Der Alpdruck. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
länger: dies sah ganz danach aus, als könne es ein Prozeß werden, und in einem solchen Prozeß als Zeuge aufgerufen zu werden, das war nicht sein Wunsch.
Doll ermatteten in der Folge sowohl Angriffslust wie Empörung im Kampfe gegen eine frömmlerische Frau, die auf all seine Einwände und Forderungen nur mit einem halben Lächeln und zweideutigen, ausweichenden Worten antwortete. Nicht einmal auf seine klare Frage, wie sie es denn nun mit dem Lokalverbot für die junge Frau zu halten gedenke, antwortete sie mit einem klaren Ja oder Nein.
Unvermittelt brach Doll in ein Lachen aus und ließ die Hoteliere stehen. Gegen was kämpfte er hier –? Der Kampf des Don Quichote gegen die Windmühlenflügel konnte nicht aussichtsloser sein wie sein Streit mit dieser Frau, die bestimmt immer ihren angeschwärmten Führer gewählt hatte. Nein, was in dieser Sache noch zu tun war, das war mit dem Urheber all dieser Gerüchte abzumachen, diesem alten Waschweib in Hosen, dem tierärztlichen Freischlucker. Dem wollte er es schon besorgen –! Und von einer neuen Welle seines Zornes emporgetragen, machte er sich auf die Suche nach Dr. Wilhelm. Aber er ging umsonst, er fand ihn weder in seiner Wohnung noch in der Stadt, noch in einer Trinkstube. Es war, als hielte sich der alte Mann in Ahnung des ihm Drohenden versteckt – und vielleicht tat er das wirklich!
So blieb Doll nichts, als zu einem Rechtsanwalt zu gehen und Briefe schreiben zu lassen, an den Tierarzt wie an die Hoteliere. Von dem Anwalt erfuhr Doll, daß jetzt im Kriege Privatklagen wegen Beleidigung nicht angenommen würden. Aber das mußten die andern nicht wissen, und so wurden denn Briefe abgeschickt, in denen ihnen mit gerade solcher Klage gedroht wurde. Vielleicht aber hatten auch sie Anwälte oder wußten Bescheid, jedenfalls antworteten sie nicht. Die Gerüchte gingen weiter.
All dies erhöhte seine Erbitterung, wie die Abreise der jungen Frau seinen Zorn vermehrte: sie hatte flüchten müssen vor dem neidischen Gegeifer dieser Kleinstädter. Ihm war, als suche er sich einen Weg durch eine Wand von Federn und Watte, er mochte noch so stark auf sie einschlagen, sie blieb unverändert. Die Briefe seines Anwalts schienen ihm in dieser Stimmung viel zu sanft und diplomatisch; er setzte sich selbst hin und schrieb einen Brief an den Dr. Wilhelm, in dem er ihm ankündigte, er würde ihn als Ehrabschneider öffentlich ohrfeigen, wo er ihn auch treffe ...
Als er ihn abgesandt hatte, kam die Reue. Dies war seiner nicht würdig, er hatte sich auf das Niveau seiner Gegner begeben, statt sie schweigend zu verachten, wie es bisher sein Standpunkt gewesen. Aber es sollte der Augenblick kommen, da er diesen Brief noch stärker bereute! An einem Vormittag betrat er den Wartesaal des Bahnhofes – da saß er auf dem Sofa, Farken-Willem, vor sich eine Flasche Wein!
Am liebsten wäre Doll auf der Schwelle noch umgekehrt, und für seinen Seelenfrieden wäre es entschieden besser gewesen, er hätte es getan. Aber da saßen neben vielen Fremden auch etliche Mitbürger, die gespannt von ihm auf den Tierarzt blickten. Doll wußte, Wilhelm hatte nach Art aller alten Weiber den Brief den Stammtischgenossen und der halben Stadt gezeigt – die Drohung, sein Gegner werde ihn ohrfeigen, war allgemein bekannt. Ging Doll jetzt zurück, so war der andere der Sieger und jedem neuen Geschwätz Tür und Tor geöffnet.
Doll trat also ein und nahm sich einen Platz, dem andern gegenüber. Ohne ein Wort trug der sonst so geschwätzige Wirt die bestellte Flasche zu. Alle Einheimischen warteten, daß die Fremden den Wartesaal verließen, ihr Zug mußte in einer Viertelstunde fahren. Unterdes saß Doll, die Hand um den Fuß seines Weinglases, im Kampfe mit sich selbst. ›Er ist deiner nicht wert‹, sprach es in ihm. ›Er ist bloß ein alter Mann, ein Waschweib. Was hat der mit deiner Ehre zu tun –?!‹ Und mit einem raschen Blick auf den andern, der wie er stumm, die Hand am Weinglase, saß: ›Aber sie werden mich als Feigling ansehen, alle, er zuerst, wenn ich nichts tue. Ich muß diesen Bürgern zeigen, daß ich mich nicht ungestraft mit Dreck bewerfen lasse! Es gibt kein Zurück!‹
Die Fremden verließen den Saal, es blieben übrig fünf oder sechs Einheimische. Es war ganz still in dem Raum. Dann begann der Wirt Kurz, der hinter der Theke, scharf beobachtend, seine Gläser polierte, ein gleichgültiges lautes Gespräch mit einem Malermeister. »Die kriegen in Berlin mal wieder keinen guten Tag«, hörte Doll, denn gerade brausten über das Städtchen fort die feindlichen Luftgeschwader ...
