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Hüben und Drüben. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich


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lagt da so schlecht und hart gestern Abend," sagte das Kind.

      Der Alte erwiderte nichts; er stand auf, raffte sein Bettzeug zusammen und wandte sich, um die Küche zu verlassen. Ehe er aber ging, sagte er, viel freundlicher als er noch je gesprochen:

      „Du bist ein gutes Kind, Falleri; ich dank' Dir auch vielmals," und damit schritt er in seine Stube hinüber. -

      Die Tage vor der Konfirmation Valeriens gingen jetzt rasch vorüber; sie bekam auch zur rechten Zeit ihren Anzug, den ihr des Schulzen Frau von dem Gelde des Bänkelsängers geschafft hatte, und sie bestand ihre Prüfung gerade nicht besser, aber auch nicht schlechter als die übrigen Kinder. Sie wußte alle die aufgegebenen Sprüche auswendig und antwortete auf die an sie gerichteten Fragen in der richtigen, vorgeschriebenen Form, ohne sich - wie die meisten übrigen Kinder auch - etwas Besonderes dabei zu denken. Die schöne Lehre des Christenthums war ja in so viele unverständliche oder schwülstige Phrasen eingehüllt, daß ein klarerer Kopf dazu gehörte, als ihn ein vierzehnjähriges Kind besaß, um den edlen Kern aus der wulstigen Schale heraus zu finden. Sie gab sich dazu auch keine Mühe und war nur froh, als sie das Ganze überstanden hatte.

      Daß sie dabei als Letzte der Konfirmandinnen stand und, als es vorbei war, auch von Niemandem - wie doch alle die übrigen Kinder - eingeladen wurde, verstand sich von selbst und that ihr nicht besonders weh. Sie war ja die Gemeinde-Waise und daran gewöhnt, zurückgesetzt zu werden. Eins nur gab ihr einen Stich in ihr junges Herz, und auch weniger der Worte und Bedeutung als der Art wegen, mit der es zu ihr gesagt wurde. Gerade nämlich, als sie aus der Kirche trat, wo die übrigen Kinder von ihren auf sie stolzen Eltern empfangen wurden, trat der Schulze auf sie zu und sagte, einen Glückwunsch weiter nicht für nöthig haltend:

      „Na, Falleri, heute hast Du noch frei, morgen früh aber nimmst Du Deine Sachen und ziehst zu Baumstetters hinüber, die Dich vorläufig in Dienst nehmen wollen. Bist Du erst einmal ein Vierteljahr dort, dann kannst Du Deinen Miethcontract mit ihnen selber machen, denn Du wirst jetzt alt genug dazu," und ehe die Konfirmandin ihm etwas darauf erwidern konnte, drehte er sich ab, um seine eigene Tochter aufzusuchen und zu begrüßen.

      4.

      Im Dienst.

      Am nächsten Morgen zog Valerie an, wie man es dort in der Gegend nannte, d. h. sie nahm ihr dürftiges Bündel unter den Arm und meldete sich bei ihrer neuen Dienstherrschaft.

      Vorher verabschiedete sie sich von den Bewohnern des Gemeindehauses, mit denen sie so lange Leid und Armuth getheilt, und viel Freundlichkeit ließ sie da nicht zurück. Die /28/ neu hinzugekommene Frau mit den beiden Kindern, obgleich sie die Kleinen oft und oft gepflegt, hatte sich nie um sie bekümmert, und eigentlich nur mit ihr gesprochen, wenn sie etwas von ihr verlangte; sie reichte ihr auch jetzt nur die Hand und sagte gleichgültig „Adjes". Die Alte aber kauerte in ihrer Ecke und schien viel mehr beleidigt als betrübt über den Abschied des jungen Mädchens, das sie halb und halb sogar der Undankbarkeit beschuldigte.

      „Na ja," knurrte sie, „jetzt hat man sich die Jahre über mit der Krabbe gequält und sie ein bischen vorwärts gebracht, und nun sie Einem 'was nützen könnte und größer und stärker geworden ist, läuft sie Einem davon - aber wo findet man jetzt noch Dankbarkeit!"

      „Aber Frau Kunzen," sagte Valerie betrübt, „kann ich denn etwas dazu? ist es mein freier Wille? Der Schulze hat mich ja vermiethet, und ich darf gar nicht mehr in dem Haus bleiben - wenn ich selbst wollte."

      „So mach', daß Du fortkommst," brummte die alte Schullehrers-Wittwe, „wir können auch ohne Dich fertig werden."

      Das war der Abschied, den sie von der Frau erhielt, für die sie Jahre lang gearbeitet hatte und der sie gefällig gewesen war, wo sie ihr etwas an den Augen absehen konnte.

