Mann meiner Träume. Nicole KnoblauchЧитать онлайн книгу.
„Ich bin gespannt, ob er noch eine wichtige Rolle spielt. Vorausgesetzt, deine Träume gehen weiter.“
12. November (August 1794)
Sie gingen weiter. Am nächsten Abend wartete Marie schon aufgeregt darauf, dass Anna nach Hause kam.
„Du wolltest mehr über Tristan Berière erfahren!“, begrüßte sie ihre Cousine. „Setz dich und lies das!“
„Marie, jetzt lass mich erst einmal ankommen.“ Anna hängte ihre Jacke auf und betrat das Wohnzimmer. „Was ist los?“
„Lies!“
Festungshaft
Die Luft roch nach Fisch und Meer. Kein Strand diesmal, sondern eine Stadt. In einiger Entfernung hörte ich Stimmen, die auf viele Menschen schließen ließen. Ein kurzer Blick an mir hinab bestätigte, dass es sich wieder um einen meiner Träume handelte. Ich trug Kleidung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und befand mich in einer schmalen und nichtssagenden Gasse. Die hätte überall sein können. Kurz entschlossen setzte, ich mich in Bewegung und trat auf eine breite Uferstraße hinaus.
In einigen Metern Entfernung sah ich das Meer glitzern und dachte sofort an Nizza. Da müsste Napoleone stationiert sein. Suchend blickte ich mich um und blieb an einer großen Festungsanlage hängen. Das war nicht Nizza. Diese in verschiedene Richtungen spitz zulaufenden hohen Mauern kannte ich von Fotos: Fort Carré in Antibes. Aus der Luft betrachtet, bildeten die Mauern einen vierzackigen Stern. Wenn mir doch nur einfallen würde ...
„Bürgerin Seurant, mal wieder auf der Suche nach Eurem 'Bruder'?“ Hörte ich da ein Hauch Ironie? Lächelnd stand Tristan Berière vor mir.
„Ja, das scheint mein Los zu sein, wenn ich Euch begegne, nicht wahr?“ Zu meiner Überraschung freute ich mich, ihn zu sehen - das ersparte mir eine Menge Sucherei.
„Zu Euren Diensten.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich fürchte nur, es wird nicht ganz einfach sein, Euch zu ihm zu bringen.“
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
„Buonaparte steht unter Arrest.“
„Unter Arrest?“ Dann lag ich richtig mit Antibes und das Datum wusste ich auch. Napoleone war vom 10. - 20. August inhaftiert. Völlig zu Unrecht.
„Ja. Nach dem Sturz Robespierres wurde jeder, der mit ihm in Verbindung stand, festgesetzt.“
„Er kannte Robespierre doch gar nicht! Soweit ich weiß, hatte er zu seinem jüngeren Bruder Kontakt – und das nur flüchtig.“
„Ja, aber“, Berière brach ab und musterte mich eindringlich.
„Aber?“, fragte ich unschuldig.
Er schüttelte den Kopf. „Es sind schlimme Zeiten. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Aber das wisst Ihr ja. Möchtet Ihr ihn besuchen? Ich werde sehen, was ich machen kann.“
„Geht das?“, fragte ich überrascht.
„Ja. Wenn man die richtigen Leute kennt.“ Er grinste breit. „Ich könnte Euch eine Stunde verschaffen.“
„Danke.“ Es wurde wirklich Zeit, dass ich herausfand, was dieser Mann in meinen Träumen machte.
„Wartet hier“, sagte er und verschwand. Es dauerte wenige Sekunden, bis er wieder auftauchte.
An seinem Gesicht erkannte ich sofort, dass er Erfolg gehabt hatte. „Gute Nachrichten. Ich konnte zwei Stunden aushandeln. Dass heute Buonapartes Geburtstag ist, hat geholfen.“ Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Damit hatte ich ein konkretes Datum: der 15. August 1794.
„Ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll, Bürger Berière.“ Dieser Mann wurde von Sekunde zu Sekunde interessanter.
„Oh, wartet mit Eurer Dankbarkeit, bis Ihr alles gehört habt. Ich musste die Wachen bestechen und Euch als ein“, sein Blick glitt verlegen zu Boden, „sagen wir mal Geburtstagsgeschenk an Buonaparte ausgegeben - von seinen Freunden.“ Sein Blick flackerte zu mir.
