Toxikologie für alle. Helmut GreimЧитать онлайн книгу.
Bei den Polymorphismen der Glutathion-S-Transferasen GSTM1 und GSTT1 weisen die betroffenen Träger keins oder jeweils eins der entsprechenden Gene auf. FallKontrollstudien und Metaanalysen haben ergeben, dass das Risiko für Blasenkrebs bei Individuen, denen GSTM1 fehlt, um 50% erhöht ist.
Wie oben angedeutet, müssen genetisch bedingte Unterschiede bestimmter Enzymaktivitäten nicht zu ausgeprägten Unterschieden in den Erkrankungen oder der Metabolisierung von Substanzen führen. Dies liegt einerseits daran, dass die Aktivität fehlender Enzyme von anderen ersetzt werden kann. Andererseits führt ein Polymorphismus nicht unbedingt zum kompletten Ausfall eines Enzymes, sodass eine mehr oder minder große Restaktivität erhalten ist. Daraus folgt, dass geringe Mengen einer Substanz metabolisiert werden, das Enzym bei höheren jedoch gesättigt ist, sodass im Falle einer beeinträchtigten metabolischen Inaktivierung Toxizität auftreten kann. Arzneimittel werden dagegen hoch dosiert, sodass die Enzyme rasch gesättigt sind und bei Enzymdefiziten Nebenwirkungen auftreten, die bei normaler Enzymausstattung nicht auftreten würden. Damit trifft auch hier zu: Es ist die Dosis, die bestimmt, ob eine Wirkung auftritt oder nicht.
Teil B
Organe und Organsysteme
Um die toxikologische Wirkung von Fremdstoffen im Körper zu verstehen, ist die Kenntnis der Funktionen einiger Organe bzw. Organsysteme Voraussetzung. In diesem Kapitel werden daher die Organe beschrieben,
• mit denen die Fremdstoffe als Erstes in Kontakt kommen,
• die den Stoff so umformen, dass er wieder ausgeschieden werden kann, und
• die für die Ausscheidung des Stoffes verantwortlich sind.
Dazu zählen
1 1. der Magen-Darm-Trakt,
2 2. der Respirationstrakt, d. h. die Lunge und die Atemwege,
3 3. die Haut,
4 4. die Leber als wichtigstes Stoffwechselorgan,
5 5. die Niere und die ableitenden Harnwege, über die viele Stoffwechselprodukte ausgeschieden werden.
Außerdem werden auch kurz die Organe beschrieben, die häufig Ziel toxischer Wirkungen sind:
1 6. das zentrale und das periphere Nervensystem,
2 7. die Reproduktionsorgane,
3 8. das Blut und das Knochenmark,
4 9. das Immunsystem,
5 10. das Herz- und Kreislaufsystem,
6 11. das endokrine System.
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Magen-Darm-Trakt
14.1 Einleitung
Aufgenommene Nahrung gelangt vom Mund durch die Speiseröhre in den Magen, von dort in den Dünndarm und weiter in den Dickdarm. Der Magen-Darm-Trakt hat die Funktion Nährstoffe so abzubauen, dass sie in den Körper aufgenommen werden können, und den Körper vor eindringenden toxischen Stoffen und Mikroorganismen zu schützen.
Toxikologisch hat der Magen-Darm-Trakt folgende Bedeutungen:
• Er ist höheren Konzentrationen an toxischen Nahrungsinhaltstoffen, Rückständen oder Arzneimitteln ausgesetzt als andere Organe.
• Er steuert die Aufnahme (Resorption) von Fremdstoffen in den Körper.
• In der Darmwand und durch Darmbakterien werden Fremdstoffe metabolisiert.
• Die neuronale und hormonelle Regulation macht den Magen-Darm-Trakt empfindlich gegenüber neurotoxischen Stoffen.
• Sein immunologisches Abwehrsystem begünstigt Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber oral aufgenommenen Stoffen.
