachte Erzählerin abschreckend und frustrierend, obwohl seine Worte, sobald sie „ihn“ längere Zeit nicht sieht, ihre Wirkung auf sie nicht ganz verfehlen. Wenn sie jedoch ihre Bahnen schwimmt, schweifen ihre Gedanken in die Wüste Namibias mit ihren in den südlichen Atlantik ragenden Sanddünen oder in die Gewässer zwischen Feuerland und die Antarktis, wobei sie die letztgenannte geographische Präferenz mit einem auf der Homonymie des Lexems „glaces“ beruhenden Wortspiel begründet: „[…] ah, les glaces, je les préfère en mer plutôt que dans les cœurs.“3
„[…] ce voyage si loin hors de mes frontières […]“ – die Erzählerin und ihre Geliebte
Die Erzählerin erkennt zwar einen wesentlichen, von ihr als Rollenumkehr verstandenen Unterschied zwischen ihren Beziehungen zu „ihm“ und „ihr“,1 bedient sich aber bei der Beschreibung beider Verhältnisse einer stark räumlich bestimmten Bildersprache. Auffällig ist die dabei sehr früh offenbar werdende Ambivalenz ihrer Empfindungen, insofern sie sich bereits beim Anblick der ihr unbekannten „[…] familles dans les rues […]“ unwohl und ausgegrenzt fühlt: „[…] j’étais mal à l’aise, je ne voulais pas de leur vie mais je me sentais au bord du monde, en dehors de tout.“2 In ungleich stärkerem Maße setzt jedoch das intime Zusammensein mit „ihr“ in der Erzählerin widerstreitende Reaktionen frei. Um zu verdeutlichen, welch außergewöhnliche Gefühle der Genuss grenzenlos erlebter Freiheit dabei in ihr auslöst, bedient sich die Erzählerin eines ganzen Arsenals isotopisch aufeinander bezogener Metaphern, um sodann zu einer abstrahierenden Schlussfolgerung zu gelangen:
Entre les murs nous étions bien, d’une liberté sans frein, tous les rôles étaient permis, et les explorations sur les rives interdites, nous accostions, dans cette forêt nul encore n’avait pénétré, nous écartions les branches, les broussailles, marchant entre les serpents qui rampaient, fuyant notre venue, forêt de la confusion, de la perte, je me rendais compte que je n’étais pas pareille avec elle et avec les autres, parce qu’elle était femme et eux hommes, mais il y avait autre chose j’allais dire de plus profond, la transgression, ce serait peut-être plus proche, mais il y a autre chose encore, avec elle, j’oubliais quelque chose de moi, avec les autres, avec lui, j’oubliais ce que j’étais avec elle.3
Die Erzählerin beschreibt intime Begegnungen mit „ihr“ hier als Akte zügelloser Freiheit, die gleichwohl nur in der abgeschirmten Sicherheit eines geschlossenen Raumes vollzogen werden können. Wenn sie diese Akte bildhaft als gemeinsame Erkundungsreisen zu einem „verbotenen Ufer“ schildert, so erhöht sie damit unweigerlich den Reiz der Spannung, den sie noch zu steigern vermag, indem sie in ihrer Phantasie mit „ihr“ auf der anderen Uferseite einen undurchdringlich scheinenden Wald betritt und dort obendrein auf Schlangen trifft, die vor ihr und ihrer Begleiterin fliehen. Eine an dieser Stelle möglicherweise erwartete triumphierende Reaktion tritt nicht ein, vielmehr wähnt sie sich in einer „[…] forêt de la confusion, de la perte […]“. So schafft die Erzählerin mit Anklängen an eine abenteuerliche Dschungelepisode und – in stark abgewandelter Form – einer Anspielung auf die Selbsterkenntnis Adams und Evas und ihre Vertreibung aus dem Paradies im Buch Genesis sowie nicht zuletzt mit dem Topos des dunkel-undurchdringlichen Waldes4 eine Atmosphäre, in der sie die Erfahrung ihres Andersseins als „transgression“, als eine Grenzüberschreitung und darüber hinaus als ein „Sich Verlieren“ darstellen kann. Noch deutlicher formuliert sie diese Erfahrung an anderer Stelle:
[…] cherchant son corps et son désir, je ne savais plus ce qui était elle et ce qui était moi, j’ai oublié ma peur à cette dépossession, ce voyage si loin hors de mes frontières, ces secondes où j’avais quitté mon corps et mon âme pour rejoindre le sien ou flotter entre deux […]5
Die Erzählerin erlebt die intime Nähe zu „ihr“ jedoch nicht nur als eine die Grenzen ihrer eigenen Persönlichkeit aufhebende Extase, sondern zugleich als eine Form innerer Gefangenschaft:
Entre les murs, aussi, nous étions prisonnières de l’éternel recommencement, l’extrême liberté et l’extrême prison se confondaient, inéluctablement, au bout d’une semaine, d’un mois, un an, je prenais sa main ou elle prenait la mienne et après, il n’y avait plus rien à faire. Et puis au cœur de la forêt, il y avait ce territoire, abordé une fois, et depuis, jamais reconnu, quelques semaines passées, du printemps à l’été, l’extrême péril.6
So mutiert der abschirmende, Intimität ermöglichende geschlossene Raum im Laufe der Zeit zu einer Zelle, in der die Erzählerin und ihre Geliebte ihre zunächst als „extrême liberté“ erlebte und gelebte gegenseitige Hingabe als „extrême prison“, d.h. als einen äußersten Mangel an innerer Freiheit oder als eine Form von Abhängigkeit erfahren.7 Ohne dass die Entwicklung zu diesem Punkt hin restlos klar wird, verdeutlicht die in drei Nominalphrasen einmündende Syntax den dramatischen Prozess, der die Erzählerin vom vermeintlichen Gipfel des Glücks zur Einsicht in die für sie lebensbedrohende Gefährdung führt.
2.2.3 Der Äquator als virtuelles Ziel
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