Die Colonie. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
Löffel und Gabeln /48/
lagen, die im Besitze einer Gräfin recht gut für ächtes Silber angesehen werden konnten.
Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, und Vollrath hatte sein Spiel beendet und das Instrument geschlossen.
Helene war wirklich ein schönes Mädchen von nicht zu hohem, aber schlankem und üppigem Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haar, und dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen Grübchen im Kinn, und Hand und Arm vollkommen makellos. Das fest anschließende, lichtgraue Kleid von allerdings nur einfach wollenem Stoffe hob ihre Büste so viel mehr hervor, während die selbst schon hierher gedrungene Crinoline nur dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen Fußspitze gestattete, an's Tageslicht zu kommen.
„Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal gar nicht fertig geworden," empfing sie Oskar, dessen Laune dadurch nicht gebessert schien, daß Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene beachtete aber auch den Vorwurf nicht, begrüßte ziemlich förmlich den Baron, nickte Vollrath freundlich zu, und ging dann, ehe dieser mit sich einig geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle oder nicht, rasch zu ihrem Platze am Tische, an dem sie sich, mit einladender Bewegung für die Uebrigen, zuerst niederließ.
Das Diner war so einfach, wie es das Leben in einer solchen Colonie und die Arbeit einer einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, ein Braten mit zweierlei Gemüse und etwas eingekochtem Obste, und zum Dessert die vortrefflichen Orangen und Granatäpfel des Landes.
Niemand machte hier auch größere Ansprüche oder war an Weiteres gewöhnt, und das Gespräch drehte sich während der Tafel hauptsächlich um die neu erwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht über deren Ankunft schon durch die ganze Colonie verbreitet hatte. Ist es doch auch immer ein Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß von Fremden zu bekommen, von denen ein kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt und vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn bekannt wird man ja mit Allen. /49/
Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still und einsilbig und schien sich nicht einmal für Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach überhaupt nur über Pferde.
Das Diner ging so vorüber - Oskar plauderte in einem fort, ob ihm Jemand zuhörte oder nicht - der Baron und die Gräfin, in deren Gespräch sich Helene nur manchmal mischte, unterhielten sich lebendig, und nur Vollrath schwieg hartnäckig still. Ein paar Mal schien er freilich den Mund öffnen zu wollen - aber es blieb eben immer nur bei dem Versuch, und Helenen war es nicht entgangen, daß er irgend etwas aus dem Herzen trage, was ihn beenge - wußte sie, was es war? Aber so unbefangen sie sich stets gegen ihn gezeigt, so unbefangen blieb sie auch heute, und als das Diner beendet und die kleine Gesellschaft in den Garten gegangen war, legte sie ruhig und lächelnd ihren Arm in den seinen und sagte: „Kommen Sie, Herr Vollrath, wir wollen ein wenig auf- und abgehen. - Oskar ist heute unausstehlich, weil ich ihm in unserem Wettrennen vorgekommen bin, und Mama hat, wie es scheint, mit dem alten, steifen Baron eine so hochwichtige Besprechung, daß sie alles Andere, was um sie her vorgeht, zu vergessen scheinen."
Vollrath schoß das Blut in Strömen in's Gesicht, aber er verbeugte sich leicht, nahm den Arm und schritt mit der jungen Schönen den Garten entlang. Helenen aber genügte der beschränkte Raum heute nicht; war es die Aufregung des scharfen Rittes, war es der Aerger über den Bruder, kurz, sie stieß die Gartenpforte auf, die an dieser Seite gerade nach den zu einer Art von Promenade umgewandelten Büschen hinausführte, und wanderte langsam mit ihrem Begleiter den schmalen Weg entlang, der, immer in Sicht der Häuser, sich fast um die Ansiedelung schlängelte.
Oskar hatte sich in die Laube auf eine Bank gelegt und rauchte, ein Bein über das andere gelegt, seine Cigarre, und die Gräfin ging mit dem Baron wieder in eifrigem Gespräche im Garten auf und ab.
„Aber, verehrte Frau," sagte der Baron jetzt, „Sie rücken noch immer nicht mit Ihrem Projecte heraus. Sie reden /50/ nur fortwährend von glänzenden, sorgenfreien Aussichten, von Rückkehr in die Heimath, von - ich weiß selber kaum was, und den eigentlichen Kern dieser Frucht halten Sie im Dunkel. Sie glauben doch sicher nicht, daß ich einen Mißbrauch damit treiben und als Ihr Concurrent in irgend einer glücklichen Speculation auftreten könnte?"
