Wilde Welt. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
er das Mädchen zurückhalten will," warf Diego ein, sich an den letzten Strahl von Hoffnung klammernd.
„Bah!" brummte der Alte. „So viel für das, was er sagt und was er nicht sagt. Hier kommt cs darauf an, was er denkt und thut, und seht ihn da vor uns, wie er den Zügel ihres Pferdes hält - wie seine Blicke gierig an ihr hängen. Dort hinten geht die Sonne unter - wenn sie wieder aufsteigt, müßte ich mich sehr irren, oder sie begrüßt Senora Osantos an der Seite ihres wilden Gatten."
„Du hast Recht, Felipe, hier ist keine Zeit mehr zu verlieren," rief Diego rasch, indem er seinem Pferde die Sporen gab.
„Was wollt Ihr thun?" mahnte der Alte dringend. „Nur keinen dummen Streich!"
„Habt keine Furcht," sagte der junge Mann, „ich weiß, in wie weit Osantos über unser Leben gebieten kann, wenn ich auch kaum glaube, daß er an das meinige Hand legen würde."
„Denkt ja nicht, daß der etwa Rücksichten nimmt," sprach der Alte. Aber Diego hörte ihn schon nicht mehr, und durch /70/ die Indianer drängend, die ihm gar nicht recht willig Raum gaben, ritt er gerade zum Häuptling hinan.
„Was begehrt Don Diego?" sagte Osantos, langsam den Kopf nach ihm wendend, während Josefa dem Heraneilenden mit dankbarem Blick begrüßte. Hatte sie doch längst ein eisiges Entsetzen durchschauert, als sie sich durch die barbarische Horde von den Freunden, wenn auch nur für Momente, getrennt sah.
„Abschied will ich von Dir nehmen, Osantos," sagte der junge Mann.
„Du willst fort?" entgegnete der Häuptling erstaunt, aber Diego konnte es nicht entgehen, daß ein triumphirendes Lächeln, wenn auch nur wie ein flüchtiger Schein, über die dunkeln Züge flog. „Doch nicht noch heut Abend? Dein Pferd ist müd, und wenn Du dem Feind begegnest, mußt Du Dich verstecken."
„Nein, nicht heut Abend," sagte Diego, der vor innerer Aufregung über das Entscheidende des Augenblicks die Worte kaum über die Lippen brachte, „aber morgen mit Tagesanbruch will ich mich nach Osten hinüberziehen, um in der Nacht die Ansiedelungen der Feinde zu durchreiten. Josefa's Verwandte sind in ängstlicher Sorge um sie. Ich muß eilen, sie zurückzubringen."
„Josefa's Verwandte?" sagte Osantos düster, und seine Brauen zogen sich drohend zusammen. „Reite nur allein zu ihnen, und sage ihnen, daß das Mädchen eines Häuptlings Weib geworden ist und von jetzt an in seinem Zelt wohnen wird."
„Josefa Dein Weib?" versetzte Diego, und trotz der Gewalt, die er sich anthat, war er doch nicht im Stande, die Entrüstung zu unterdrücken, die diese Worte bei ihm hervorriefen. Wenn er auch das Schlimmste schon lange befürchtet hatte, so erhielt er doch hierdurch erst die Gewißheit, die seine ärgsten Ahnungen bestätigte. Aber sein überwallendes Gefühl gegen die hereinbrechende Gefahr war Zorn und trotzige Empörung.
„Und warum nicht?" fragte lauernd der Häuptling, indem ein halb spöttisches, halb tückisches Lächeln über seine dun-/71/keln Züge blitzte. „Oder hat der Weiße vielleicht beschlossen, sie selber als Belohnung dafür zu beanspruchen, daß ihn Osantos aus der Gefangenschaft der Föderalisten befreite?"
„Gefangenschaft?" rief Diego, der nicht begreifen konnte, woher der Wilde davon sollte Kunde erhalten haben.
„Vielleicht warst Du nicht gefangen," lächelte der Indianer vor sich hin, „und hast Dein Messer und Deinen Lasso den Freunden zu tragen gegeben. Aber es ist genug gesprochen. Reite zurück zu Deinen Freunden oder bleibe bei uns: es steht Dir frei. Osantos' Wille aber steht fest. Morgen Abend erreichen wir die Heimath, in die uns die Feinde nicht zu folgen wagen. Dort wird Osantos den Stamm zusammenrufen, wie es eines großen Häuptlings würdig ist, und drei Tage und drei Nächte den Festlichkeiten widmen. Don Diego soll willkommen sein, wenn er Zeuge von dem Glück des jungen Mädchens sein will - dann mag er nachher zu ihren Verwandten reiten und ihnen Kunde bringen."
„Rettet mich, Don Diego," flüsterte Josefa bei einer Biegung des Weges. Mit Entsetzen hatte sie den Worten gelauscht, die über ihr Schicksal entscheiden sollten. „Oder tödtet mich, wenn Ihr mich nicht befreien könnt," fügte sie in französischer Sprache hinzu.
