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Buntes Treiben. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Buntes Treiben - Gerstäcker Friedrich


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in Holzhäusel ausgeboten, die so wenig Verlockendes zu haben schien, daß nicht einmal unter den Schulmeistern eine Concurrenz deshalb entstand.

      Einige Dörfer hatten ihn freilich schon früher nehmen wollen, denn man wußte, daß er ein tüchtiger Lehrer sei, aber er war von der Regierung, seiner Antecedentien wegen, nie bestätigt worden - nach Holzhäusel machte man dagegen keine Schwierigkeiten, das lag an einer Stelle, „wo sich die Füchse Gute Nacht sagen", und dort sollten ihm auch, wie man hoffte, die „republikanischen" Gedanken bald vergehen.

      Dort war er denn richtig Schulmeister geworden, und zwar mit dem enormen Gehalt von hundertundzwanzig Thalern, einem Acker Kartoffelland, zwei Klaftern Deputat-Holz und freier Wohnung - einem kleinen Häuschen, das dem Ideal seiner „Hütte“ außerordentlich nahe kam. Aber er lebte doch - seine Kinder brauchten nicht mehr zu hungern, und er durfte hoffen, dort oben ungestört zu bleiben und nicht einmal von einem hohen Consistorium behelligt zu werden - welchen Schaden hätte er dort auch anrichten können!

      Ein Gedanke ging ihm freilich manchmal durch den Kopf und drohte selbst ihn, der bis jetzt Alles so kräftig und unerschüttert ertragen hatte, nieder zu drücken: was nämlich aus seiner armen Elise - aus seinen Kindern würde, wenn er einmal plötzlich sterben sollte, denn der Wittwengehalt einer Schulmeisters-Frau, zwölf oder achtzehn Thaler jährlich, hätte ihnen weiter nichts übrig gelassen, als betteln zu gehen. Wenn das Bild vor seiner Seele aufstieg, zog es ihm das Herz wie mit eisernen Klammern zusammen. Aber er durfte nicht daran denken - kein Schulmeister darf das - und außerdem hatte ihn das Denken auch schon früher in Verlegenheit gebracht. Was half's auch; damit änderte er die Sache nicht und hätte sich sein ohnedies nicht freudiges Leben nur noch mehr verbittert. Vielleicht wurde es einmal besser; die damalige Regierung blieb ja nicht ewig am Ruder, und dann durfte er doch jedenfalls hoffen, seine Stellung zu verbessern.

      Uebrigens war Andreas nicht allein ein ganz kluger, aufgeweckter Kopf, der wohl eine bessere Stellung ehrenhaft ausgefüllt hätte als die eines Schulmeisters in Holzhäusel, sondern /6/ er zeigte sich auch anstellig zu anderen als geistigen Arbeiten und benutzte die wenige freie Zeit, die ihm blieb, jetzt nicht mehr wie früher zu nichts einbringender literarischer Polemik, sondern suchte sich Fertigkeit in den hier üblichen Holzarbeiten anzueignen. Dadurch konnte er sich noch einen kleinen Nebenverdienst schaffen und wenigstens der dringendsten Noth begegnen, denn sein ärmlicher Gehalt reichte nirgends aus.

      Besonders geschickt zeigte er sich bald im Schneiden der Löffel, denen er eine besondere leichte und gefällige Form gab, wo sie sich früher durch ihre Plumpheit ausgezeichnet hatten. Bei Einem der Leute, der eine Drehbank hatte, ging er sogar in die Lehre, und ließ dabei seine Kinder ebenfalls wacker arbeiten, so daß er schon anfing, mit mehr Vertrauen in die Zukunft zu sehen - wie bescheiden waren seine Ansprüche auch geworden!

      Das Einzige freilich, was ihm in dem öden, einsamen Nest fehlte, schien ein passender Umgang, ein paar Menschen nur, mit denen eine vernünftige Unterhaltung möglich gewesen wäre. Aber wen hatte er dazu hier in Holzhäusel und besonders in den langen Wintern, wo hohe Schneewände die Kuppe umgaben, auf welcher das Dorf lag, und selbst die Post manchmal Schwierigkeit hatte, sich hindurch zu schaufeln? Den Herrn Pastor? Auf den Dörfern halten sich eigentlich die Pastoren sehr fern von den Schulmeistern, um ihrer Würde nichts zu vergeben, aber der Pastor in Holzhäusel war ein lieber und einfacher Mann und verkehrte mit allen Leuten freundlich. Leider aber plagte ihn ein rheumatisches Leiden - er konnte das rauhe Klima nicht vertragen, und dazu hatte sich auch noch Schwerhörigkeit gesellt, die eine Unterhaltung unmöglich machte. Der schon ältliche Herr schien auch schon verschiedene Eingaben gemacht zu haben, um von hier auf etwas wärmeren Boden versetzt zu werden, doch umsonst. Er saß eben so gut wie der Schulmeister hier in seiner „Strafcolonie" - und es geschah ihm recht. Weshalb erzählte er auch den frommen Christen offen von der Kanzel, daß cs gar keinen Teufel gäbe und derselbe nur eigentlich bildlich zu verstehen sei! Was wußte er davon?