„Mein lieber Baron - nein, das nicht," sagte die Gräfin nach einigem Zögern, „und ich habe auch den Entschluß jetzt gefaßt, Sie zu meinem Vertrauten zu machen - vielleicht werden wir doch noch Compagnons," lächelte sie dazu.
„Ich bin auf das Aeußerste gespannt," sagte der Baron.
„Sie müssen bemerkt haben," fuhr die Gräfin fort, „daß mir sowohl wie Helenen eine Beschäftigung in diesem Lande fehlt."
Des Barons Blick suchte unwillkürlich die junge Dame, die er gerade noch durch eine Lücke der Bäume mit ihrem Begleiter erkennen konnte.
„Helene besonders," fuhr die Gräfin fort, „hat mich schon lange gebeten, eine leichte Arbeit aufzufinden, mit der sie die langen Tage besser hinbringen könne, denn immer Lesen und Cla- vierspielen geht ja doch auch nicht, noch dazu in einer so prosaischen und sogenannten praktischen Umgebung, wie die ist, in der wir uns befinden."
„Ich werde immer gespannter," versicherte der Baron, und er hatte die Augenbrauen schon bis unter den Hut hinaufgezogen.
„Wenn man nun unter so praktischen Leuten fortwährend lebt," lächelte die Gräfin, „so ist es wohl ganz natürlich, daß ein klein wenig davon auch an unserer Natur hangen bleibt, und ich habe denn auch schon das ganze letzte Jahr nach der und jener Seite hinüber gehorcht, an was man im rechten Augenblicke und mit den rechten Mitteln die Hand legen könnte - ich glaube, ich habe jetzt gefunden was ich suchte."
„Sie hätten wirklich?"
„Ich habe gefunden und außerdem die genauesten Erkundigungen deshalb eingezogen," fuhr die Gräfin fort, „daß hier im Lande eine ganz enorme Quantität von Cigar-/51/ren verbraucht wird, die man sämmtlich mit einem, zu den Kosten des Rohtabaks in gar keinem Verhältnisse stehenden hohen Preise bezahlt."
„Cigarren?" fragte der Baron erstaunt.
„Nun sind gerade gegenwärtig eine Menge junger Leute hier in der Colonie - und werden mit dem Schiffe noch mehr erwartet - von denen viele, besonders alle aus Bremen stammende, Cigarren zu drehen verstehen. Hier auf diesem Zettel finden Sie außerdem den Preis guten Blättertabaks genau zusammengestellt, ebenso die Löhne für die Fabrikarbeiter, die nach dem Hundert oder Tausend bezahlt werden. Eine Cigarre nur einigermaßen guten Tabaks ist aber hier nicht unter zwanzig Reis das Stück zu bekommen, und nun berechnen Sie selber, welcher enorme Nutzen dem Fabrikherrn werden muß, wenn die Sache nur ein klein wenig in's Große getrieben wird."
„Hm," sagte der Baron, der aber doch nur einen flüchtigen und zerstreuten Blick über das Papier warf, „und mit etwas Derartigem wollten Sie sich befassen?"
„Und warum denn nicht?" sagte die Frau Gräfin, indem sie einer leichten Verlegenheit Meister zu werden suchte. „Wir müssen in der That eine Art von Beschäftigung haben, wenn wir hier nicht vor Langerweile sterben sollen, und Helene sehnt sich so danach, ja selbst Oskar, der jetzt vor lauter Muthwillen gar nicht weiß, was er für Tollheiten angeben soll."
Der Baron Jeorgy war in der That nichts weniger auf der Welt als ein praktischer Charakter, der auf einen gewissen Ueberblick Anspruch machen konnte, um wirklich Ausführbares von bloßen Chimären zu unterscheiden. Hatte er aber schon zu viele bittere Erfahrungen mit ähnlichen Projecten gehabt, oder war es ihm vollkommen unmöglich, sich die Comtesse Helene und den jungen wilden Grafen Oskar als ehrbare Cigarrenmacher zu denken, - er schüttelte ganz ernsthaft und bedenklich mit dem Kopfe und sagte:
„Aber, gnädigste Frau Gräfin, haben Sie sich denn die Sache wirklich schon recht genau überlegt, und vermuthen Sie, /52/ daß Sie einen, alle dem Aerger und der Schererei entsprechenden Nutzen daraus ziehen könnten?"
„Mein lieber Baron," erwiderte die Gräfin lebhaft, „das können Sie sich doch wohl denken, daß ich ein solches Unternehmen nicht entriren würde, wenn ich mich nicht vorher gründlich