#3 MondZauber: VERBANNUNG. Mari MärzЧитать онлайн книгу.
Mit ihrer Zahnbürste stürmte sie ins Bad und knallte die Tür zu. Bei all der Veränderung war doch eines gleich geblieben: In diesem Haus fühlte sie sich bevormundet, was auch immer das Schicksal für sie bereithielt, hier würde sie wohl immer ein kleines Mädchen bleiben.
Als Lyra die Dusche anstellte, steckte Miranda ihren roten Lockenschopf ins Badezimmer. »Na, Kätzchen, mit der falschen Pfote aufgestanden?«
»Ach, leck mich!«, rief Lyra, trat unter den eiskalten Wasserstrahl und hoffte, so ihr erhitztes Gemüt herunterkühlen zu können. Miranda ließ sich von ihrem Wutausbruch keineswegs beirren. Sie drehte ihre Locken zu einem Zopf, zog ihr Höschen nach unten und setzte sich auf das Toilettenbecken. Als sie fertig war, schlüpfte sie aus ihrem Nachthemdchen und folgte Lyra unter die Dusche.
»Sag mal, bist du irre?« Kopfschüttelnd drehte Miranda den Hahn in den roten Bereich und seufzte, als das Wasser wärmer wurde. »Ich verstehe ja, dass dich dieser irische Wolf da unten in Wallung bringt, aber das ist noch längst kein Grund, deinen Körper tiefzukühlen.«
Tränen schossen in Lyras Augen. All der Frust, der sich in Venedig aufgestaut hatte, brach jetzt aus ihr heraus. Schluchzend seifte sie sich ein, sagte aber kein Wort.
»Kätzchen, es gibt so viele heiße Kerle. Warum ausgerechnet er?«
Weinend klammerte sich Lyra an ihre Tante. »Ich kann doch nichts dafür. Meinst du, ich mache das mit Absicht?«
Miranda griff zur Shampoo-Flasche und wusch ihrer Nichte die Haare. »Nein, Kätzchen. Und ich weiß, es ist schwer für dich, aber ...«
»Was stimmt denn nicht mit mir? Warum kann ich denn bei all dem Scheiß nicht auch ein bisschen Glück haben?« Lyras Tränen mischten sich mit dem Wasser, das sie fortspülte. »In Venedig habe ich versucht, ihn zu vergessen«, schluchzte sie und schniefte.
»Ich weiß, Kätzchen. Das war auch der Grund, warum ich Daris gebeten habe ...«
»Ja, Scheiße! Das ist auch so ein Mist, den du dir zukünftig stecken kannst. Ich bin erwachsen, ich soll die verfickte Welt retten, also werde ich auch allein entscheiden, wen ich in mein Herz oder mein Bett lasse. Kapiert?«
Als Lyra nichts von ihrer Tante hörte, drehte sie sich um und schaute ihr wütend ins Gesicht. »Hast du das verstanden, Miranda?«
Ihre Tante nickte und stieg hektisch aus der Dusche. »Kätzchen, deine Augen sind gelb. Du wirst mich jetzt nicht fressen, oder?«
»Ach, leck mich!«, fluchte Lyra ein weiteres Mal und drehte das Wasser wieder kalt. Sie hörte, wie Miranda sich die Zähne putzte und das Bad verließ. Erst dann drehte sie den Hahn zu und trocknete sich ab.
Nachdem sie geschlagene fünf Minuten ihre Zähne geschrubbt hatte, stampfte Lyra immer noch wütend zurück in ihr Zimmer. Dort zog sie sich Unterwäsche, Socken und ihre Jeans über und wühlte in ihrem Kleiderschrank auf der Suche nach einem dicken Pullover. Sie war im Juli von hier fortgelaufen, den Herbst über in Venedig gewesen und hatte keine warmen Klamotten außer jene von früher, die auch Emily mittlerweile zu groß waren.
Passend zu ihrer Stimmung entschied sich Lyra für eines ihrer pechschwarzen Langarmshirts und einen Cupcake-Hoodie in der gleichen Farbe mit Voodoo Chu Pikachu auf der Vorderseite. Beides schlabberte, weshalb sie das Shirt in die enge Jeans steckte und die Ärmel des Hoodies bis zu den Ellenbogen hochschob. Die noch feuchten Haare band sie zu einem Knoten und blieb dann unschlüssig vor dem Standspiegel stehen. Wenn sie später mit Ian ins Haus der Wölfe ging, könnten ein wenig Parfüm und Mascara nicht schaden, oder?
Seufzend holte sie ihre Kosmetiktasche hervor und schminkte sich die Wimpern. Hoffnung war doch alles, was ihr blieb.
Hexenhammer
»Kind, wie siehst du denn aus?«
Stöhnend zog Lyra die Stirn in Falten. Miriams Frage erinnerte sie an Regina. Zudem war das genau der Satz, den Töchter von ihren Müttern hören wollten – noch dazu, wenn der Mann ihrer einsamen Träume danebenstand.
