#3 MondZauber: VERBANNUNG. Mari MärzЧитать онлайн книгу.
Familie Hertzberg den Teller ab?«, imitierte nun Miriam die Stimme ihrer geschiedenen Schwiegermutter und erzählte unter Lachen von dem Tag bei Regina, als sie und Lyra zum Holzhacken dort gewesen waren.
»Das hat aber nicht Regina gesagt, sondern du, Mama«, korrigierte Lyra. Plötzlich wurde es still in der Küche und Miriam setzte zu einer Erklärung an, als Lyra sie unterbrach. »Schon gut, Mama. Ich glaube, verstanden zu haben, weshalb du das alles tun musstest. Umso weniger kapiere ich, weshalb wir heute Abend in die Kirche müssen.«
»Um etwas herauszufinden«, sagte nun Miranda mit ernster Miene. »Kannst du dich an Jenny und ihr Medaillon erinnern?«
Natürlich erinnerte sich Lyra an die Schulschlampe und den Abend des Abschlussballs. Jenny wollte Ian nicht reinlassen. »Ich habe mir die Hand an diesem blöden Medaillon verbrannt«, sagte sie nachdenklich.
»Warum, was meinst du?«, fragte jetzt ihre Mutter.
»Keine Ahnung«, erwiderte Lyra, doch dann dachte sie an Jennys Worte. Sie hatte den anderen Mädchen erzählt, dass ihre Mutter und auch ihre Großmutter sie vor Lyra gewarnt hatten. Jennys Familie wäre seit Generationen auf der Hexenjagd, irgendeiner ihrer Vorfahren hätte ... Erschrocken schaute Lyra zu ihrer Mutter, dann zu Miranda. »Ist das tatsächlich wahr?«
Beide Frauen nickten. »Alle Hexenjäger werden heute wohl in der Kirche sein, wie es sich für fromme Gläubige gehört«, begann Miranda mit einem Blick zu Ian. »Nichts für ungut, Schätzchen.«
Dieser schüttelte energisch den Kopf. »Schon okay, ich bin weit weniger konservativ als mein Vater und die meisten Mitglieder des Clans.«
»Umso besser«, mischte sich Lyras Mutter ins Gespräch. »Dann wirst du es verkraften können, falls die Aktion heute Abend in der Kirche eskaliert.«
»Was hast du mit meiner Mutter gemacht?«, wiederholte Lyra die Frage vom gestrigen Abend. Ein weiteres Mal überraschte Miriam sie mit dieser völlig neuen Art. Ihre Mutter lachte schallend und räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine. »Ich bin so froh, endlich ich sein zu dürfen.«
Miranda nickte zufrieden und zwinkerte ihrer Schwester zu. »Das wurde aber auch Zeit. Ich hatte schon Angst, du würdest in den achtzehn Jahren komplett vertrocknen wie deine Schwiegermutter.«
Lyra grinste und dann fiel ihr plötzlich ein, was Jenny während ihrer Hetzrede noch gesagt hatte. »Dieses Medaillon ist ein Hexenfinder, deshalb habe ich mir die Finger daran verbrannt.«
»Genau. Glückwunsch, Kätzchen! Dafür gibt es eine glatte Eins.« Miranda half ihrer Schwester beim Abräumen und erzählte derweil vom sogenannten Hexenhammer: »Malleus maleficarum wurde Ende des 15. Jahrhunderts von einem gewissen Heinrich Kramer verfasst, der sich auch Henricus Institoris nannte. Das Buch wurde zu einem verfickten Bestseller, mit dem die Hexenverfolgung legitimiert werden sollte. Im Grunde ist es eine krude Ansammlung kleingeistiger Vorurteile, aber trotzdem äußerst gefährlich, damals wie heute, denn es enthält eine strukturierte Anleitung und eindeutige Regeln zur Vernichtung unserer Art.«
Lyra hörte aufmerksam zu und spürte, wie ihre Wut verblasste und ihre persönlichen Probleme um Ian mal wieder zu einer Nebensache schrumpften. Hier stand weit mehr auf dem Spiel als ihre Gefühle, noch dazu verspürte sie mit einem Mal große Lust, der Schulschlampe auf den sprichwörtlichen Zahn zu fühlen. Jenny hatte damals auf dem Abiball vor ihren blöden Freundinnen damit geprahlt, dass angeblich ihr Ururururgroßvater genau dieser Heinrich Kramer gewesen sei, der den Hexenhammer verfasste und das Amt des Inquisitors innehatte. Lyra wollte sich gar nicht vorstellen, wie viele unschuldige Frauen dank dieser Sippe und sonstiger Kleingeister auf dem Scheiterhaufen verbrannt und anderweitig gequält worden waren. Entschlossen erhob sie sich, reichte Miriam ihr schmutziges Geschirr und sagte dann an Ian gewandt: »Dann lass uns shoppen fahren! Wenn wir diesen Wichsern gegenübertreten, will ich heiß aussehen, wie es sich für eine Hexe gehört.«
Glaube & Zeichen
Der Shoppingtrip hatte Spaß gemacht. Lyra fühlte sich gut, stark und sexy in ihrem neuen Outfit. Sie genoss die Vibration der Vorfreude und zudem die anerkennenden Blicke des Wolfes. Ähnlich wie sie am Morgen hatte Ian wenig später mit offenem Mund vor der Umkleidekabine gestanden, als sie im dunkelroten Lederdress auf ihn zugegangen war. Die neuen Stiefel hielten nicht gerade warm und waren auch alles andere als praktisch, doch sie verfügten über verboten hohe Absätze, mit denen Lyra der Schulschlampe an diesem Weihnachtsabend gehörig in den Hintern treten wollte. Jedenfalls hoffte sie, dass Jenny in der Kirche war, die sie gerade betraten.
