Toxikologie für alle. Helmut GreimЧитать онлайн книгу.
Arbeitsstoffe [Arbeitsstoffkommission, auch MAK-Kommission genannt] und die Ständige Senatskommission zur gesundheitlichen Bewertung von Lebensmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder die Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer) eingerichtet, welche die Bewertung der Datenlage zu einem bestimmten Stoff vornehmen und ggf. Regulierungsvorschläge erarbeiten.
Da Substanzwirkungen generell dosisabhängig sind, lässt sich eine Dosis ermitteln, unterhalb der keine Effekte auftreten (siehe Abb. 3.1). Diese Dosis ist der Ausgangspunkt für die Festlegung von Grenzwerten. Oberhalb dieser sog. Wirkungsschwelle nimmt die Wirkung dosisabhängig zu, was durch die Festlegung eines Grenzwertes vermieden werden soll. Die Festlegung der Wirkungsschwelle wird von der Empfindlichkeit der verwendeten Untersuchungsmethode bestimmt, daher bezeichnet man die Schwellendosis auch als Dosis ohne erkennbare (unerwünschte) Wirkung – engl. no observed (adverse) effect level NO(A)EL. Der NOAEL muss die empfindlichste Versuchstierspezies und das empfindlichste Organ berücksichtigen und mit Methoden, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, erarbeitet werden. Je umfassender die Information, desto sicherer sind der NOAEL und damit ein Grenzwert, der davon abgeleitet wird.
Für die Festlegung von Grenzwerten z. B. für Chemikalien in Lebensmitteln wird zunächst vom NOAEL die duldbare tägliche Aufnahme (DTA), bzw. im Englischen als acceptable daily intake (ADI) bezeichnet, unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors errechnet (siehe Abb. 3.1). Die DTA bezeichnet diejenige Menge eines Stoffes, die ein Mensch unter Berücksichtigung seines Körpergewichts täglich und lebenslang ohne erkennbares Risiko aufnehmen kann. Die Höhe des Sicherheitsabstandes richtet sich nach der biologischen Bedeutung der toxischen Wirkungen und nach dem Umfang der Kenntnisse über die Substanz. Je mehr die Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die Wirkungsmechanismen und die Toxikokinetik, d. h. die Aufnahme der Substanz in den Organismus, die Verteilung, der Abbau und die Ausscheidung bei Tier und Mensch übereinstimmen, desto geringer kann der Sicherheitsabstand zwischen NOAEL und DTA angesetzt werden. In den meisten Fällen stehen jedoch keine oder nur unzureichende Informationen z. B. über Wirkung und Toxikokinetik beim Menschen im Vergleich zum Tierversuch zur Verfügung, insbesondere wenn es sich um neue Stoffe handelt, bei denen noch keine Erfahrungen beim Menschen vorliegen. Um bei der Abschätzung von Grenzwerten sog. Inter- und Intraspeziesunterschiede, also die Unterschiede zwischen Menschen und den Versuchstieren und die zwischen den einzelnen Menschen, zu berücksichtigen, werden bestimmte Sicherheitsfaktoren eingeführt. Der NOAEL im chronischen Tierversuch wird durch einen Sicherheitsfaktor von 100 dividiert, um die Inter- und Intraspeziesunterschiede – einschließlich sensitiver Personen – zu berücksichtigen. Vereinfacht bedeutet dies: Es wird ein Faktor zehn für die Berücksichtigung von Unsicherheiten bei der Extrapolation (Übertragung) vom Versuchstier auf den Menschen verwendet, ein weiterer Faktor zehn für mögliche Unterschiede in der Empfindlichkeit innerhalb der menschlichen Population. Jeder dieser Faktoren beinhaltet den Faktor 2,5 für die Toxikodynamik und den Faktor vier für die Toxikokinetik. Bei entsprechender Information können diese Faktoren reduziert werden.
Die mithilfe des Sicherheitsfaktors 100 ermittelte DTA eines Stoffes wird anteilig auf die Nahrungsmittel verteilt, die mit dem Stoff kontaminiert sein können. Die Festsetzung der Grenzwerte für die einzelnen Nahrungsmittel orientiert sich an den Verzehrsgewohnheiten der Bevölkerung, d. h., es werden die durch regelmäßige Warenkorbanalysen ermittelten täglich üblicherweise gegessenen Mengen der Nahrungsmittel berücksichtigt und in Deutschland oder Europa regelmäßig veröffentlicht (siehe Teil C, Tab. 29.1).
Bei den Chemikalien, für die Grenzwerte in Nahrungsmitteln festgelegt werden, handelt es sich um Zusatzstoffe, Rückstände oder Verunreinigungen.