      Traurig schlich sich Valerie nach der Kammer des alten Bänkelsängers; sie fürchtete fast, daß er sie ebenfalls ohne ein freundliches Wort entlassen würde. Darin hatte sie sich aber gewaltig geirrt. Der alte Bursche war roh und wüst genug, aber doch nicht ohne Gemüth, und sonderbarer Weise hatte er einmal zu dem Kind eine besondere Vorliebe gefaßt, die vielleicht auch nur darin wurzelte, daß sie das einzige lebende Wesen war, das er protegiren konnte.

      Der Alte war mit einer wunderlichen Arbeit beschäftigt. Er hatte sich ein Stück weißes Wachstuch mit aus der Stadt gebracht sowie ein paar Pinsel und ordinäre Farben, saß jetzt vor dem aufgehangenen und in Felder abgetheilten Tuch und malte eine seiner alten Mordgeschichten aus. Die rothe Farbe spielte dabei eine große Rolle - die Männer trugen sämmtlich rothe Hosen und die Frauen rothe Tücher und blaue Kleider, und Blut floß schon auf der dritten Ab¬/29/theilung, auf der eine ganze Familie abgeschlachtet wurde, in Strömen.

      Valerie öffnete schüchtern die Thür, der alte Bänkelsänger sah sie aber kaum, als er auf die Füße sprang und, seinen Pinsel fortwerfend, ihr die Hand entgegenstreckte.

      „Hallo, Falleri," rief er dabei, „schon reisefertig! Na, Abschied brauchen wir nicht von einander zu nehmen, und Du gehst nicht aus der Welt - wir werden uns oft genug zu sehen kriegen - vielleicht öfter als Dir lieb ist."

      „Nein, Herr Brenner," sagte das junge Mädchen leise; „Sie sind immer gut gegen mich gewesen, und ich bin gewiß nicht undankbar, wie die alte Frau Kunzen meint."

      „Der alte Drachen soll zum Teufel gehen!" brummte Brenner. „Die hat von Undankbarkeit zu reden - daß Du ersticktest - wenn ich nur so 'was nicht hören müßte. Aber laß sie schwatzen - Du ziehst jetzt zu Baumstetters hinüber?"

      „Ja, Herr Brenner."

      „Na, da brauchst Du auch nicht zu sagen: Gott straf' mich, denn da bist Du gestraft genug."

      „Sind die Leute so bös?"

      „Nein, bös nicht, Kind," sagte der Alte, „sie könnten schlimmer sein und sollen ihre Leute nicht schlecht behandeln, aber die Alte ist so krank, daß es Niemand lange bei ihr aushält. In den letzten sechs Monaten haben sie sieben verschiedene Wärterinnen gehabt - sie mochten Lohn über Lohn bieten, es half nichts. Apropos, wie viel kriegst Du denn?"

      „Im ersten Vierteljahre noch nichts. Ich soll auf Probe dienen."

      „Daß der Teufel den verdammten Schulzen hole!" rief der Bänkelsänger, seine rechte Faust in die linke Hand schlagend, „umsonst sind die nicht verschwägert zusammen, und in solch' einen Hundedienst ohne Lohn schicken sie das Kind!"

      „Aber kann ich's ändern?" sagte Valerie traurig.

      „Nein, Herz," knurrte der Alte, „wir Beide nicht, oder, Gott straf' mich, ich - na ja, das Fluchen hilft auch /30/ nichts, und die Menschen thun deshalb doch, was sie wollen. Na, geh hin; ich würde Dir, wie sie es auf dem Theater machen, meinen Segen geben, aber ich fürchte beinah', er möchte Dir nicht besonders viel helfen. Uebrigens werd' ich von Zeit zu Zeit einmal hinüberkommen und nachsehen, und vielleicht - holt ja der Teufel auch die Alte bald, daß Du von Deiner Plackerei frei kommst."

      „Aber, Herr Brenner -"

      „Du hast Recht, Schatz," sagte der Alte mürrisch, „sie hat mir noch nie 'was zu Leide gethan - na geh, Kind - ich möchte mein „Gemälde" noch heute fertig bringen, und da muß ich mich dazu halten, sonst werden mir die Klexe trocken." Damit schüttelte er Valerie die Hand, drehte sich um und fiel plötzlich mit so lauter Stimme in eins seiner alten Lieder ein, daß das Kind ordentlich zusammenschrak. Sie wäre auch gleich gegangen, aber sie mußte dem Manne doch noch etwas über ihre Schuld gegen ihn sagen, damit er nicht etwa glaube, daß sie die, mit dem Weggange aus dem Gemeindehause, ebenfalls abschütteln wolle.

      „Lieber Herr Brenner," sagte sie schüchtern - aber der Mann hörte nicht; er sang ruhig weiter.

      „Lieber Herr Brenner," wiederholte sie noch einmal und berührte seinen Arm.

      „Ja Kind? - so, Du bist noch da? Willst Du 'was?"

      „Ich wollte Ihnen nur sagen," flüsterte Valerie schüchtern, „daß ich, wenn ich auch das erste Vierteljahr keinen Lohn bekomme, doch ganz gewiß gleich nachher jeden Pfennig sparen werde, um Ihnen -"

      „Und


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