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Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat - Heinrich Mann


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      Auch Unrat aß, und dann legte er sich auf das Sofa. Aber wie es alle

      Tage ging, warf im rechten Moment, als er einnicken wollte, nebenan

      seine Haushälterin ein Geschirr hin. Unrat fuhr auf und griff sofort

      wieder nach Lohmanns Aufsatzheft, während er sich rosa färbte, als läse

      er das die Scham Verletzende, das darin stand, zum erstenmal. Dabei ließ

      es sich schon gar nicht mehr schließen, so sehr auseinandergebogen war

      es an der Stelle, wo die »Huldigung an die hehre Künstlerin Fräulein

      Rosa Fröhlich« sich befand. Der Überschrift folgten einige unleserlich

      gemachte Zeilen, dann ein freier Raum und dann:

      »Du bist verderbt bis in die Knochen,

      Doch bist du 'ne große Künstlerin;

      Und kommst du erst mal in die Wochen --«

      Den Reim hatte der Sekundaner noch zu finden. Aber der Konditionale im

      dritten Vers sagte viel. Er ließ vermuten, Lohmann sei an ihm persönlich

      beteiligt. Dies ausdrücklich zu bestätigen, war vielleicht die Aufgabe

      des vierten Verses gewesen. Unrat machte zur Erratung dieses fehlenden

      vierten Verses grade solche verzweifelten Anstrengungen, wie seine

      Klasse gemacht hatte zur Auffindung der dritten Bitte des Dauphins. Der

      Schüler Lohmann schien sich, durch diesen vierten Vers, über Unrat

      lustig zu machen, und Unrat rang mit dem Schüler Lohmann, in wachsender

      Leidenschaft, voll des dringenden Bedürfnisses, ihm zu zeigen, er selbst

      sei zuletzt doch der Stärkere. Er wollte ihn schon hineinlegen!

      Die noch unförmlichen Entwürfe künftiger Handlungen bewegten sich in

      Unrat. Sie ließen ihn nicht mehr stillhalten, er mußte seinen alten

      Radmantel umhängen und ausgehn. Es regnete dünn und kalt. Er schlich,

      die Hände auf dem Rücken, die Stirn gesenkt, und ein giftiges Lächeln in

      den Mundfalten, um die Lachen der Vorstadtstraße herum. Ein Kohlenwagen

      und ein paar kleine Kinder, sonst begegnete ihm nichts. Beim Krämer an

      der Ecke hing hinter der Tür eine Ankündigung des Stadttheaters: Wilhelm

      Tell. Unrat, von einer Idee getroffen, schoß mit eingeknickten Knien

      darauf zu ... Nein, eine Rosa Fröhlich kam auf dem Zettel nicht vor.

      Trotzdem konnte jene Frauensperson in diesem Kunstinstitut beschäftigt

      sein. Herr Dröge, der Krämer, der das Programm an sein Fenster hing, war

      vermutlich in den einschlägigen Dingen bewandert. Unrat hatte schon die

      Hand auf dem Türgriff; aber er holte sie erschrocken zurück und machte

      sich davon. Nach einer Schauspielerin fragen, in seiner eigenen Straße!

      Er durfte die Klatschsucht solcher tiefstehenden, in den humanistischen

      Wissenschaften unerfahrenen Bürger nicht außer Acht lassen. Bei der

      Entlarvung des Schülers Lohmann mußte Unrat geheim und geschickt zu

      Werke gehn ... Er bog in die Allee nach der Stadt.

      Gelang es ihm, dann zog Lohmann im Sturz auch von Ertzum und Kieselack

      nach sich. Vorher wollte Unrat dem Direktor keine Anzeige erstatten

      darüber, daß man ihn bei seinem Namen genannt hatte. Es würde sich von

      selbst zeigen, daß Solche, die das taten, auch jeder andern

      Unsittlichkeit fähig waren. Unrat wußte es; er hatte es an seinem

      eigenen Sohn erfahren. Diesen hatte Unrat von einer Witwe, die ihn einst

      als Jüngling mit den Mitteln zu fernerem Studium versehen hatte, die er

      dafür vertragsmäßig, sobald er im Amt war, geheiratet hatte, die knochig

      und streng gewesen war, und nun tot war. Sein Sohn sah nicht schöner aus

      als er selbst, und war überdies noch einäugig. Trotzdem hatte er sich

      als Student bei Besuchen in der Stadt, auf offenem Markt mit

      zweideutigen Frauenzimmern blicken lassen. Und wenn er einerseits in

      schlechter Gesellschaft viel Geld vertat, so war er andererseits nicht

      weniger als viermal durch das Examen gefallen, so daß er zwar immer noch

      ein brauchbarer Beamter hatte werden können: doch nur auf Grund seines

      Abiturientenzeugnisses. Ein peinlicher Abstand schied ihn von dem

      höheren Menschen, der das Staatsexamen bestanden hatte. Unrat, der sich

      entschlossen von dem Sohn getrennt hatte, begriff alles Geschehene; ja,

      er hatte es fast vorausgesehen, seit er einst den Sohn belauscht hatte,

      wie er im Gespräch mit Kameraden den eigenen Vater bei seinem Namen

      genannt hatte!

      Ein ähnliches Geschick durfte er also für Kieselack, von Ertzum und

      Lohmann erhoffen, besonders aber für Lohmann, bei dem es ja, dank der

      Künstlerin Rosa Fröhlich, im Anzuge schien. Mit der Rache an Lohmann

      eilte es Unrat. Die beiden andern verschwanden fast neben diesem

      Menschen und seinen unbeteiligten Manieren und dem neugierigen Bedauern,

      womit er zusah, wenn der Lehrer zornig war. Was war denn überhaupt das

      für ein Schüler?.. Unrat sann mit grabendem Haß über Lohmann nach. Unter

      dem spitzbedachten Stadttor blieb er plötzlich stehn und sagte laut:

      »Das sind die Allerschlimmsten!«

      Ein Schüler war ein mausgraues, unterworfenes und heimtückisches Wesen,

      ohne anderes Leben als das der Klasse und immer im unterirdischen Krieg

      gegen den Tyrannen: so war Kieselack; oder ein dummer, starker Kerl, den

      der Tyrann durch seine geistige Vorherrschaft in fortwährender

      Verstörtheit erhielt -- wie von Ertzum. Lohmann aber, der schien ja den

      Tyrannen =anzuzweifeln=! Unrat kochte allmählich von der Demütigung der

      schlecht bezahlten Autorität, vor der ein Untergebener sich in guten

      Kleidern spreizt und mit Geld klimpert. Das waren überhaupt, ward ihm

      auf einmal klar, alles Unverschämtheiten und nichts weiter! Daß Lohmann

      niemals staubig aussah, immer saubere Manschetten trug und solche

      Gesichter machte: Unverschämtheiten. Der Aufsatz von heute, die

      Kenntnisse, die dieser Schüler sich außerhalb der Schule holte und von

      denen die verwerflichste die Künstlerin Rosa Fröhlich war:

      Unverschämtheiten. Und als Unverschämtheit stellte sich nun mit

      Sicherheit heraus, daß Lohmann Unrat =nicht= bei seinem Namen nannte!


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