      Da blieb dem armen Schulmeister dann nur noch der /7/ Chaussee-Einnehmer, ein früherer Schreiber, und das war ein doppelter Segen in dieser Wildniß, denn er besaß für Holzhäusel einen ordentlichen Schatz, nämlich eine kleine Bibliothek. Zwar bestand diese nur aus circa vierzig Bänden - noch dazu lauter Räuberromane von Spieß und Cramer, und war von dem jetzigen Eigenthümer einmal auf einer Auction für einen Thaler zehn Neugroschen erstanden worden - aber was liest ein Mensch nicht, wenn er allein in einer Wüste sitzt. Selbst in einem solchen Räuberroman kam doch manchmal ein Gedanke vor, und dem haschte der Schulmeister nach - erst durch alle vierzig Bände durch, und dann wieder den nämlichen Weg zurück.

      Der Chaussee-Einnehmer war ein kleines lebendiges Männchen, immer vergnügt, immer gefällig, und wurde besonders im Haus des Schulmeisters, wenn er sich einmal sehen ließ, von den Kindern mit Jubel empfangen. Vermittelte er doch auch, durch Fuhrleute und Boten, mit denen er in unmittelbare Berührung kam, den Verkehr mit der Außenwelt, mit der nächsten Stadt, und wußte besonders dort eine Quelle, wo man die beste Cichorie und den billigsten Zucker bekam, ja verschaffte sogar dem Herrn Pastor und zu Zeiten auch dem Schulmeister am Sonntag Morgen frische Semmeln aus dem nächsten - allerdings eine volle deutsche Meile entlegenen Bäckerladen.

      Sein Hauptverdienst in den Augen des Schulmeisters war aber seine liberale Gesinnung. Trotzdem, daß er als königlicher Diener seine Stellung verwaltete (er ist kürzlich gestorben oder ich würde ihn nicht denunciren), blieb er ein Demokrat vom reinsten Wasser. Er liebte allerdings seinen Landesvater und dachte an keine Republik - wo jedenfalls auch die Chaussee-Einnehmerstellen abgeschafft wären - aber er sprach von der gerade bestehenden Regierung oft in Ausdrücken - allerdings nur unter vier Augen mit dem Schulmeister - daß ihm jeder wohlgesinnte Staatsanwalt hätte den schönsten Criminalproceß auf den Hals laden können.

      „Wenn ich König wäre," sagte er oft und schlug dabei auf das Fensterbrett, daß die Scheiben klirrten, „ich wollte es den Blutigeln zeigen, was es heißt, meinem armen Volke das Mark aus den Knochen ziehen - viertausend Thaler /8/Gehalt für einen Minister? - nicht vierhundert Thaler kriegten sie; aber die kleinen Beamten, die sich ihr ganzes Leben lang schinden und plagen müssen - und für was? denen wollte ich auf die Beine helfen - und Ihr Schulmeister - Ihr solltet einmal sehen, was ich aus Euch Schulmeistern machte - die Minister selber sollten den Hut vor Euch abziehen, denn Ihr seid die eigentlichen Träger des Volkes, und wo kämen denn überhaupt die Minister her, wenn sie keine Schulmeister gehabt hätten, die ihnen das erste A-B-C und später das X und U beigebracht?"

      Der kleine Chaussee-Einnehmer war sonst ein ganz vernünftiger Mann, aber wenn er auf Politik zu sprechen kam, ging sein Verstand mit ihm durch und zahlte nirgends Chausseegeld mehr. Auch hatte er dabei die üble Gewohnheit, seine Rede nur zu häufig mit dem Ausruf zu bekräftigen: „Hol' mich der Deubel!" und Andreas hatte ihm das auch schon einigemal in seiner freundlichen Art verwiesen. Der Chaussee-Einnehmer lachte daun aber jedesmal und meinte: das sei der harmloseste Schwur von allen miteinander, denn da es gar keinen Teufel gäbe, könne ihn auch keiner holen, und dabei klänge er kräftig und mache dem Herzen Luft.

      So einverstanden nun Andreas auch fast immer mit den politischen Ansichten seines Freundes sein mochte, obgleich er doch einer etwas mehr gemäßigten Partei angehörte, so schien er über diese Sache seine Bedenken zu haben, da er im flachen Lande zu lange Jahre bei einem streng orthodoxen Geistlichen Küsterdienste versehen hatte. Bei jenem frommen Mann aber war auf der Kanzel der Teufel immer das dritte Wort gewesen, ja er hielt ganze Predigten über ihn und sprach dabei mit einer solchen Ueberzeugung und Wärme, daß Andreas zuletzt selber zweifelhaft wurde und sich, wenn er nicht seiner Meinung entschieden beitrat, jedenfalls neutral verhielt. Es konnte einen Teufel geben - es konnte keinen geben - wer wußte es, wer hatte ihn schon gesehen, und er würde deshalb nie selber solche leichtfertige Worte gebraucht haben, wie sie so oft aus dem Munde des Chaussee-Einnehmers kamen. Doch sprach er sich nie deutlicher darüber aus, denn er fürchtete den Spott des kleinen Mannes. /9/ So war der Winter mit seinen riesigen Schneemassen und harten Frösten vorübergegangen und das Frühjahr in's Land gekommen, von dem sie hier oben freilich immer erst durch durchpassirende Fuhrleute Kunde bekommen. Hier nämlich lag, wenn unten die Matten schon grünten und blühten, noch hartnäckig der tiefe Schnee, und die ersten Frühlingsboten waren stets die Blumen, welche die Fuhrleute unten im Thale gepflückt und auf die Hüte gesteckt hatten.


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