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Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat - Heinrich Mann


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gelangte an eine Kirche, wo Sturm herrschte, und den

      Mantel um sich her zusammengerafft, wieder ein Stück hinab. Nun kam ein

      Seitenweg, und vor einem der ersten Gebäude zögerte Unrat. Rechts und

      links neben der Tür hingen zwei hölzerne Kästen, hinter deren

      Drahtgittern das Programm stak mit Wilhelm Tell. Unrat las es erst in

      dem einen Kasten, dann in dem andern. Schließlich betrat er, ängstlich

      umherspähend, den Torweg und den offenen Flur. Hinter einem kleinen

      Fenster schien bei einer Lampe ein Mann zu sitzen; Unrat konnte in

      seiner Aufregung schlecht erkennen. An diesem Ort war er seit gewiß

      zwanzig Jahren nicht mehr gewesen; und er litt unter der Besorgnis des

      Herrschers, der sein Gebiet verlassen hat: man möchte ihn verkennen, ihm

      aus Unwissenheit zu nahe treten, ihn nötigen, sich als Mensch zu fühlen.

      Er stand schon eine Weile vor dem Fensterchen und räusperte sich leise.

      Als nichts erfolgte, pochte er an, mit der Spitze seines gekrümmten

      Zeigefingers. Der Kopf dahinter schrak in die Höhe und streckte sich

      sogleich aus dem zurückgeschobenen Schalter.

      »Sie wünschen?« fragte er heiser.

      Unrat bewegte zuerst nur die Lippen. Sie sahen einander an, er und der

      abgedankte Schauspieler mit den tiefen, blauschwarzen Zügen, der flachen

      Nasenspitze und dem Klemmer darauf. Unrat brachte hervor:

      »So? Sie geben denn also den Wilhelm Tell. Das ist recht von Ihnen.«

      Der Kassierer sagte:

      »Wenn Sie meinen, wir tun's zu unserm Privatvergnügen.«

      »Das habe ich Ihnen nicht unterstellen wollen«, versicherte Unrat, voll

      Angst vor Verwickelungen.

      »Man verkauft ja nischt. Bloß, daß die klassischen Vorstellungen in dem

      Pachtvertrag drinstehn, den wir mit der Stadt haben.«

      Unrat fand es geboten, sich bekannt zu geben.

      »Ich bin nämlich der Professor Un-- der Professor Raat, Ordinarius der

      Untersekunda am hiesigen Gymnasium.«

      »Sehr angenehm. Mein Name ist Blumenberg.«

      »Und ich würde recht gern mit meiner Klasse die Aufführung eines

      klassischen Dichterwerkes besuchen.«

      »Ach, das ist aber ganz reizend von Ihnen, Herr Professor. Mit der

      Nachricht werd' ich bei unserm Direktor den größten Erfolg haben, da

      zweifle ich keinen Augenblick.«

      »Aber«, und Unrat erhob den Finger, »es müßte -- wahrlich doch --

      dasjenige von den Dramen unseres Schiller sein, das wir in der Klasse

      lesen, nämlich -- immer mal wieder -- die Jungfrau von Orleans.«

      Der Schauspieler ließ die Lippen fallen, senkte den Kopf und sah von

      unten, mit Trauer und Vorwurf, zu Unrat auf.

      »Das tut mir aber fabelhaft leid. Weil wir die erst wieder einstudieren

      müßten, wissen Sie. Ist Ihnen wirklich mit 'm Tell nicht gedient? Der

      ist doch auch ganz hübsch für die Jugend.«

      »Nein,« entschied Unrat, »das geht auf keinen Fall. Wir brauchen die

      Jungfrau. Und zwar käme es -- aufgemerkt nun also! --«

      Unrat schöpfte Atem, sein Herz klopfte.

      »-- ganz besonders auf die Darstellerin der Johanna an. Denn diese soll

      eine hehre Künstlerin sein, die den Schülern die erhabene Gestalt der

      Jungfrau -- immer mal wieder -- recht nahe bringt.«

      »Allerdings, allerdings«, sagte der Schauspieler, mit tiefem

      Einverständnis.

      »Da habe ich denn nun an eine Ihrer Damen gedacht, die ich, und

      hoffentlich nicht mit Unrecht, auf das höchste habe preisen hören.«

      »Ach nee.«

      »Nämlich an das Fräulein Rosa Fröhlich.«

      »Wie, bitte?«

      »Rosa Fröhlich«, und Unrat hielt die Luft an.

      »Fröhlich? Haben wir ja gar nicht.«

      »Wissen Sie das auch ganz genau?« fragte Unrat, kopflos.

      »Erlauben Sie, ich bin ja nicht meschugge.«

      Unrat wagte den Mann nicht mehr anzusehn.

      »Dann kann ich mir das aber gar nicht --«

      Jener kam ihm zu Hilfe:

      »Da muß wohl sicher 'ne Verwechslung vorliegen.«

      »Ach ja«, sagte Unrat, kindlich dankbar.

      »Entschuldigen Sie nur.«

      Und er dienerte, während er sich zurückzog.

      Der Kassierer war verblüfft. Schließlich rief er hinterher:

      »Aber Herr Professohr, über den Fall läßt sich ja trotzdem reden.

      Wieviel Billette würden Sie denn nehmen? Herr Pro --«

      Unrat drehte sich unter der Tür noch einmal um, sein Lächeln war

      verzerrt vor Angst vor dem Verfolger.

      »Entschuldigen Sie doch nur.«

      Und er war geflüchtet.

      * * * * *

      Ohne es zu merken, kam er die Straße hinunter und an den Hafen. Um ihn

      her waren stampfende Tritte von Männern, die Säcke trugen, und breite

      Rufe von andern, die sie zu Giebelluken hinaufwanden. Es roch nach

      Fischen, Teer, Öl, Spiritus. Die Masten und Schlote dahinten im Fluß

      verwickelten sich schon in Dämmerung. Inmitten der Betriebsamkeit, die

      vor Dunkelwerden noch aufflackerte, ging Unrat dahin mit seinem

      bohrenden Gedanken: Lohmann »fassen«, den Aufenthalt der Künstlerin

      Fröhlich nachweisen.

      Er ward angestoßen von Herren in englischen Anzügen, die mit

      Frachtbriefen umherliefen, und von Arbeitern, die ihm »Achtung!«

      zubrüllten. Die allgemeine Hast ergriff ihn; er drückte, ehe er's sich

      versah, den Griff einer Tür, über der »Heuerbas« und irgendeine

      schwedische oder dänische Inschrift stand. Im Laden lagen gerollte Taue,

      Schiffszwieback, kleine, scharf riechende Fässer. Ein Papagei schrie:

      »Duhn supen!« Mehrere Matrosen tranken, andere redeten, die Hände in den

      Hosen, auf einen riesigen, rotbärtigen Mann ein. Der machte sich, es

      dauerte eine Weile,


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