Toxikologie für alle. Helmut GreimЧитать онлайн книгу.
(PER), Toluol, m-Xylol und Styrol im Vergleich zu Erwachsenen keine Unterschiede aufweist. Das bedeutet, dass diese Stoffe, wenn sie von Erwachsenen und Kindern eingeatmet werden, gleich hohe Konzentrationen im Organismus erreichen und auch gleich schnell aus dem Körper wieder ausgeschieden werden. Dies wird damit erklärt, dass die Perfusionsrate, also die Durchblutungsgeschwindigkeit, der kindlichen Leber höher ist als bei Erwachsenen und damit pro Zeiteinheit größere Substratmengen angeliefert werden als bei Erwachsenen, die damit schneller unschädlich gemacht werden können.
6.2 Umwelttoxikologische Relevanz genetischer Unterschiede
Fachärzte für Innere Medizin oder Umweltmedizin bescheinigen manchmal Patienten in einem Notfallausweis, dass sie aufgrund eines Defizits an Glutathion-S-Transferase M1 (GSTM1), das Enzym, das das Glutathion auf Substanzen überträgt, damit diese besser wasserlöslich sind und leichter ausgeschieden werden können, „hochempfindlich auf Antibiotika, Formaldehyd, Alkohole, Glykole, Reinigungs-, Desinfektionsmittel und zahlreiche Medikamente” seien. Diese Aussage ist wissenschaftlich nicht haltbar.
Die Gene von Enzymen lassen sich zwar leicht mit molekularbiologischen Methoden bestimmen. Eine verminderte oder fehlende Genexpression ohne Untersuchung der entsprechenden Enzymaktivitäten hat jedoch keinen Krankheitswert und ist ohne diagnostische Bedeutung, zumindest bei niedriger Exposition.
Allerdings kann die Exposition bei Arzneimitteltherapie und am Arbeitsplatz auch bei normaler Expression im Enzym-Substrat-Sättigungsbereich liegen, sodass bei niedriger Enzymexpression mit toxischen Wirkungen zu rechnen ist.
Umweltbelastungen sind dagegen zumeist niedrig und führen daher auch bei niedriger Enzymexpression nicht zu einer Enzym-Substrat-Sättigung, sodass keine unerwarteten schädlichen Wirkungen zu erwarten sind.
6.3 Toxikologisch relevante Polymorphismen bei hoher Exposition
Im Prinzip können alle biologischen Funktionen, welche die Stoffkonzentration im Organismus durch Metabolismus bestimmen, einem genetischen Polymorphismus unterworfen sein. Gesundheitliche Relevanz haben bisher allerdings nur Polymorphismen von Enzymen, die am Phase-I- und Phase-II-Metabolismus einiger Fremdstoffe und endogener Substanzen beteiligt sind.
Die Ursachen des genetischen Polymorphismus sind in der Abb. 6.1 dargestellt.
Die genetische Variabilität Cytochrom-P450-vermittelter Reaktionen wurde zuerst bei der Therapie mit dem blutdrucksenkenden Mittel Debrisoquin entdeckt. Es fiel auf, dass 5–10% der Patienten das Arzneimittel nur sehr langsam verstoffwechselten und auf die Standarddosis ungewöhnlich heftig reagierten. Als Ursache wurde ein Polymorphismus der Cytochrom-P450-Form CYP2D6 erkannt. Die Enzymdefekte, die den Phänotyp des langsamen Metabolisierers hervorrufen, beruhen auf Punktmutation (70%), Verlust einzelner Basen (5%) oder dem Verlust des gesamten Gens (15%). Es finden sich auch Individuen, die Substrate des CYP2D6 extrem schnell metabolisieren. Bei diesen seltenen ultraschnellen Metabolisierern wurde eine vererbbare Vervielfachung (Amplifikation) des 2D6-Gens identifiziert, die bis zu zwölf Kopien beträgt.
CYP1A1 ist für die Aktivierung zahlreicher kanzerogener polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) verantwortlich. Individuen mit hoher CYP1A1-Aktivität sind daher einem größeren Krebsrisiko durch PAK z. B. im Tabakrauch ausgesetzt. In der Tat wird bei Rauchern ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Bronchialkarzinoms und der CYP1A1-Aktivität beobachtet.
