Die Colonie. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
fast ängstlich jedem nur möglichen Danke entzog, hatte aber doch etwas so Eigenthümliches, daß sie, frappirt davon, auf der Schwelle des Gartens stehen blieb und sich erst in das Haus zurückzog, als ihr Bruder, eben nicht in der besten Laune, zurückkam. Außerdem läutete auch in diesem Augenblicke die Glocke oben, welche zum Mittagessen rief, und sie durfte keine Zeit versäumen, wenn sie noch ihr Reitkleid ablegen und überhaupt ein wenig Toilette machen wollte.
In dem Wohnzimmer der Frau Gräfin Baulen hatten /44/ sich indessen schon vor der Ankunft der Wirthin zwei auf heute geladene Gäste eingefunden.
Der Eine von ihnen war der nämliche Herr, welcher Könnern und dem Director auf ihrem Wege durch die Stadt begegnete: der ausgewanderte Baron Jeorgy, den eine unglückliche romantische Ader zu seinem jetzigen sehr großen Bedauern nach Brasilien getrieben. Er hatte eine nicht unbedeutende Summe Geldes mit herübergebracht und es in sechs Jahren möglich gemacht, den größten Theil seines Capitals nicht gerade durchzubringen, aber doch auszugeben, was sich im Resultat allerdings vollkommen gleich blieb.
Der Andere war ein junger, erst kürzlich herübergekommener Künstler, Namens Vollrath, der einen Empfehlungsbrief an den Baron mitgebracht hatte und dadurch auch bei der Frau Gräfin eingeführt war. Er spielte mit der Comtesse manchmal Clavier, aber die Frau Gräfin sah seinen Besuch nicht gern. Er erwies nämlich Helenen mehr Aufmerksamkeit, als ihrer Mutter lieb schien, und war außerdem blutarm - aber so lange er sich in seinen Schranken hielt, konnte man ihn eben nicht zurückweisen. Die Frau Gräfin hatte indessen schon ernsthaft mit ihrer Tochter über ihn gesprochen.
Die Gräfin selber schien ihre Toilette schon vor dem Ausgange gemacht zu haben; Oskar, obgleich eben von dem scharfen und staubigen Ritte zurückgekehrt, hielt es nicht der Mühe werth, des Barons wegen die Wäsche zu wechseln - und der Andere war ja nur ein Clavierspieler.
Comtesse Helene dachte nicht so. Von dem wilden Ritte war ihr reiches, schweres Haar gelöst und in Unordnung gerathen; ihren Anzug mußte sie ebenfalls wechseln, und da ihr dazu keine Kammerjungfer zu Gebote stand, bedurfte sie einer länger als gewöhnlichen Zeit, um sich der Gesellschaft, so klein diese auch immer sein mochte, zu zeigen. Oskar, überhaupt heute nicht in der besten Laune, war entsetzlich ungeduldig geworden und hatte den Klöppel der Klingel schon fast ausgeschlenkert, um die, wie er glaubte, saumselige Schwester dadurch etwas rascher herbeizurufen.
Während Graf Oskar so im Zimmer herumlief und seinem Aerger durch verschiedene Ungezogenheiten Luft machte, /45/ die Gräfin mit dem Baron Jeorgy an einem der Fenster stand, das eine freundliche Aussicht über die Stadt gewährte, und ein Beider Interessen sehr lebhaft in Anspruch nehmendes Gespräch führte, hatte sich Vollrath an das Instrument gesetzt und intonirte leise einige Lieblingsmelodien Helenens, theils im einfachen getragenen Thema, theils in geschickt und künstlerisch durchgeführten Variationen.
„Es ist ein trauriges Land," sagte endlich der Baron mit einem tiefen Seufzer, indem er, ohne die Melodie selber zu beachten, den Tact dazu unbewußt auf dem Fenster trommelte - „ein sehr trauriges Land, dieses ausgeschrieene Brasilien, und ich fürchte fast, daß uns ein böser Stern an diese Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, gar kein rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich begreife wenigstens nicht recht, wie man in Europa je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß auftreten könnte."
„Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron," bemerkte die in dieser Hinsicht viel resolutere Gräfin. „Ich fange jetzt selber an einzusehen, daß wir alle Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile mit herübergebracht haben, um das Leben hier an der richtigen Stelle anzugreifen."
