Toxikologie für alle. Helmut GreimЧитать онлайн книгу.
von CYP-Enzymen, denn die Expression bestimmter CYPs steht unter der Kontrolle solcher Hormone. So sind zwischen Mann und Frau Unterschiede im Cytochrom-P450-Profil beschrieben worden.
Auch der Ernährungsstatus kann die Bioaktivierung und Entgiftung beeinflussen. Mangel an Spurenelementen (Calcium, Kupfer, Eisen, Magnesium und Zink) und Proteinen in der Nahrung führt zu einer Verminderung der CYP-Aktivitäten und damit zu einer geringeren Verstoffwechslung von Fremdstoffen. Ernährungsmängel beeinflussen auch die Kapazität der verschiedensten Schutzmechanismen (Glutathion, Antioxidanzien) sowie die Verfügbarkeit von Co-Faktoren für Phase-II-Reaktionen. Eine an ungesättigten Fettsäuren reiche Nahrung erhöht die Konzentrationen von CYPs in der Leber. Hungerzustände erniedrigen Enzymaktivitäten, andererseits erhöht Unterernährung die Konzentration bestimmter CYP-Enzyme. Auch Krankheiten können durch direkte Veränderung der Enzymaktivitäten infolge von Leberschäden, Mangel an Co-Faktoren und Veränderungen der Darmflora die Metabolisierung von Fremdstoffen beeinflussen.
13.16 Genetisch bedingte Unterschiede der Enzymaktivitäten (Polymorphismen)
Individuelle Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber toxischen Stoffen haben schon die Griechen beim Favismus beschrieben. Nach dem Genuss von Favabohnen (auch Saubohnen, Puffbohnen, Pferdebohnen oder dicke Bohnen genannt) kommt es zu Schädigungen der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Die Ursache ist ein Mangel des Enzyms Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, das den durch die Inhaltsstoffe der Favabohnen (Divicin und Isouramil) ausgelösten oxidativen Stress in den Erythrozyten verhindert. Ist die Kapazität dieses Mechanismus unzureichend, führt der oxidative Stress zur Bildung von Methämoglobin, zu oxidativen Veränderungen von Proteinen, Schäden an den Zellmembranen bis hin zum lebensbedrohlichen Zerfall der Erythrozyten (Hämolyse). Über denselben Mechanismus führen verschiedene Antimalariamittel (Primaquin, Pamaquin, Pentaquin und Chloroquin), Sulfonamide, Nitrofurane, Paracetamol, Naphthalin, einige Vitamin-K-Derivate, Acetylsalicylsäure und Probenecid bei hoher Dosis zu hämolytischen Symptomen.
Der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel ist geschlechtsabhängig, wird von der gesunden Mutter mit dem männlichen X-Chromosom auf den Sohn oder Tochter, die selbst ein gesunder Träger des Enzymmangels bleibt, übertragen. Von dieser Erkrankung sind weltweit 100 Millionen Menschen betroffen, und es sind über 400 genetische Variationen bekannt.
Menschen haben einen doppelten Chromosomensatz, sodass jeder Mensch in seinen diploiden Zellen auf den beiden Chromosomen entweder zwei unterschiedliche (heterozygote) Abschnitte (Allele) eines Gens oder zwei gleiche (homozygote) Allele des betreffenden Gens besitzt (siehe Abb. 6.1). In der Regel dominiert im heterozygoten Zustand ein Allel über das andere. Das Allel, das die Ausprägung des Merkmals im Phänotyp (das vom Gen gebildete Enzym) bestimmt, wird dominant genannt, das andere als rezessiv bezeichnet.
Von einem genetischen Polymorphismus spricht man, wenn ein abweichender Phänotyp in mindestens 1% der Bevölkerung vorkommt. Liegt die Häufigkeit unter diesem willkürlich festgesetzten Wert, gilt der betreffende Phänotyp als „seltene Variante“.
Im Prinzip können alle biologischen Funktionen einem genetischen Polymorphismus unterworfen sein. Gesundheitliche Relevanz haben zumindest bisher nur Polymorphismen von Enzymen, die am Metabolismus einiger Fremdstoffe beteiligt sind, d. h. Phase-I- und Phase-II-Enzyme oder Enzyme des Metabolismus körpereigener (endogener) Substanzen.
Durch moderne Verfahren ist eine Vielzahl von Variationen von Genabschnitten nachgewiesen worden. Dass bisher nur eine geringe Anzahl von Veränderungen des Phänotyps z. B. des regulierten Enzyms bekannt ist, liegt vor allem daran, dass die Mehrzahl der Veränderungen in Regionen liegt, für die (zumindest bisher) keine Funktion identifiziert worden ist. Außerdem hat eine geringe Expression eines Enzyms bei geringer Substratkonzentration so lange keine Relevanz, solange das Enzym nicht gesättigt, d. h. voll ausgelastet ist.