Die Grenzwerte für Trinkwasser werden nicht nach toxikologischen Kriterien abgeleitet, sondern entsprechen der Forderung, dass im Trinkwasser keinerlei Verunreinigungen enthalten sein sollen. Bis auf wenige Ausnahmen orientieren sie sich daher an der analytischen Nachweisgrenze, sodass diese Grenzwerte einen großen Abstand zu toxikologisch relevanten Konzentrationen aufweisen. So beträgt der Grenzwert für Atrazin 0,1 μg/l, die duldbare tägliche Aufnahmemenge (DTA) für den Menschen 0,7 μg/kg, während eine Wirkung im Tierversuch ab 3,7 mg (also 3700 μg/kg) festgestellt wurde. Die duldbare tägliche Aufnahmemenge (DTA) von 0,7 μg/kg Körpergewicht bedeutet damit 49 μg tägliche Aufnahme für einen 70 kg schweren Erwachsenen. Damit müsste er täglich 490 l Wasser aufnehmen, um die DTA zu erreichen. Noch sehr viel höhere Mengen wären erforderlich, um in den Bereich einer möglichen Wirkung zu kommen.
Eine Ausnahme ist Nitrat im Trinkwasser, für das wegen der relativ hohen, bisher unvermeidlichen Konzentrationen ein toxikologisch abgeleiteter Grenzwert gilt.
Für sensibilisierende Stoffe, also Stoffe, die eine Allergie auslösen, und für krebserzeugende oder erbgutverändernde Stoffe lassen sich im Allgemeinen keine unwirksamen Mengen ermitteln und damit auch keine Grenzwerte festlegen. Solche Stoffe werden daher entweder für eine Verwendung in Nahrungsmitteln nicht zugelassen oder, wenn es sich um bereits vorhandene und nicht vermeidbare Stoffe handelt, entsprechend gekennzeichnet. Eine früher erteilte Zulassung wird widerrufen, wenn diese Eigenschaften erst später erkannt werden.
Die so erarbeiteten wissenschaftlich abgeleiteten Grenzwerte oder Empfehlungen werden im Allgemeinen von der behördlichen Seite überprüft und umgesetzt. Diese strikte Trennung zwischen Ermittlung des Risikos und Risikomanagement stellt an die Disziplin der jeweils Beteiligten nicht immer bequeme Anforderungen. So sollten sich die Risikoermittler nicht darüber beklagen, wenn das Risikomanagement zu anderen Schlussfolgerungen kommt als vorgeschlagen. Voraussetzung ist jedoch, dass eine abweichende Entscheidung mit anderen als naturwissenschaftlichen Kriterien wie sozioökonomischen Gesichtspunkten oder politischen Vorgaben begründet wird. Andererseits sollte heftig protestiert werden, wenn das Risikomanagement die naturwissenschaftlich basierten Vorschläge bewusst oder unbewusst anders interpretiert und unter Berufung auf die Risikoermittler zu Entscheidungen kommt, die weder durch die toxikologische Bewertung abgedeckt sind noch sich daraus ableiten lassen.
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Praktische Bedeutung der Grenzwerte
Grenzwerte (z. B. Höchstmengen für Zusatzstoffe und Rückstände, Grenzwerte für Trinkwasserkontaminanten und Luftverunreinigungen) werden veröffentlicht und die zuständigen Untersuchungsämter müssen durch regelmäßige Kontrollen überprüfen, ob die Werte eingehalten werden. So teilte das damals zuständige Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), die Nachfolgebehörde des früheren Bundesgesundheitsamtes (BGA) und Vorgänger des heutigen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), bereits im Jahre 2002 mit, dass nur bei 1,5% der untersuchten Proben die Höchstmengen überschritten waren. Damit bieten unsere Nahrungsmittel hinsichtlich schädlicher Stoffe ein Höchstmaß an Sicherheit, und es stellt sich die Frage, ob man sich durch die Bevorzugung von Produkten z. B. aus dem alternativen Landbau tatsächlich gesünder ernährt.
Aus der Vorgehensweise bei der Festlegung von Grenzwerten und ihrer Überwachung ergeben sich mehrere Konsequenzen. Die als duldbare tägliche Aufnahme errechnete Menge einer Substanz wird auf die den üblichen Verzehrsgewohnheiten der Bevölkerung entsprechenden Nahrungsmittel und ihre üblicherweise täglich aufgenommene Menge verteilt. Daraus ergibt sich, dass die Überschreitung des Grenzwertes einer Substanz in einem Nahrungsmittel bei geringer Konzentration in den übrigen kein gesundheitliches Problem darstellt. Dagegen kann bei sehr einseitiger Ernährung eine Überschreitung in dem bevorzugten Nahrungsmittel durchaus zu einer Überschreitung der duldbaren täglichen Aufnahmemenge führen. Es ist also wenig sinnvoll, sich einseitig zu ernähren, sondern man sollte sich an den üblichen Verzehrsgewohnheiten der Bevölkerung orientieren.
Die Untersuchungsämter sind gehalten, die Einhaltung der festgesetzten Grenzwerte zu überprüfen. Allerdings werden Substanzen, die nicht geregelt sind, nur dann überprüft, wenn sich aufgrund von Zufallsbefunden