Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
woll. Aber Fleischessünde, Herr Professer,
bleibt es immerdar, und Gott erlaubt es auch nuhr --«
Der Herrnhuter richtete sich auf zu etwas Wichtigem. Seine Augen wurden
rund und ganz bleich von Geheimnis.
»Nun?« fragte Unrat nachsichtig.
Und jener, flüsternd:
»Das wissen die andern Menschen man nich, daß Gott es nuhr darum
erlaubt, auf daß er in seinen Himmel oben mehr Engel kriegt.«
»So so,« machte Unrat, »das ist ja denn freilich recht hübsch.«
Und er lugte mit einem hinterhältigen Lächeln zu dem verklärten Gesicht
des Schuhmachers hinauf.
Aber er unterdrückte bald seinen Spott und wandte sich zum Gehen. Er
fing an zu glauben, Rindfleisch wisse wirklich nichts über die
Künstlerin Fröhlich. Der Schuhmacher besann sich auf diese Welt und
fragte, wie hoch denn die Schäfte sein sollten. Unrat antwortete
nachlässig, behandelte auch den Abschied von der Familie Rindfleisch nur
mit flüchtiger Leutseligkeit. Dann trat er rasch den Heimweg an.
Er verachtete Rindfleisch. Er verachtete die blaue Stube, die Enge
dieser Geister, die demütigen Seelen, die pietistischen Überspanntheiten
und die sittliche Verstocktheit. Auch bei Unrat zu Hause sah es eher
dürftig aus; dafür aber hatte er in seinem Kopf die Möglichkeit, sich
mit mehreren alten Geistesfürsten, wenn sie zurückgekehrt wären, in
ihrer Sprache über die Grammatik in ihren Werken zu unterhalten. Er war
arm, unerkannt; man wußte nicht, welche wichtige Arbeit er seit zwanzig
Jahren förderte. Er ging unansehnlich, sogar verlacht unter diesem Volk
umher; -- aber er gehörte, seinem Bewußtsein nach, zu den Herrschenden.
Kein Bankier und kein Monarch war an der Macht stärker beteiligt, an der
Erhaltung des Bestehenden mehr interessiert als Unrat. Er ereiferte sich
für alle Autoritäten, wütete in der Heimlichkeit seines Studierzimmers
gegen die Arbeiter -- die, wenn sie ihre Ziele erreicht hätten,
wahrscheinlich bewirkt haben würden, daß auch Unrat etwas reichlicher
entlohnt wäre. Junge Hilfslehrer, noch schüchterner als er, bei denen er
sich mit der Sprache herauswagte, warnte er düster vor der unseligen
Sucht des modernen Geistes, an den Grundlagen zu rütteln. Er wollte sie
stark: eine einflußreiche Kirche, einen handfesten Säbel, strikten
Gehorsam und starre Sitten. Dabei war er durchaus ungläubig und vor sich
selbst des weitesten Freisinns fähig. Aber als Tyrann wußte er, wie man
sich Sklaven erhält; wie der Pöbel, der Feind, die fünfzigtausend
aufsässigen Schüler, die ihn bedrängten, zu bändigen waren. Lohmann
schien in Beziehungen zu stehn zur Künstlerin Fröhlich; Unrat errötete
darüber, weil er nicht anders konnte. Aber zum Verbrecher ward der
Schüler Lohmann erst dadurch, daß er sich bei verbotenen Freuden der
harten Zucht des Lehrers entzog. Nicht sittliche Einfalt zwang Unrat zum
Zorn ...
* * * * *
Er gelangte in seine Wohnung und schlich auf den Zehen an der Küche
vorbei, wo die Wirtschafterin, über seine Verspätung ungehalten, mit den
Töpfen rasselte. Dann bekam er zu essen, Mettwurst und Kartoffeln. Sie
waren zerkocht und dennoch kalt. Unrat hütete sich, ein Wort dagegen zu
sagen; dieses Mädchen hätte sofort die Hände auf die Hüften gestemmt.
Unrat wollte sie davor bewahren, sich gegen ihren Herrn aufzulehnen.
Nach der Mahlzeit stellte er sich vor sein Schreibpult. Es war, Unrats
kurzsichtigen Augen zuliebe, übermäßig hoch; und die dreißigjährige
Anstrengung, den rechten Arm daraufzulegen, hatte ihm die Schulter weit
aus der graden Linie gehoben. »Das Wahre ist nur die Freundschaft und
die Literatur,« sagte er dabei wie gewöhnlich. Dies Wort hatte er
irgendwo aufgefangen und sich angewöhnt, und sah sich nun genötigt, es
vor sich hin zu denken, so oft er an die Arbeit ging. Was er unter
Freundschaft zu verstehn habe, erfuhr er nie. Das Wort ging nur zufällig
mit. Aber die Literatur! Das war ja sein wichtiges Werk, wovon die
Menschen nichts wußten, das hier in der Stille seit langer Zeit gedieh
und das vielleicht einmal, Staunen erregend, aus Unrats Gruft
hervorblühen sollte. Es handelte von den Partikeln bei Homer!... Aber
Lohmanns Aufsatzheft lag daneben und ließ ihn nicht in Stimmung kommen.
Er mußte danach greifen und an die Künstlerin Fröhlich denken. Es gab
etwas, das ihn sehr beunruhigte: er war nicht mehr sicher, daß die
berühmte Barfußtänzerin sich Rosa Fröhlich nenne. Diese Fröhlich konnte
ganz etwas anderes sein. Ja, sie =war= ganz etwas anderes: es ward Unrat
durch Grübeln zur Gewißheit. Er hatte sie immer noch ausfindig zu
machen, um sie dem Schüler Lohmann »beweisen« zu können. Er sah sich, im
Kampfe mit diesem Elenden, wieder weit zurückgeworfen und keuchte vor
einsamer Erregung.
Plötzlich stürzte er sich in seinen Mantel und stürmte hinaus. Vor dem
Haustor lag schon die Kette; Unrat zerrte daran, wie ein Ausbrecher. Die
Wirtschafterin schalt, er hörte sie herbeistampfen. In der Angst der
äußersten Minute tat er einen richtigen Griff, die Tür ging auf, er war
im Vorgärtchen und auf der Straße. Bis zum Stadttor wechselte er
zwischen Trab und Eilschritt; dann mäßigte er sich, aber sein Herz
klopfte. Er fühlte sich seltsam, wie auf verbotenen Wegen. Er ging den
verödeten Straßenzug, über Berg und Tal, immer gradaus. Er lugte in die
Gäßchen und »Gruben«, verweilte vor den Gasthäusern und sah mit
gespanntem Mißtrauen zu Fenstern hinauf, zwischen deren geschlossenen
Vorhängen ein Lichtstrahl zu liegen schien. Er wanderte auf der dunkeln
Seite; drüben verbreitete sich heller Mond. Es war sternenklar, es wehte
nicht mehr, und Unrats Schritte hallten. Beim Rathaus lenkte er auf den
Markt und machte die Runde unter den Lauben. Bogen, Türme, Brunnen
stachen ihre von Arabesken umrankten