Da stand er schon direkt vor seinem ›Feinde‹. Beide Hände auf den Tischrand gestützt, das Gesicht nahe dem verhaßten, gelben, galligen des andern, fragte er flüsternd: »Wollen Sie jetzt auf der Stelle hier öffentlich Ihre Verleumdungen zurücknehmen –?«
Neben ihm sagte der Wirt halb bittend, halb böse: »Unterlassen Sie das, Herr Dr. Doll! Ich dulde keinen Streit in meinem Lokal! Gehen Sie vor die Tür, wenn Sie ...«
Doll fuhr unbeirrt ebenso leise fort: »Oder wünschen Sie, daß ich Ihnen hier öffentlich mit der Hand ins Gesicht schlage? Sie wie ein Kind strafe, das gelogen hat –?«
Der alte schwere Mann war bewegungslos auf seinem Platz im Sofa sitzen geblieben. Das Gelb seines Gesichtes wandelte sich langsam unter dem drohenden Blick Dolls in ein fahles Grau, aber sein fischiges Auge blickte, ohne zu blinzeln und ohne erkennbaren Ausdruck, auf den Bedroher. Als dieser schweig, war es, als wolle er antworten, seine Lippen bewegten sich, dann erschien die Zungenspitze, wie um sie anzufeuchten, aber kein Laut wurde vernehmbar.
»Also gehen Sie schon, Herr Dr. Doll!« sagte der Wirt mit eifrigem Drängen. »Sie sehen ja, Herrn Dr. Wilhelm tut es leid ...«
Hier begann der alte Tierarzt plötzlich, unbegreiflich hartnäckig, wie eine Pagode mit dem Kopf zu schütteln.
»Pssst! Pssst!« machte der Wirt wieder, als scheuche er Hühner. »Du wirst doch nicht, Willem!«
Doll hatte einen Augenblick diesen pagodenhaft Schüttelnden starr angesehen, jetzt hob er die Hand und schlug mit ihrer Fläche dem Verleumder leicht ins Gesicht.
Wie ein aus tiefster Brust geholtes »Ah –!« kam es von den Zuschauern dieser Szene.
»Da –!« sagte der Wirt, offenbar erleichtert, daß nicht stärker und daß nicht zurückgeschlagen wurde.
Einen Augenblick hatte Doll dem Gegner drohend und doch wie erlöst ins Gesicht gesehen. Die zerrenden, zwängenden Gewalten in seiner Brust hatten sich beruhigt, er war endlich wieder frei, von Haß wie von Zorn. Doch da geschah etwas Schreckliches, ganz Unerwartetes: aus den beiden ausdruckslosen Augen des alten Mannes traten zwei große klare Tränen. Einen Augenblick verharrten sie am Lidrand, dann rollten sie langsam über die Wangen. Andere folgten, mehr und mehr, nun lief es schon in ganzen Bächen über das lederne Nussknackergesicht, das von der Nässe glänzend wurde. Die Kehle begann zu schluchzen: »Oh –! Oh –! Oh –!« schluchzte der alte Tierarzt. »Oh, mein Gott, er hat mich geschlagen! Was soll ich nur tun –?! Oh –! Oh –! Oh –! Ich kann keinem Menschen mehr ins Gesicht sehen, ich muß sterben! Oh –! Oh –! Oh –!«
Als Doll zuschlug, hatten die Sympathien im Raum zweifelsohne ihm gehört, das tief erlöste »Ah!« aus ihren Kehlen hatte das bestätigt. Aber die Tränen des alten Arztes änderten das. Doll war vom ersten Augenblick an fest davon überzeugt, daß es nur Krokodilstränen waren, schlau darauf berechnet, die Wirkung der Züchtigung aufzuheben und die Stadt auf seine Seite zu bringen.
»Oh –! Oh –! Oh –!« weinte Dr. Wilhelm immer noch. »Er hat mich geschlagen – grade heute zu meinem 63. Geburtstag –! Und ich habe ihm nie etwas getan. Immer habe ich für ihn zum Guten gesprochen, wenn die Leute schlecht von ihm redeten. Ich war ihm ja so dankbar für all den vielen Wein, den er mir geschenkt hat –!«
Bei diesen letzten Worten fühlte Doll Zorn und Haß von neuem erwachen. Lebhaft stand ihm die Szene vor Augen, wie er den Tierarzt wegen gar zu eigenmächtiger Freischluckerei vom Tische gejagt. Die Verleumdungen hatten begonnen, nicht, weil er viele Male »vielen Wein« geschenkt, sondern weil er einmal den Wein verweigert hatte. »Nun ist es aber genug!« rief er zornig. »Ein altes Wasch- und Klatschweib sind Sie – darum habe ich Sie geschlagen. Und wenn Sie hier weiter so lügen, werde ich Sie noch einmal schlagen, trotz ihrer verstellten Tränen –!« Und er hob drohend die Hand.
Aber Doll hatte nicht mit den andern im Raum gerechnet. Sie hätten ja eigentlich ihren alten Farken-Willem kennen müssen, und wirklich kannten