Ich brauchte einen Moment, bis mir die volle Tragweite seiner Worte bewusst wurde. „Oh“, hauchte ich, „soll das heißen, man denkt, ich sei eine ...“
Es entstand eine peinliche Pause.
„Das soll es heißen.“ Er räusperte sich. „Das war der einzige Weg, Euch Zugang zu verschaffen.“ Eine leichte Röte zog sich seinen Hals hinauf und er lächelte verlegen.
„Das ist kein Problem. Wichtig ist, dass ich ihn treffen kann.“
Wortlos gingen wir zur Festung. Auch hier waren die Straßen schmal. Das milde Klima und die Palmen überall, ließen mich direkt an Urlaub denken. Die Besiedlung ließ nach, je näher wir der Festung kamen und die Straße stieg langsam aber stetig an. Den Blick auf das Meer gewandt, blieb ich stehen.
„Das ist wunderschön!“
Ein Lächeln huschte über Tristan Berières Züge. „Ja. Man könnte glatt vergessen, in welch gefährlichen Zeiten wir uns befinden.“ Seine Züge verfinsterten sich. „Ihr seid Euch darüber im Klaren, wie man Euch jetzt gleich behandeln wird?“
War ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie Soldaten dieser Zeit Huren behandelten. Aber mit ein paar dummen Sprüchen würde ich fertig werden. „Nicht ganz. So schlimm wird es schon nicht werden.“
Seine Miene blieb ausdruckslos. „Haltet Euch an mich. Und verzeiht mir bitte jedes Wort, das ich gleich sagen werde – und jede Tat.“ Er betrachtete mich. „Öffnet Euer Haar.“
Ich zog die Nadeln, die es hielten, heraus.
„Schütteln.“
Ich tat, was er sagte. Sein kritischer Blick tastete meinen Körper ab. „Schiebt das Kleid über die Schultern hinunter und öffnet das Mieder oben etwas.“ Zufrieden nickend kam er auf mich zu. „Das wird gehen. Kommt.“ Er legte seinen Arm fest um meine Taille, nur um ihn im nächsten Moment zurückzuziehen – und ich war ihm unendlich dankbar dafür.
Leicht taumelnd fuhr meine Hand an die Stelle, auf der eben noch seine Finger gelegen hatten. Die Welt war für einen kurzen Moment aus den Fugen geraten, – nur um einen Augenblick später, an genau den richtigen Platz zu rücken. Nicht, dass sie vorher falsch gewesen wäre. Aber durch die Berührung wurde sie richtig. Ein Blick in seine Richtung zeigte ihn ebenso verwirrt, wie mich.
Fassungslos starrte er auf seinen Arm und schüttelte den Kopf. „Was zur Hölle ...“ Seine Augen suchten meine und er lächelte unsicher. „Lasst es mich nochmal versuchen.“
Behutsam legte er den Arm erneut um meine Taille. Diesmal war es nicht wie ein Paukenschlag, sondern ein leichtes Knistern.
„Ihr spürt das auch, oder?“
Ich nickte, da ich nicht wusste, ob mir meine Stimme gehorchen würde.
„Gut! Legt Euren Arm um meine Schulter“, befahl er in geschäftsmäßigem Tonfall. „Und lächeln.“
Dort, wo er mich berührte, kribbelte meine Haut. Ihn schien das wenig zu beeindrucken. Er hatte ein anzügliches Grinsen aufgesetzt und rief viel zu laut: „Ich bringe das Geschenk für den Bürger General Buonaparte!“
Der Soldat, der uns entgegenkam, ließ mich den vorherigen Gedanken zurücknehmen: Das war ein anzügliches Grinsen. Berière schien mein Unbehagen zu spüren, denn sein Griff wurde ein wenig fester. Das angenehme Gefühl seiner Berührung beruhigte meine Nerven ein wenig.
„Oh, da habt Ihr Euch aber ins Zeug gelegt. Die würde ich gerne durchvögeln.“ Feixend wandte sich der Wachsoldat mir zu. „Wenn du mit dem da drinnen fertig bist, kannst du bei mir weitermachen.“ Eine Hand schob sich in mein Dekolleté und begann grob, meine Brüste zu begrapschen.