Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
Aufregung geschah in Unrat; er sagte zu
verschiedenen Malen:
»Da würde denn wohl ... traun ...« und »Vorwärts denn also!«
Dabei prüfte er eifrig jedes einzelne Fenster der Post und des
Polizeiamtes. Da er es unwahrscheinlich fand, daß sich die Künstlerin
Fröhlich in diesen Gebäuden versteckt halte, kehrte er auf die vorhin
verlassene Straße zurück. Wenige Schritte weiter glänzte die breite
Scheibe eines Lokals, in dem sich viele von Unrats Kollegen allabendlich
um das Bier scharten. Auf der Gardine erschien schwarz abgezeichnet der
spitzbärtige, mit dem Munde klappende Kopf eines Oberlehrers, eines ganz
schlimmen, der Unrat den Respekt versagte, weil er zur Lockerung der
Disziplin in der Schule Anlaß gebe, und der sich über Unrats Sohn
sittlich entrüstet hatte. Unrat sah sich diesen Doktor Hübbenett
nachdenklich an: wie er redete aus seinem Bart heraus, was er für einen
Biereifer hatte, welch gewöhnlicher Michel er war! Unrat hatte mit den
Leuten da drinnen nichts zu tun, gar nichts; es ward ihm jetzt klar, zu
seiner Genugtuung. Da hockten nun =Die= beisammen und waren in der
Ordnung: er aber dünkte sich fragwürdig, gewissermaßen, und ausgestoßen,
sozusagen. Und der Gedanke an Die dort war ihm kein böser Stachel mehr.
Er nickte dem Schatten des Oberlehrers zu, langsam und mit
Geringschätzung -- und ging weiter.
Die Stadt war gleich wieder zu Ende. Er kehrte um, wandte sich in die
Kaiserstraße. Bei Konsul Breetpoot mußte Ball sein; das große Haus war
ganz erleuchtet, fortwährend fuhren Wagen auf. Der Diener und mehrere
Aufwärter sprangen vor, öffneten die Schläge, halfen beim Aussteigen.
Seidene Röcke raschelten über die Schwelle. Eine Dame hielt an, sie
streckte gütig lächelnd die Hand einem jungen Mann entgegen, der zu Fuß
herbeikam. Unrat erkannte in dem hübschen Menschen mit dem Zylinder den
jungen Oberlehrer Richter. Er hatte sagen gehört, Richter sei auf eine
reiche Heirat aus, in einer eleganten Familie, zu der sonst Oberlehrer
nicht den Blick erhoben. Und Unrat, drüben im Dunkeln, feixte vor sich
hin.
»Ei, recht strebsam -- wahrlich doch,« sagte er.
Er machte sich in seinem bespritzten Kragenmantel lustig über den
wohlaufgenommenen, aussichtsreichen Menschen, wie ein höhnischer
Strolch, der unerkannt und drohend aus dem Schatten heraus der schönen
Welt zusieht und das Ende von alledem in seinem Geist hat, wie eine
Bombe. Er fühlte sich Richter weit überlegen, ihm war ganz munter; er
schäkerte still und sagte, ohne sich selbst zu verstehn:
»Ihnen kann ich auf Ihrem Wege noch recht hinderlich werden. Ich werde
Sie -- immer mal wieder -- hineinlegen, merken Sie sich das!«
Und im Weitergehn unterhielt er sich ausgezeichnet. Wenn er wieder auf
ein Türschild mit dem Namen eines Kollegen oder eines alten Schülers
stieß, dachte er: »Sie fass' ich auch noch mal,« und rieb sich die
Hände. Zugleich lächelte er in verstohlenem Einverständnis den achtbaren
Giebelhäusern zu, weil er versichert war, in einem von ihnen stecke die
Künstlerin Fröhlich. Sie hatte ihn merkwürdig angeregt, aufgekratzt, aus
dem Häuschen gebracht. Zwischen ihr und Unrat, der auf nächtlicher
Streife hinter ihr herschlich, war eine Art Verbindung hergestellt. Der
Schüler Lohmann war das zweite Stück Wild: sozusagen Indianer von einem
andern Stamm. Wenn Unrat mit seiner Klasse auf das Schulfest zog, mußte
er manchmal Räuber und Soldaten mitspielen. Er stand auf einem Hügel,
reckte die Faust gen Himmel und kommandierte: »Fest drauf, jetzt
nunmehr!« und regte sich richtig auf bei dem folgenden Scharmützel. Denn
das war Ernst. Schule und Spiel waren das Leben ... Und heute nacht
spielte Unrat Indianer auf dem Kriegspfad.
Er kam in immer lüsternere Spannung. Die unbestimmten Formen im Schatten
erregten ihm Furcht und Kitzel; jede Straßenecke lockte schauerlich. In
enge Nebengassen ließ er sich ein wie in Abenteuer, hielt bei einem
Wispern aus einem Fenster unter Herzklopfen den Schritt an. Hier und da
ging eine Tür bei seinem Nahen leise auf, einmal streckte sich ein rosa
bekleideter Arm nach Unrat aus. Er entfloh, ganz überrieselt, und sah
sich unvermittelt am Hafen -- zum zweitenmal heut, und er betrat diese
Gegend sonst in Jahren nicht. Schiffe türmten sich schwarz, unter
Rinnsalen von Mondlicht. Unrat kam auf den Gedanken, die Künstlerin
Fröhlich sei darauf, sie schlafe in einer Kajüte; vor Morgengrauen werde
das Nebelhorn brüllen und die Künstlerin Fröhlich davonfahren in ferne
Länder. Bei dieser Vorstellung ward Unrats Drang zu handeln, zuzufassen,
ganz ungestüm. Zwei Arbeiter stapften herbei, der eine von rechts, der
andere von links. Dicht bei Unrat trafen sie sich, und der eine sagte:
»Na, wo geit hen, Klaas?«
Der zweite antwortete düster und im Baß:
»Duhn supen.«
Unrat mußte sinnen über das Wort: wo er es heute schon gehört habe, und
was es besage. Denn er hatte in sechsundzwanzig Jahren die Mundart nicht
verstehen gelernt. Er folgte den beiden Proletariern und ihrem zu
erschließenden Sprachschatz durch mehrere kotige »Twieten«. In einer
etwas breiteren steuerten sie im Bogen auf ein weitläufiges Haus zu, mit
ungeheurem Scheunentor, worüber vor dem Bilde eines blauen Engels eine
Laterne schaukelte. Unrat vernahm Musik. Die Arbeiter verschwanden im
Flur, der eine sang mit. Unrat bemerkte im Eingang einen bunten Zettel
und las ihn. Er zeigte eine »Abendunterhaltung« an. Als Unrat in der
Mitte war, stieß er auf etwas, das ihm Keuchen und einen Schweißausbruch
verursachte, und fing, in der Furcht und der Hoffnung, sich geirrt zu
haben, von vorn an. Auf einmal riß er sich los und stürzte sich in das
Haus, wie in einen Abgrund.
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