Im Haus der Wölfe wollten sie später nach dem Rechten sehen, jetzt galt es, den Hexenjägern auf die Spur zu kommen. Lyra hatte sich vorgenommen, Jenny das Medaillon abzuluchsen.
Abzuluchsen! Ein Kichern kämpfte sich ihre Kehle empor, aber im Grunde war ihr nicht nach Lachen zumute. Ihrer Mutter ebenfalls nicht, deren Unsicherheit Lyra spürte. Selbst Miranda wirkte weit weniger gelassen als sonst, nur Ian war die Ruhe selbst, als sie zu viert an den nahezu vollbesetzten Kirchenbänken Richtung Altar liefen. Vom Pfarrer war nichts zu sehen. Lyra hatte ihn als einen klugen und weltoffenen Theologen in Erinnerung, aber auch als Hardliner. Während der Konfirmationsstunden hatte sie sich ein Rededuell mit ihm geliefert, in dem es um den Begriff der Jungfräulichkeit ging. Sie hatte argumentiert, dass es im Zeitalter der Gleichberechtigung dann auch Jungmännlichkeit heißen musste, wenngleich sie es für völlig überholt hielt, Sex erst in der Ehe haben zu dürfen. Der Pfarrer war nicht gerade begeistert gewesen, hatte sie jedoch dazu ermuntert, weiter so frei zu denken und zu diskutieren. Zum Leidwesen ihrer Großmutter Regina, die sie gerade von der ersten Kirchenbank kalkbleich anstarrte, als wäre Lyra ein Geist. Sie schenkte der alten Dame beim Gedanken an die Psychiatrie und die Drohungen ein kaltes Lächeln und spürte dankbar Ians warme Hand, die ihre hielt. Er war ein Wolf und Lyra eine Katze, und doch verstanden sie sich, als wären ihre Schicksale so dicht miteinander verbunden, dass ihre tierische Gestalt lediglich eine Nebensächlichkeit darstellte.
Schön wär’s, dachte Lyra traurig und blickte hinter sich zu ihrer Mutter und Miranda. Die beiden hatten sich ebenfalls in die sprichwörtliche Schale geworfen, um das Hexenklischee zu bedienen und ihre Widersacher zu provozieren. Mit ihrem Auftritt wollten sie all jene aus der Reserve locken, die eine Gefahr für ihre Art darstellten.
Lyra scannte die Menge mit ihren tierischen Sinnen, lauschte den Gesprächen und musste sich letztlich nicht besonders viel Mühe geben, denn Jenny und ihre Sippe strömten wie die Motten zum Licht.
»Was wollt ihr hier?«, hörte Lyra ihre hysterische Stimme und drehte sich abermals um. Jenny war auffällig bieder gekleidet, das blonde Haar streng nach hinten gebunden. Sie hatte sich verändert. Aus dem hübschen und billigen Mädchen war eine verbitterte junge Frau geworden, die schon genauso prüde und vertrocknet wirkte wie Regina.
Noch vor einem Jahr hatte Lyra geglaubt, dass Jenny sie schlichtweg nicht leiden konnte. Doch jetzt wusste sie es besser. Jenny gehörte zu dieser kleingeistigen Bande, die seit über fünfhundert Jahren Hexen jagte. Und auch wenn es im 21. Jahrhundert keine offiziellen Scheiterhaufen mehr gab und Feuer den Hexen des Ostens sowieso nicht viel anhaben konnte, musste es Mittel und Wege geben, sonst wären Miriam und Miranda nicht so verdammt nervös.
Und Jenny war es nicht minder, dennoch wirkte die ehemalige Schulschlampe noch viel entschlossener, als Lyra sie all die Jahre auf dem Gymnasium erlebt hatte. Die Finger ihrer linken Hand umfassten das Medaillon an ihrem Hals, der Zeigefinger ihrer rechten Hand schnellte nach vorn. »Ihr habt hier nichts zu suchen!«
»Sagt wer?« Lyra ging ein paar Schritte auf sie zu. Die Absätze ihrer Stiefel klackerten auf dem kahlen Steinboden der Kirche. Plötzlich war es um sie herum mucksmäuschenstill. »Willst du dir etwa schon wieder anmaßen, wer dieser Party hier beiwohnen darf und wer nicht?«, rief Lyra bewusst laut und abfällig. »Dies ist das Haus Gottes, der alle Menschen liebt. Also was bitteschön hast du hier zu melden? Bist du seine Sekretärin?«
»Aber ihr seid keine Menschen!«, hallte