»Ich habe keine warmen Klamotten, die mir passen«, entgegnete sie mürrisch und ließ sich auf einen der Hocker am Küchentresen fallen, auf dem ein reichhaltiges Frühstück wartete. Hungrig schaute Lyra auf Pancakes, Rührei, Müsli und frisch geschnittenes Obst.
»Das hat alles Ian gemacht. Toll, oder? Ein richtiger Bilderbuchmann«, gab Miriam zum Besten. Lyra hätte ihre Mutter für diesen Kommentar erwürgen können, doch ihr Herz wurde plötzlich weich, als sie zu Ian schaute, der ihr gegenübersaß und gerade drei Pancakes auf einen Teller legte und diese mit frischen Blaubeeren und Sahne drapierte. Während er Lyra den Teller zuschob, als hätte er das schon hundert Mal getan, sagte er mit ruhiger Stimme: »Auf dem Weg zum Haus der Wölfe fahren wir an einer Shoppingmall vorbei und kaufen dir was zum Anziehen.«
»Da müsst ihr nach Berlin rein, hier auf dem Land gibt es so etwas nicht«, kommentierte Miranda und biss herzhaft in ein Brötchen, das sie fingerdick mit Marmelade bestrichen hatte.
»Dann machen wir das. So kannst du jedenfalls unmöglich heute Abend in die Kirche gehen.«
Fragend schaute Lyra von Ian zu Miranda, dann zu ihrer Mutter. »Wir gehen zur Weihnachtsmesse?«
Das imaginäre Fragezeichen über Lyras Kopf wurde größer.
»Wie brave Bürger das nun mal tun, Kätzchen. Ian hat sich damit abgefunden, dass hier im protestantischen Osten keine katholische Messe gesungen wird. Der liebe Gott wird es ihm nachsehen«, schnatterte Miranda und bestrich sich ein weiteres Brötchen mit Marmelade.
»Seid ihr jetzt eigentlich alle bescheuert? Wir waren an Weihnachten doch immer nur wegen Regina in der Kirche.«
»Eben!«, flüsterte Miriam.
»Wie? Und da habt ihr gestern Nacht ohne mich beschlossen, dass wir heute mal hübsch zur Weihnachtsmesse gehen, als stünde die Welt nicht kurz vor dem Untergang? Haben wir nichts Besseres zu tun?«, rief Lyra, stopfte sich hastig den letzten Pancake in den Mund und sprang auf. »Habe ich hier eigentlich auch was zu sagen oder zählt meine Meinung etwa nicht?«
»Doch, Kätzchen. Ich würde gern wissen, ob du noch mehr Pancakes willst oder lieber Rührei«, brummte Ian und schenkte ihr ein zögerliches Lächeln.
»Ach, leckt mich doch alle gemeinsam!« Lyra rutschte vom Hocker und riss die Kühlschranktür auf. Sie fand, wonach sie suchte, und knallte sich eine rohe Scheibe Rindfleisch auf den Teller. Ein Teil von ihr sehnte sich nach ihrem tierischen Ich, weshalb Lyra auf jegliche Etikette verzichtete und ihre Zähne genussvoll in das blutige Fleisch rammte.
»Katzen mögen ihr Essen eigentlich nicht kalt«, kommentierte Miranda, die ihre Nichte grinsend dabei beobachtete, wie diese gierig das Fleisch verschlang. »Aber dein hitziges Temperament wird dir den Bauch schon wärmen.«
»Sie kann sich wohl schlecht mitten am Tag verwandeln und im Briesetal nach Bibern jagen«, fügte Miriam hinzu. »Wenn Regina dich so sehen könnte, mein Schatz. Sie würde direkt in Ohnmacht fallen und nach einem Cognac fragen.«
Der Trotz in Lyra verschwand, als sie sich vorstellte, wie ihre versnobte Großmutter jetzt wohl reagieren würde. Sie dachte an jenen Tag vor knapp einem Jahr, als sie mit kahlrasiertem Schädel vor Regina stand, und imitierte die tadelnde Stimme ihrer Großmutter: »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Deine fürchterlichen Outfits sind schon eine Schande für die Familie, aber das setzt nun allem die Krone auf. Was glaubst du kleiner Bastard eigentlich, was du uns noch alles antun kannst? Bei allem, was wir für dich und deine Mutter getan haben. Wir sind Stadtgespräch. Unser guter Ruf ist für alle Zeit ruiniert. Ich … ich brauche einen Cognac. Miriam, hol mir sofort einen Cognac!«
Ein kollektives Lachen hallte durch die Küche, in das auch Ian einstimmte, obwohl er Regina nie getroffen hatte.
»Mit ein bisschen Glück wirst du diese Furie heute Abend kennenlernen«,