„Aber hat Osantos auch das Mädchen selber gefragt, ob sie das Weib des Häuptlings werden will?" sagte Diego, der seine ganze Fassung wiedergewonnen hatte, ohne auf Josefa's Aufforderung mit Wort oder Blick zu antworten.
„Werden will?" sagte Osantos finster. „Hat das Weib auch einen Willen, wo Männer sprechen? Osantos hat es gesagt, das ist genug. Was Osantos gesagt hat, muß geschehen."
Diego neigte leicht das Haupt.
„Und was wird mit der Fremden geschehen, bis sie Osantos mit der gebührenden Feierlichkeit in sein Zelt nimmt?" fragte er, seinen Grimm verbeißend und um das starre, unbeugsame Verlangen des Indianers durch keinen ferneren Widerspruch oder dadurch zu reizen, daß er selber ein Recht auf das Mädchen geltend machte. /72/
„Sie wird den Frauen übergeben, zu denen sie fortan gehört," sagte Osantos ruhig.
„Das darfst Du nicht," siel da Josefa ein, die mit fieberhafter Angst auf die Rede des Häuptlings hingehorcht hatte. „Das darfst Du nicht, Indianer. Nie werd' ich Dein Weib, bei dem allbarmherzigen und mächtigen Gott da droben - nie, denn eher den Tod, als Dein."
„Ugh!" sagte der Wilde mit einem innerlichen Grinsen. „Die Weiber schwatzen und die Männer handeln. Was darf Osantos nicht!"
Ohne das Mädchen weiter eines Wortes zu würdigen, lenkte er sein Thier ab, und auf ein Zeichen drängten sich die Frauen des Stammes herbei, die Gefangene in ihre Mitte zu nehmen. Diego wollte sich ihr noch einmal nähern, aber die indianischen Weiber litten es nicht und wiesen ihn mit wildem Geschrei und zornigen Geberden zurück. Nur die Worte konnte er ihr in französischer Sprache zurufen: „Mit Tagesanbruch", als jene Megären den Zügel ihres Pferdes ergriffen und sie mitten in die Zelte hinwegführten. Dort verschwanden sie rasch mit ihr hinter einer der aus ungegerbtcn Häuten so roh als einfach hergestellten Hütten.
„Da habt Ihr die Bescherung," raunte ihm Felipe zu, der an Diego's Seite kam. „Kurz und bündig genug hat Osantos seinen Willen ausgesprochen, und seid versichert, daß er ihn durchsetzt. Ich wollte, wir wären fort von hier."
„Du kannst gehen, Felipe," sagte Diego ruhig. „Wir sind allein, der Schwarm hat sich zerstreut. Reite Du davon."
„Und Ihr?"
„Ich wanke und weiche nicht von hier, bis ich nicht den letzten, den verzweifelten Versuch gemacht habe, Josefen zu retten!" rief außer sich der Unitarier. „Tod dem elenden Indianer, wenn er mir entgegentritt!"
„Und das Bündniß mit Montevideo? Und alle die schönen Pläne zur Befreiung des Vaterlandes, zu der Ihr Euch mit den wackeren Rothfellen verbündet habt?" sagte der alte Mann. „Die Depeschen, die so blutig erkauft wurden?"
„Mein Leben hängt an dem Besitz Josefens."
„Ja, ja, Euer Leben," brummte Felipe in den Bart. /73/ „Ihr seid Euch doch Alle gleich, Unitarier und Föderalisten, wie auch der Führer, wie die Partei heißen möge. Was Euch regiert, ist der eigene Nutzen - und das Vaterland? - Ei, das mag eben zum Teufel gehen darüber, sobald es Lust hat, - Vaterland - lächerlich."
„Ich liebe mein Vaterland von ganzem Herzen," betheuerte Diego, „Blut und Leben habe ich mehr als einmal dafür in die Schanze geschlagen. Aber kann und darf ich dulden, daß dieser rothe Teufel in seiner bestialischen Lust kalt und trotzig jenen Engel opfert?"
„Engel, - bah," sagte Felipe, „es ist immer nur ein Leben und noch dazu das Leben einer Frau, was Euch von dem einmal gesteckten Ziel ablenken will. Raubt sie, und Ihr dürft nie zu dem Stamm zurückkehren, mit dessen Hülfe Ihr den Truppen Sr. Excellenz - den Gott erhalten möge, bis ihn der Teufel holt - trotzen könntet. Aber was hilft mein Reden," brach er plötzlich ab. „Ihr thut doch, was Eure Leidenschaft heischt, und je eher das dann geschieht, desto besser. Aber wenn etwas Gutes aus dem Ereignisse dieses Tages kommen soll, so dürfen wir nicht feiern."
Felipe war in der That ein viel zu praktischer Mann, als daß er sich mit unnützen Redensarten