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Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich


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wie sie dies jetzt gelebt, mühsam der fernen ersehnten Heimat entgegenstrebten. Hier und da waren auch ein paar kräftige junge Burschen von zwölf bis vierzehn Jahren vor ein kleines, leichtes Handwägelchen gespannt, darauf gepackte Betten, Kleidungsstücke und Lebensmittel die weite Straße entlang zu ziehen. – Die Leute hatten kein Geld übrig, denn das wenige, was sie zur Reise aufgespart, mußten sie für das Schiff aufheben, und ein paar Taler sollten doch auch noch übrig bleiben, damit sie nur die ersten Tage in Amerika, ehe sie Arbeit bekämen, vor Sorge geschützt waren. Den glänzenden Schilderungen, die ihnen von dem neuen Lande ihrer Hoffnungen gemacht waren, trauten die armen Frauen am wenigsten in ihrem vollen Umfange. Von Jugend auf, wie ihnen nur eben die Kräfte wurden, ihre jüngeren Geschwister in der Welt herumzuschleppen, hatten sie arbeiten, hart arbeiten müssen, und viel anders würde es auch wohl nicht da drüben sein. Der Sorgen waren hier nur gar zu viele angewachsen, mit jedem Jahr mehr, wie sie sich auch plagten und quälten, und schlechter k o n n t e es dort drüben nicht sein. Das war für jetzt der einzige Trost, den sie mit sich trugen die lange, heiße Straße entlang, mit einer kleinen Hoffnung möglicher Besserung vielleicht, und sie drückten dann die Kinder nur fester an ihr Herz und küßten sie und flüsterten ihnen leise und heimlich zu, daß sie nicht mehr schreien sollten, denn sie gingen nach A m e r i k a , und da würde schon alles gut werden, wie ihnen der Vater gesagt.

       Die Männer und Burschen zogen der fernen Welt aber schon mit mehr Vertrauen entgegen; das Bewußtsein der eigenen Fähigkeit und Kraft hob sie dabei über manches hinweg, das die abhängigen Frauen schwerer zu Boden drückte. Wer bei einer langen Wanderung v o r a n g e h t und für den Weg zu d e n k e n hat, wird nie so müde als der, der ihm folgt, nur für sich denken läßt und hinterdrein zieht. Viele von den Männern trugen auch Jagdtaschen und Gewehre auf dem Rücken, Büchsen und Schrotflinten – was sollte es ,da drüben’ nicht alles zu schießen geben!12 – Manche auch nachgemachte bunte Blumensträuße auf dem Hut. Einzelne, aus Bayern und Thüringen, die sich ihnen angeschlossen, hatten sogar ein paar kleine gefärbte Maraboutfedern mit ihren Landesfahren, blau und weiß, und grün und weiß, in ihrem Hutband stecken, die meisten aber schienen keine solche Erinnerung an die Heimat mitnehmen zu wollen.

       Die Leute gingen vorüber, und die Gäste hatten ihnen schweigend nachgeschaut, so lange fast, bis sie die nächste Biegung der Straße ihren Blicken entzog. Auch Lobsich war wieder vor die Tür seines Gartens getreten, und sich jetzt kopfschüttelnd zurück zu seinem Tisch wendend, brummte er vor sich hin:

       «’s ist mir doch ‘was Unbedeutendes». Es war dies eine seiner stehenden Redensarten, die in der Tat unbegrenztes Erstaunen ausdrücken sollte. «Was die Leute dies Frühjahr wieder zu ziehen anfangen; Tag für Tag geht das so fort, Trupp nach Trupp kommt über die Berge herüber, mit Sack und Pack, mit Weib und Kind – und alles fort, alles fort, und man merkt nicht einmal, von w o sie fort sind.»

       «Doch, doch», sagte Kellmann, die Augenbrauen in die Höhe ziehend und mit dem Kopf nickend. «Doch, doch, Lobsich; o b man’s wohl merkt! – Geht einmal da über die Berge hinüber und seht Euch in den Dörfern um ; da steht manches alte, halbzerfallene l e e r e Haus, an das irgendeine Familie da drüben noch mit Schmerzen zurückdenkt, und in das niemand anders mehr Lust hat einzuziehen, weil er noch eine Menge b e s s e r e , ebenfalls leer, in demselben Dorfe findet. Es ist immer ein trauriger Anblick, solch ein leeres Haus, und ich seh’s nicht gern13