Abb. 6.1 Schematische Darstellung der Bedeutung unterschiedlicher Phänotypen eines Enzyms. Der Genotyp einer Person, die homozygot für die Enzymvariante mit hoher Aktivität ist, enthält im Genom zwei Allele, die den Phänotyp hohe Enzymaktivität definieren. Ist das entsprechende Enzym an der Entgiftung eines Medikaments beteiligt, ist die Person wenig empfindlich. Das Gegenteil ist der Fall, wenn im Genom zwei Allele für niedrige Aktivität vorliegen. Damit ist das Individuum homozygot für niedrige Aktivität und reagiert damit empfindlicher auf das Medikament. Ein heterogenes Individuum hat ein für die Enzymaktivität positives und ein negatives Allel und wird daher auf das Medikament normal reagieren, wenn in der Bevölkerung der heterogene Genotyp vorherrscht (aus Kapitel Toxikogenetik, von L. Stanley und H. Greim, in Das Toxikologiebuch, 978-3-527-33973-0, Wiley-VCH, 2017).
Der Mensch besitzt zwei Formen von N-Acetyltransferasen, NAT-1 und NAT-2, die sich wesentlich in ihrer Substratspezifität und in der Gewebsverteilung unterscheiden. Der klassische AT-Polymorphismus, der zur Ausprägung des „schnellen” oder „langsamen” Acetylierer-Phänotyps führt, beruht auf der Variabilität des Gens für AT-2.
Der AT-2-Polymorphismus wurde zunächst bei der Tuberkulosetherapie mit Isoniazid erkannt, das durch Acetylierung inaktiviert wird. Während bei schnellen Acetylierern die therapeutische Wirksamkeit vermindert war, kam es bei langsamen Acetylierern zur Wirkungsverstärkung und starken Nebenwirkungen wie Polyneuropathien.
Der AT-2-Polymorphismus ist relevant für das Auftreten von Dick- und Enddarmkrebs und von Blasenkrebs nach Exposition gegenüber aromatischen Aminen, die wie 4-Aminobiphenyl im Tabakrauch enthalten sind und in der Gummi-, Textiloder Farbenindustrie verwendet werden.
Schnelle Acetylierer haben daher ein erhöhtes Risiko, an Krebs des Dick- und Enddarms zu erkranken. Vermutlich sind dafür heterozyklische Arylamine, die als Pyrolyseprodukte in Nahrungsmitteln vorkommen, verantwortlich. Metaboliten dieser Substanzen werden durch die AT-2 der Darmzellen zu ihren ultimalen kanzerogenen Formen umgewandelt, wobei schnelle Acetylierer gefährdeter sind als langsame.
Im Gegensatz dazu haben langsame Acetylierer ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Blasenkrebs bei beruflicher Exposition mit aromatischen Aminen wie Benzidin.
Allerdings unterscheidet sich die Empfindlichkeit von schnellen und langsamen Acetylierern gegen toxische Chemikalien nicht so stark, wie es von dem ausgeprägten AT-2-Polymorphismus zu erwarten wäre. Dies beruht darauf, dass die potenziell toxischen Substrate der AT-2 auch von AT-1 sowie von Cytochrom P450 (CYP1A2) metabolisiert werden und damit alternative Möglichkeiten der Metabolisierung bestehen.
Weiterhin bekannt sind Polymorphismen der Glutathion-S-Transferasen GSTM1 und GSTT1. Epidemiologische Untersuchungen haben ergeben, dass das Risiko für Blasenkrebs bei Individuen der homozygoten null GSTM1 Form um 50% erhöht ist.
Auch Träger des Polymorphismus der Glutathion-S-Transferase (GSTP1 A313G) scheinen ein erhöhtes Blasenkrebsrisiko zu haben.
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Bestimmung des Risikos
Nicht allein schon das Vorhandensein einer Chemikalie stellt ein Gesundheitsrisiko dar, sondern es hängt von der Expositionshöhe ab, ob ein Risiko für Mensch und Umwelt gegeben ist. Dieser Zusammenhang zwischen gefährlichen Eigenschaften einer Chemikalie, der Dosis-Wirkungs-Beziehung und der Expositionshöhe, ist tierexperimentell, durch Erfahrung an Personen, die an Arbeitsplätzen bei akuten oder chronischen Vergiftungen exponiert waren, sowie durch zahlreiche Beispiele eindeutig belegt und ist Basiswissen der Toxikologie. Dies ist international anerkannter Sachstand und ist in deutschen und internationalenen Lehrbüchern der Toxikologie ausführlich beschrieben und auch in den „Technical Guidance Documents“ der Europäischen Kommission1) für die Risikoabschätzung von Chemikalien unter der EU-Chemikalienverordnung REACH bindend festgelegt. Alle Behauptungen, dass dieser Grundsatz für bestimmte Wirkungen nicht gilt, sind wissenschaftlich nicht begründbar.
Das Risiko beschreibt, in welchem Ausmaß bei einer bestimmten Exposition ein Gesundheitsschaden