Damit weist der Magen-Darm-Trakt wie andere Organe Reaktionen gegenüber toxischen Stoffen auf. Wenn man die potenziell hohen Konzentrationen toxischer Substanzen in der Nahrung oder in oral aufgenommenen Arzneimitteln bedenkt, weist er eine erstaunlich gute Resistenz gegenüber toxischen Einwirkungen auf. Viele Stoffe werden schon vor dem Eintritt in den Körper durch die Darmbakterien und die Zellen der Darmwand entgiftet. Die Rolle von Chemikalien bei der Entstehung von Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes ist bis heute nicht klar.
14.2 Struktur und Funktion
Der Magen-Darm-Trakt erstreckt sich vom Mund bis zum Darmausgang. Er bildet eine Barriere zwischen dem Speisebrei im Darm und der Blutseite. Diese Barriere wird von einer epithelialen Zellschicht gebildet, die im Magen, Dünndarm und Dickdarm (Kolon) aus jeweils unterschiedlichen Zelltypen besteht. Das Gewebe unterhalb des oberflächlichen Epithels (Mukosa, Submukosa) ist reich an Blutgefäßen, Nervenfasern, regulatorischen endokrinen Zellen und an Zellen des Immunsystems. Es wird von einer Muskelschicht umhüllt, die den Speisebrei mischt und fortbewegt (Abb. 14.1). Durch Ausstülpungen und Einstülpungen und eine bürstenartige Oberfläche weist das Dünndarmepithel eine Oberfläche von etwa 250 m3 auf.
Abb. 14.1 Aufbau der gastrointestinalen Barriere. Schematische Darstellung des Aufbaus von Magen-, Dünndarm- und Kolon(Dickdarm)epithel und anliegender Strukturen. Gezeigt sind die jeweils charakteristischen Zelltypen und Funktionen (aus Kapitel Gastrointestinaltrakt von M. Schwenk, in Das Toxikologiebuch, 978-3-527-33973-0, Wiley-VCH, 2017).
Nach Aufnahme und Einspeichelung der Nahrung im Mund gleitet der Speisebrei durch die Speiseröhre in den Magen. Dort wird ihm Magensaft zugemischt, der von Schleimzellen (Schleim), Parietalzellen (Säure) und Hauptzellen (proteinabbauende Enzyme) gebildet wird. Die Sekretionen der Magenschleimhaut werden vom Vagusnerv sowie Prostaglandin, Histamin und Hormonen (z. B. Gastrin) lokal kontrolliert. Die gesunde Magenschleimhaut ist widerstandsfähig gegenüber der Magensäure (etwa pH 1–4), da die Sekretion von Schleim und Bicarbonat die Zelloberflächen schützt.
Der Mageninhalt wird portionsweise in den Dünndarm transportiert, wo ihm Galle und Pankreassaft zugeführt wird. Gallensalze wirken als Detergenzien, indem sie Nahrungsfett in Form von Mizellen emulgieren. Pankreassaft enthält Verdauungsenzyme für den Abbau von Proteinen (z. B. Chymotrypsin), Triglyceriden (Lipase) und Kohlenhydraten (Amylase).
Die Bürstensaummembran des Dünndarms produziert Verdauungsenzyme, welche die Nahrungsinhaltsstoffe weiter zu kleineren, resorbierbaren Einheiten abbauen. Transportsysteme der Enterozyten schleusen Nährstoffmoleküle, wie Glucose, Aminosäuren, Glyceride, Nukleoside, Vitamine und Mineralstoffe vom Darmlumen in die Zellen der Darmwand, von der sie in das Blut abgegeben werden.
Die „Transitzeit” des Speisebreis durch den Dünndarm dauert im Normalfall etwa 3–8 h. Unverdaute und nicht resorbierte Bestandteile gelangen in den Dickdarm.
Dort wird der überwiegende Anteil des Wassers aus den täglich etwa 8 l sezernierten Verdauungssäften rückresorbiert. Eine Störung der Rückresorption führt zu Durchfall, Wasser- und Elektrolytverlusten.
14.3 Die Rolle der Darmbakterien
Während der obere Dünndarm nur wenige Bakterien enthält (100–1000 pro Milliliter), ist die Bakteriendichte im Dickdarm mit 1012 (einer Billion) pro Milliliter sehr hoch. Die Darmbakterien spalten