       «Und was für G e l d tragen sie außer Land», fiel der Apotheker hier ein, der indes, sich zu zerstreuen, im Heilinger Tageblatt gelesen hatte, jetzt aber nicht umhin konnte, auch noch ein Wort mit drein zu werfen. «Was sie nicht mit hinübernehmen können, lassen sie wenigstens in den Seestädten, und zu uns kommt nichts mehr davon zurück. Wenn ich nur das erst einmal erlebe, daß die Leute zu ihrem Glück förmlich g e z w u n g e n und nicht mehr aus dem Land hinausgelassen werden. Geht das aber so fort, so werden sie so lange auswandern, bis uns hier weiter gar nichts übrig bleibt, als mitzugehen, wenn wir nicht eben in dem verödeten Land allein sitzen wollen, unseren Acker selber zu bauen. Hol’ sie der Teufel! Wofür hat sie denn eigentlich der liebe Gott in die Welt gesetzt und ihnen den Holzkopf gegeben, der sie zu allem anderen untauglich macht. Ackern und düngen müssen sie drüben doch auch, und weshalb können sie das nicht ebenso gut h i e r ? – Nein, Gott bewahre, die paar Taler, die sie sich h i e r erspart haben, müssen erst wieder verschleppt und hinausgeworfen werden an Experimente und reinen Übermut, und nachher sitzen sie erst recht da. Dort drüben k ö n n e n sie nichts mehr sparen, und m ü s s e n schon drüben bleiben, wenn sie auch wieder herüber möchten. Die paar, die sich doch noch ein paar Taler zusammenscharren, die kommen nachher schnell genug wieder zurück, aber es sind nur wenige, und die anderen armen Teufel haben die Brücke mutwillig hinter sich abgebrochen und sitzen nun auf der wohlriechenden Heide ohne Unterfutter. Jesus, Maria und Josef, es muß ein ordentlicher Jammer drüben sein!»

       «Na, so arg doch wohl noch nicht, Schollfeld», sagte Kellmann kopfschüttelnd, «man hört doch nun auch so manches von da drüben, was nicht gar so schlecht klingt, und wo sich’s schon aushalten ließe, wenn man – wenn man eben einmal einen solchen verzweifelten Schritt absolut tun müßte oder wollte.»

       «Nicht so arg?» rief aber Schollfeld, der hier sein Steckenpferd ritt und sich selten eine Gelegenheit entgehen ließ, auf Amerika zu schimpfen. «Nicht so arg? Da, hier lesen Sie einmal das Tageblatt, was der wackere Dr. Hayde darüber schreibt; das ist ein Mann, der hat Haare auf den Zähnen und m u ß die Sache verstehen, denn er ist einer von den wenigen, die drüben g e w e s e n und glücklich wiedergekommen sind. Er bringt kaum eine Nummer, in der er nicht ein oder den anderen Hieb auf die Verhältnisse Ihres ,glücklichen Amerika’ hat – das muß ja ein wahres Raubnest sein, lesen Sie nur einmal.»

       «Hören Sie, lieber Schollfeld, ich will Ihnen einmal ‘was sagen», erwiderte ihm Kellmann ruhig. «Dieser Dr. Hayde, der Ihnen die schönen Artikel schreibt, ist, der Meinung aller ordentlichen Kerle in Heilingen nach, das Wenigste zu sagen, eine kleine geschwollene Giftkröte, ein weggelaufener Advokat, den die Verhältnisse aus Deutschland vertrieben, und den in Amerika niemand mit seinen Talenten haben mochte. Zu faul zum Arbeiten und nicht imstande etwas anderes zu tun, wurde er dort wahrscheinlich vom Schicksal hin- und hergestoßen, und wie ein aus einer Tür geworfener Mops stellt er sich jetzt draußen hin, wo sich niemand die Mühe gibt, ihn zu stören, und schimpft und kläfft. Ich will Amerika eben nicht in allem verteidigen, aber was d e r gerade darüber sagt, würde mich auch nicht bestimmen. Wie ein Dreckkäfer schleppt er sich nur mit größter Mühe kleine Stückchen Kot herbei, und rollt sie zusammen, eine Kugel zu machen, in die er sein Ei legt – pfui über den Burschen14

       «Na, jetzt freut mich aber mein Leben», rief Herr Schollfeld erstaunt aus. «Erst schimpfen Sie selber auf Amerika, und nun auf einmal soll der arme Doktor die ganze Schuld tragen.»

       «Ich s c h i m p f e nicht auf Amerika», sagte Kellmann ruhig, «ich kann nur nicht leiden, wenn man es auf Kosten unseres eigenen Vaterlandes herausstreicht und gegen alle seine Nachteile blind ist. Es wäre allerdings noch viel gefährlicher, sich die Lichtseiten alle zu bunt auszumalen; die armen Leute, die nachher hinübergehen und es anders finden, sind dann zu sehr enttäuscht und fallen gewöhnlich, wie mir gesagt ist, aus einem Extrem ins andere – aber s o taugt’s nichts.»

       «Guten Abend selbander», sagte in dem Augenblick eine andere Stimme dicht hinter ihnen, und als sie sich danach umschauten, stand ein alter Bekannter von ihnen, Mathes Vogel, ein reicher junger Bauer aus dem nächsten Dorf, an ihrem Tisch und streckte ihnen freundlich die Hand entgegen.

       «Hallo, Mathes, wie geht’s?» rief Kellmann, die gebotene herzlich schüttelnd. «Wetter noch einmal, Mann, wo habt Ihr jetzt, gerade in der Saatzeit, gesteckt, daß Ihr in der Welt herumreist wie ein Baron, der seine Güter verpachtet hat? Ihr seid verreist gewesen?»

       «Ja, Herr Kellmann, in Bremen.»

       «Wo seid Ihr gewesen?» frug Schollfeld erstaunt.

       «In Bremen, Herr Schollfeld!» rief der junge Bauer gegen diesen gewandt. «Oben in der Hafenstadt.»

       «Guten Abend, Mathes», kam hier der Wirt dazwischen, der den alten Kunden ebenfalls begrüßte. «Lange nicht


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