13.17 CYP-Polymorphismen
Die genetische Variabilität CYP-vermittelter Reaktionen wurde zuerst bei einem Laboranten festgestellt, bei dem es nach Einnahme einer therapeutischen Dosis Debrisoquin zu einem Blutdruckabfall gekommen war. Dies wurde zunächst mit einem Acetylierungsdefizit erklärt, konnte dann aber auf einen CYP2D6-Mangel zurückgeführt werden. Die daraufhin veranlassten Untersuchungen zeigten, dass 5–10% der Patienten das Arzneimittel nur sehr langsam metabolisierten und auf die Standarddosis ungewöhnlich heftig reagierten. Als Ursache wurde ein Polymorphismus der CYP-Form CYP2D6 erkannt. Es fanden sich aber auch Patienten, die Substrate des CYP2D6 wie Debrisoquin sehr schnell abbauten, sodass keine Wirkung bei der üblichen Dosierung auftrat. Bei diesen seltenen ultraschnellen Metabolisierern wurde eine vererbbare Vervielfachung des Gens festgestellt, das die Bildung des CYP-Enzyms steuert.
Eine andere CYP-Form, das CYP1A1, ist für die Aktivierung kanzerogener polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) verantwortlich. Individuen mit hoher CYP1A1-Aktivität sind daher einem größeren Krebsrisiko durch PAK z. B. im Tabakrauch ausgesetzt. Daher besteht bei Rauchern ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Bronchialkarzinoms und der CYP1A1-Aktivität.
Die Aktivitäten des CYP1A2-Enzyms, das kanzerogene aromatische Amine, wie 1-Acetylaminofluoren oder 4-Aminobiphenyl sowie die heterozyklischen Nahrungsmittelmutagene (siehe Teil C, Abschn. 26.3) aktiviert, schwanken bei den verschiedenen Individuen um das 15-fache. Träger des schnellen CYP1A2-Phänotyps, besonders solche, die gleichzeitig schnelle Acetylierer sind, haben ein hohes Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken.
13.18 Acetyltransferase (NAT)-Polymorphismen
Der Mensch besitzt zwei Formen von N-Acetyltransferasen, NAT-1 und NAT-2, die sich in ihrer Substratspezifität und in der Gewebsverteilung unterscheiden. Der klassische NAT-Polymorphismus führt zur Ausprägung des „schnellen” oder „langsamen” Acetylierer-Phänotyps. Die schnellen und langsamen Acetylierer sind unterschiedlich häufig in der Weltbevölkerung vertreten. Der höchste Anteil schneller Acetylierer findet sich in Japan, der niedrigste im nördlichen Afrika. In Deutschland gehören annähernd 50% zu den schnellen Acetylierern.
Der NAT-2-Polymorphismus wurde zunächst bei der Tuberkulosetherapie mit Isoniazid erkannt, welches durch Acetylierung inaktiviert wird. Während bei schnellen Acetylierern die therapeutische Wirksamkeit vermindert war, kam es bei langsamen Acetylierern zur Wirkungsverstärkung und starken Nebenwirkungen wie Polyneuropathien. Nachdem als Ursache ein Polymorphismus der Acetylierung erkannt war, wird der Phänotyp anhand der Metabolisierung von Sulfamethazin bestimmt und die Dosierung entsprechend angepasst.
Der NAT-2-Polymorphismus ist relevant für das Auftreten von Dick- und Enddarmkrebs und von Blasenkrebs nach Exposition gegenüber aromatischen Aminen, die wie 4-Aminobiphenyl im Tabakrauch enthalten sind und in der Gummi-, Textiloder Farbenindustrie verwendet werden.
Schnelle Acetylierer haben ein erhöhtes Risiko, an Krebs des Dick- und Enddarms zu erkranken. Vermutlich sind dafür heterozyklische Arylamine, die als Pyrolyseprodukte in Nahrungsmitteln vorkommen, verantwortlich. Metaboliten dieser Substanzen werden durch die NAT-2 der Darmzellen in ihre kanzerogenen Metaboliten umgewandelt, sodass schnelle Acetylierer gefährdeter sind als langsame.
Im Gegensatz dazu haben langsame Acetylierer ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Blasenkrebs bei beruflicher Exposition mit aromatischen Aminen wie Benzidin.
Insgesamt unterscheidet sich die Empfindlichkeit von schnellen und langsamen Acetylierern gegenüber toxischen Chemikalien nicht so stark, wie es von dem ausgeprägten NAT-2-Polymorphismus zu erwarten wäre. In erster Linie beruht dies darauf, dass die potenziell toxischen Substrate der NAT-2 auch von NAT-1 sowie von Cytochrom P450 (CYP1A2) metabolisiert werden und damit alternative Möglichkeiten der Metabolisierung bestehen.