„Aber, beste Frau Gräfin …"
„Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen," fuhr die Gräfin fort, ohne die Unterbrechung gelten zu lassen, „die nicht allein ihr Fortkommen auf höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch Capital auf Capital zurücklegen, und es fällt mir gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte zuzutrauen, als wir Beide auch besitzen, lieber Baron."
„Aber, beste Frau Gräfin," beharrte der Baron, „der Art Leute sind von Jugend an auf ihre Fäuste angewiesen, und Sie wollen doch nicht voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch nur annähernd leisten könnten?"
„Ich denke gar nicht daran," sagte die Gräfin mit einem vornehmen Zurückwerfen des Kopfes; „wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da eben muß der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, und wir finden es überall bestätigt, daß die erstere, die rohe Kraft meine ich, immer nur für die /46/ Speculation arbeitet, und diese eigentlich den Nutzen von jener erntet."
„Aber auch der Kaufmann braucht praktische Erfahrung," seufzte der Baron, der seine Erfahrung schon außerordentlich theuer hatte bezahlen müssen - „und wir sind Beide zu alt, die noch zu lernen."
„Bah," sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit Geringschätzung wiegend, „der Kaufmann ist nicht der einzige Speculirende, auch der Fabrikant speculirt, indem er sich weniger die Waaren als die Kräfte der Menschen selber dienstbar macht."
„Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß auch Capital dazu gehört, ja, und noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, als zu einer einfachen Speculation in Kaufmannsgütern, und wenn man das Letzte dann darauf gesetzt hätte und es schlüge fehl - was dann? - Denken Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer brasilianischen Colonie, ohne die Mittel zu leben - denken Sie sich die Möglichkeit, daß man bei diesen frechen und übermüthig gewordenen Bauern gezwungen sein sollte, ein Anlehen zu erheben; es wäre fürchterlich!"
Die Frau Gräfin schien nicht diese Angst vor einer derartigen Calamität zu theilen, deren sogenannte „Furchtbarkeit" sie außerdem schon erprobt hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron brauchte das gerade nicht zu wissen, und sie fuhr wie überlegend fort: „Dafür ist aber auch dem Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig gebraucht und anwendet, und sollten die höheren Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine größere und gediegenere Kraft in die Wagschale zu werfen, als der rohe und ungebildete Bauer es im Stande wäre?"
„Der rohe und ungebildete Bauer," erwiderte der Baron achselzuckend, „hat von dem Schöpfer eine Art von Instinct bekommen, der gerade da anfängt, wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter Benutzung desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten und unbegreiflichsten Dinge möglich." /47/
„Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron," sagte die Gräfin lächelnd, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte.
„Und habe alle Ursache dazu," seufzte der Baron.
„Sie haben durch eine Reihe von widrigen Zufälligkeiten nicht unbedeutende Verluste erlitten," fuhr die Gräfin fort, „das hat Sie kopfscheu gemacht - Oskar, ich bitte Dich um Gottes willen, laß das furchtbare Getöse mit der Glocke, ich werde wahrhaftig noch ganz nervös - verlieren Sie jetzt den Muth, so ist Alles verloren, unwiederbringlich. Bewahren Sie sich aber die Elasticität Ihres Geistes, so können Sie mit Einem Schlage alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, sondern auch verdoppeln, ja, vielleicht verdreifachen."
„Das ist's eben, was ich bezweifle," versicherte der Baron; „aber, verehrte Frau, haben Sie vielleicht einen Plan? denn Ihr ganzes Benehmen scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben - und wollen Sie mich zu Ihrem Vertrauten machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch möglicher Weise mit weiter nichts, doch vielleicht mit gutem Rathe zur Seite stehen, der oft in nur zu vielen Fällen die Stelle des Capitals vertritt."
„Ich habe allerdings einen Plan," erwiderte die Gräfin, „der aber schon so weit gediehen ist, daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß der Grundlagen. Wenn ihn deshalb noch etwas fördern kann, so ist es einzig und allein Capital. Doch davon später, lieber Baron, denn ich höre eben meine Tochter kommen, und Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, daß wir das Essen nicht länger warten lassen dürfen."
Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner eigenen Ansicht über „Oskar's Ungeduld" einen selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb nur eine stumme Verbeugung gegen die Gräfin, reichte ihr dann den Arm und führte sie, wie in seinen